Test - Gears Tactics : Kettensägen-Schach im XCOM-Stil
- PC
Selten war ein Titel besser geeignet, den Sprung zum rundenbasierten Strategiespiel zu vollziehen als Gears of War. In Microsofts Exklusiv-Reihe ging es schon immer um Taktik, um Stellungsspiel, Deckung suchen, Feuerschutz geben, zum richtigen Zeitpunkt nachladen. Die Studios The Coalition und Splash Damage mussten also nur wenig am Grundrezept ändern, um Gears Tactics eine Eintrittskarte in den Strategie-Olymp zu verschaffen. Doch wie so oft bei Microsofts Exklusivtiteln ist nicht alles Gold, was glänzt.
Woran liegt es nur, dass Microsofts Studios allesamt handwerklich herausragende Spiele erschaffen, denen es oft an der letzten Prise Genialität oder Liebe zum Detail fehlt? Siehe etwa Forza Motorsport 7 von Turn 10. An sich eine grandiose Semi-Rennsimulation mit wunderschönen Strecken, vielen schön modellierten Autos und einem brauchbaren Physikmodell. Und doch fehlt der letzte Designschliff, um Grundstimmung und Spielablauf zu perfektionieren - etwa edle Menüs, Fairness-Reglements im Multiplayer-Modus und solche Sachen. Ganz zu schweigen vom Beseitigen etlicher Bugs in der PC-Version.
Gears 5 erging es ähnlich. Grafisch bombastisch, schön inszeniert, aber letztendlich ein wenig generisch im Multiplayer-Anteil und voller Bugs, die noch immer nicht alle beseitigt wurden. Dass das neue Strategie-Spin-off Gears Tactics ohne nennenswerte technische Schwächen auskommt, ist sicher lobenswert, trotzdem bleibt dasselbe Gefühl haften: handwerklich klasse, im Detail aber nicht liebevoll genug ausgearbeitet.
Bedauerlich, denn Gears Tactics hat alles, was ein richtiger Megaseller in diesem Genre braucht. Angefangen bei einer exzellenten grafischen Präsentation, die der letzten Ballerspiel-Episode in nichts nachsteht, über Subwoofer zerfetzenden Sound und gut inszenierte Story-Zwischensequenzen, bis hin zur verständlichen Benutzeroberfläche im Kampf und schlau agierenden Gegnern. Verdammt, was könnte man sich mehr wünschen?
Nun, wie wäre es mit einem gestrafften Handlungsbogen und weniger Füllmaterial? Ein weniger verschachteltes Upgrade-Menü mit besser nachvollziehbaren Rüstungsoptionen? Und nicht zuletzt wäre es schön gewesen, wenn man seinen Soldaten neue Waffen zuweisen könnte. Nein, das sind keine großen Kritikpunkte, keine spielspaßvernichtenden Schnitzer oder Stolperfallen, an denen man sich festbeißen kann. Es sind die Schritte der letzten Meile, die aus einem sehr guten Spiel ein exzellentes gemacht hätten.
Wachsende Begehrlichkeiten
Ja, das ist unzweifelhaft eine Runde Meckern auf hohem Niveau. Gears Tactics ist in allen anderen Belangen nämlich so gut ausgearbeitet, ja gar suchterzeugend, dass man die meiste Zeit gar nicht auf die Idee kommt, es könnte etwas fehlen. Die genannten Begehrlichkeiten wachsen in einem schleichenden Prozess.
Kein Wunder. Der behutsame Start, der den Spieler in Watte packt, damit jede einzelne Regel anschaulich seziert intravenös eingeflößt werden kann, führt von einem kleinen Spaßelement zum nächsten. Wie schießt man, wie bringt man eine Spielfigur in Deckung, wie gewährt man Feuerschutz? Alles eine Sache von Minuten. Für Veteranen der Gears-Reihe fühlt sich der Spielablauf die meiste Zeit über wonnig nostalgisch an, so als käme man in sein altes Kinderzimmer zurück. Man weiß, worum es geht, sieht das Geschehen jedoch (buchstäblich) aus einer neuen Ansicht, nämlich einer verkürzten isometrischen Vogelperspektive. Der Rest ist schnell erlernt.
Bis zu vier Gears-Testosteronklumpen (oder -Frauen) wollen durch den Kampf gegen die bösen Locust dirigiert werden, wobei der Schlachtplan rundenweise abläuft. In jeder Runde darf ein Soldat standardmäßig drei Aktionen ausführen, sofern ihm nicht durch Sonderregeln mehr Spielraum eingeräumt wird. Solche Aktionen können alles Mögliche involvieren – ein paar Meter laufen, eine Salve ballern, nachladen, eine Granate werfen, einen Gegner in zwei Teile sägen. Eben alles, was man von Gears kennt, inklusive dem wichtigen Stellungsspiel, das bei beiden Parteien die Spannung zum Sieden bringen kann. Etwa wenn ein Scharfschütze einen Soldaten aufs Korn nimmt und ihn dadurch quasi bewegungsunfähig macht.
In Deckung zu gehen und Feuerschutz zu gewähren, sind derart essenzielle Manöver, dass selbst die KI keine Gelegenheit auslässt. Für Feuerschutz muss man zwar eine Aktion in einer Runde verbraten, doch die Investition lohnt sich, weil man vorrückenden Kameraden vorausschauend den Rücken stärkt oder verhindert, dass unerwartet auftauchende Gegner gewisse Grenzen überschreiten. Wie nützlich das ist, kommt besonders gut zutage, wenn man gewisse Objekte auf dem Schlachtfeld abriegeln möchte. Beispielsweise einen Zugangsort für Versorgungs-Nachschub.
Die KI stellt sich dabei wahrlich nicht blöd an, selbst im Einsteiger-Schwierigkeitsgrad. In den höheren Niveaus steigt lediglich die Effizienz der Spielzüge sowie die Panzerung der Gegner, sodass man immer stärker auf Boni zurückgreifen muss, die man für Sonderaktionen erhält. Etwa für das Zersägen eines Feindes oder einen Finisher, den man bei einem Feind ausführt, der kurz vor dem Abnippeln am Boden kriecht.
Wer meint, die Ballerei der Gears-of-War-Serie wäre zu einfach gestrickt für strategisch bedingte Rauchwolken über dem Spielerhirn, irrt gewaltig. Gears Tactics ist Ballerschach mit dem Kettensägenbajonette. In der Schlacht nie besonders kompliziert, aber fordernd genug und so gut wie nie unfair. Ausnahmen bestätigen die Regel. Es ist nämlich auffällig, dass die Trefferchancen in späteren Missionen immer öfter ausgewürfelt werden. Man staunt nicht schlecht, wenn ein Scharfschütze einen Gegner verfehlt, der vier Meter vor ihm steht.
Verzwickt verschachtelt
Im ersten Kapitel bekommt man alle Einzelheiten häppchenweise vorgesetzt. In dieser frühen Phase des rund 40 Stunden füllenden Spiels freut man sich über alles, was die Spiedesigner einem auftischen. Sonderziele, die einem das Gefühl geben, man sei ein besonders ausgebuffter Stratege, oder Kisten, die auf dem Schlachtfeld herumliegen und als Bonus aufgesammelt werden dürfen, was abseits neuer Teile für Rüstung, Waffen und Kleidung den Nebeneffekt mit sich bringt, dass man sich nicht einfach irgendwo verschanzt.
Alle Naselang wartet eine neue Bedingung wie „erledige die folgende Mission in weniger als X Zügen“ oder „nimm keine Scharfschützen in dein Team auf“. In einer Mission muss man Teamwork großschreiben, weil dick gepanzerte Boomer viel Blei schlucken, in einer anderen darf man nie länger an einem Ort verweilen, weil ein feindlicher Bombenteppich in jeder Runde ein paar Meter weiter rückt. Und erst der Nervenkitzel, wenn ein turmhohes Brumak-Monster zum viertelstündigen Bossfight einlädt. Nein, an Höhepunkten fehlt es Gears Tactics wahrlich nicht.
Aber an einer straffen Planung, denn je länger das Spiel andauert, desto mehr kristallisiert sich der Ballast heraus, den all diese Spielelemente mitbringen. Bonuskisten und Sonderziele stechen bei diesem Kritikpunkt besonders hervor, denn jene dadurch gewonnen Extras soll man auf die vorhandenen Soldaten aufteilen. Vier Kämpfer darf man in eine Schlacht mitnehmen, aber nur drei sind echte Stammgäste mit Relevanz für den Handlungsstrang, und die kann man nicht in jeder Mission gebrauchen. Alle anderen Kämpfer sind Rekruten, die man nebenher mit Erfahrungspunkten füttert, damit ihr Fertigkeitenbaum neue, klassenspezifische Perks ausspuckt.
Nützliche Sonderfertigkeiten mögen willkommene Talente sein, die man mühsam verdienen muss und auf einen Schlag verliert, wenn ein Rekrut draufgeht – was als Spielsystem grundsätzlich gar nicht schlecht klingt. Nur erfordert das eine ausreichende Anzahl an Nebenmissionen, die genügend Erfahrungspunkte ausspucken.
Zwei Konsequenzen kommen dadurch zutage. Erstens: die Handlung zieht sich wie Kaugummi, weil wichtige Handlungsstationen von etlichen unwichtigen Grind-Missionen unterbrochen werden. Zweitens: nicht jede Mission verläuft verlustfrei. Dass das Aufbauen einer Spielfigur in dem Fall für die Katz war, verärgert nur oberflächlich. Viel schlimmer ist die mangelnde Übersicht im Aufrüst-Menü, in dem es von allem zu viel gibt. Es gibt zu viele Rekruten mit zu vielen Eigenschaften, Rüstungsteilen und Sonderaktionen, zusammengefasst in einem verschachtelten Menü mit viel zu großen Icons.
Stellt euch mal ein J-RPG vor, in dem jedes Rüstungsteil mit einem Icon dargestellt wird, das ein Fünftel der Bildschirmhöhe füllt. Nun, in einem Rundenstrategiespiel ergibt das genauso wenig Sinn, wenn dermaßen viele Optionen offenstehen. Nicht nur, weil die Klickerei nervt, sondern weil man den Überblick verliert. Wer hat welches Rüstungsteil? Neu verfügbare Teile werden durch rote Dreiecke am Icon signalisiert, aber wer kann welches am ehesten gebrauchen? Im vorliegenden Menü ist das schlecht nachvollziehbar.
Mausschubser
Die Lust am Team-Management vergeht schnell, wenn man das Gefühl hat, Waffenupgrades und Rüstungsteile aufs Geratewohl zu verteilen, und es wird nicht besser, wenn sich etliche kosmetische Gegenstände in dasselbe Menü zwängen. Weniger ist mehr, heißt es so schön, und wenn es um das Ausrüstungsmenü von Gears Tactics geht, stimmt das hundertprozentig. Zumal man selten das Gefühl hat, etwas Weltbewegendes an seiner Mannschaft zu verbessern. Waffenwechsel sind ausgeschlossen, sofern man von seltenen Pickups während der Schlacht absieht – etwa, wenn man temporär eine Boomshot mit zwei Schuss Munition aufliest.
Um es kurz zu machen: Die Pausen zwischen den Schlachten sind keine erholsamen, sondern eher nervige. Sei‘s drum. Den Menüfrust vergisst man im hitzigen Gefecht schnell wieder, und hier lässt Gears Tactics die Muskeln spielen. Zumindest, wenn man nicht auf die Idee kommt, mit einem Joypad zu spielen, dessen Funktionen den Spielfluss ausbremsen.
Das kommt schlicht daher, dass dem Spielfeld kein Raster unterliegt, über das man einschätzen könnte, wo eine Spielfigur innerhalb ihrer drei Aktionen hinlaufen könnte. Die entsprechende Info erhält man erst, wenn man den Cursor über das Schlachtfeld dirigiert und mögliche Zielpunkte anvisiert. Mit Maus und Tastatur geht das doppelt so schnell und nicht zuletzt genauer vonstatten. Es sei zumindest als lobenswert verbucht, dass man bei Bedarf überhaupt auf einen Controller zurückgreifen darf. Sollte die Controller-Steuerung jedoch unverändert für den Xbox-Port beibehalten werden, werden Konsoleros in Sachen Spielspaß das Nachsehen haben.
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