Test - House of Ashes : Der beste Teil der Dark-Pictures-Trilogie
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Erst letztes Jahr verabschiedete sich der Kurator am Ende von Little Hope mit den Worten, man werde sich noch ein letztes Mal zum Finale der Dark-Pictures-Trilogie wiedersehen. Doch von einem Ende der Serie ist mittlerweile keine Rede mehr. Ein vierter Teil befindet sich derzeit bereits in Produktion, und nach aktuellem Stand sind sage und schreibe vier weitere Folgen - insgesamt also acht! - der interaktiven Horror-Kurzgeschichten beschlossene Sache. Nun aber erstmal Teil 3: House of Ashes.
Wir schreiben das Jahr 2003. Die US-Armee hat erfolgreich das Saddam-Regime im Irak gestürzt. Doch von den angeblichen Massenvernichtungswaffen fehlt nach wie vor jede Spur. Neueste Geheimdienstberichte vermuten eine Chemiewaffenfabrik mitten in der Wüste. Doch am Zielort findet eure Spezialeinheit statt einer Waffenfabrik einen unterirdischen, mesopotamischen Tempel, der uralte, viel gefährlichere Schrecken beherbergt.
Durch ein Erdbeben werden die Soldaten in dem weit verzweigten Höhlenlabyrinth verschüttet und sehen sich fortan von Feinden aus allen Richtungen umzingelt: auf der einen Seite die irakische Armee, die ihnen den Rückweg zur Oberfläche abschneidet, und auf der anderen blutrünstige, fledermausartige Monster. Getreu dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ müssen sich die Kriegsgegner zu einem Zweckbündnis wider Willen zusammenschließen, um dieser Hölle wieder zu entkommen.
Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier
Jeder Teil der Dark-Pictures-Reihe steht in der Tradition eines oder mehrerer Vorbilder aus dem breit gefächerten Fundus einschlägiger Horrorgenres: mit seinem Ensemble knallharter Marines gegen eine zahlenmäßig weit überlegene Horde flinker Monster gab dieses Mal eindeutig James Camerons Aliens die Marschrichtung vor. Doch auch der atmosphärische und eher psychologisch motivierte Schocker The Descent über eine Gruppe Höhlenforscher, die tief unter der Erde zunächst mit der eigenen Klaustrophobie und dann einer Bedrohung durch garstige Biester konfrontiert werden, stand augenscheinlich Pate.
Zwei Vorbilder, an denen sich schon so mancher Regisseur die Finger verbrannt hat. Angesichts der zwar durchweg unterhaltsamen, aber dramaturgisch doch recht holprigen Vorgänger der Anthology wäre für House of Ashes Schlimmes zu erwarten gewesen. Doch im Gegenteil: Der dritte Teil ist der bislang beste der Reihe!
Das liegt zum einen daran, dass sich die Charaktere im Gegensatz zu den Vorgängern diesmal nicht aus einer Bande schnöseliger Flitzpiepen zusammensetzen, sondern aus immerhin halbwegs glaubhaften Menschen, an deren Schicksal man im Laufe der Handlung ein ernsthaftes Interesse entwickelt: der Soldat, der sich durch einen fatalen Fehler eine schwere Schuld aufgeladen hat, an der er zunehmend zu zerbrechen droht; der vorlaute Quälgeist, der aus den falschen Gründen in den Krieg gezogen ist und sich zum Zyniker wandelt, weil sein Glaube an den Sinn ihrer militärischen Mission schwindet; das zerrüttete Ehepaar, aus dem der Krieg einander Fremde gemacht hat. Der Irakkrieg selbst stellt zwar nur einen unscharfen Hintergrund für die eigentliche Horroraction, schimmert aber stets durch die Personen hindurch, um ihre Tiefe unter der Oberfläche erkennbar zu machen.
Zum anderen und wenngleich es im ersten Moment widersprüchlich klingen mag, übertrumpft House of Ashes seine Vorgänger, indem es weniger intellektuell und gewieft auftritt, weniger Haken schlagen, den Zuschauer narren und Genrekonventionen ironisch verbiegen will, sondern sich rein auf bodenständige Monster-Action konzentriert und diese handwerklich gekonnt und schnörkellos durchexerziert. Während Man of Medan und Little Hope stets so wirkten, als seien sie mit einem überraschenden Twist im Kopf vom Ende her konzipiert worden, zu dem der Rest des Spiels nicht so recht den Weg finden wollte, verzichtet House of Ashes auf aufgesetzte Schlaumeierei und stellt ein überraschend sicheres Talent seiner Entwickler für packende Spannungsinszenierung zur Schau, die man ihnen nach den Holterdipolter-Rangeleien ihrer bisherigen Spiele gar nicht zugetraut hätte.
Scheinbar nebensächliches, aber bestes Beispiel dafür: Schrieb ich in meinem letztjährigen Test zu Little Hope noch den Satz, Jumpscares seien das einzige Mittel zur Spannungserzeugung, dessen sich die Entwickler gewiss scheinen, so muss ich ihnen für House of Ashes respektvoll attestieren: Das Spiel enthält keinen einzigen dieser plumpen Schreckmomente! Und ist dennoch oder gerade deswegen ihr bisher spannendstes Spiel. Auch – und das ist nicht unwesentlich zu erwähnen – weil es eben weniger Horrorerfahrung als vielmehr rein physische Monsteraction ist. Auf die Fresse lag Supermassive Games eben schon immer mehr als in die Magengrube.
Dies Geschöpf der Finsternis erkenn’ ich für meines an
Dabei gelingt House of Ashes fast schon bewundernswert nahtlos, was in Little Hope geradezu befremdlich voneinander abgekanzelt wirkte: die Verzahnung von persönlichen Momenten der Charakterentwicklung, der parallelen Plotentwicklung von Story und Vorgeschichte und schließlich der brachial inszenierten Actionszenen. House of Ashes erzeugt einen treibenden stetigen Wechsel und wirkt dadurch wie aus einem Guss, der nie abreißt und an dem sich selbst so einige Filme der jüngeren Zeit ein Beispiel fürs Pacing nehmen könnten.
Einen ganz wesentlichen Beitrag zu dieser ununterbrochen hoch gehaltenen Spannungskurve leistet das regelrecht meisterliche Sounddesign: Wenn das ohrenbetäubende Echo Hunderter Vampire aus der tiefen Schwärze der Schlucht die tödliche Gefahr ankündigt und sämtliche Sinne verausgabt, pumpt das Adrenalin durch den Körper, wie ich es schon lange nicht mehr in einem vergleichbaren Spiel oder auch Film erlebt habe.
Natürlich befindet sich House of Ashes auch grafisch auf dem hohen Niveau, den man von Supermassive Games mittlerweile gewohnt ist. Meine Befürchtung, die fantastisch aufgelösten Texturen erleideten in den finsteren Höhlen von House of Ashes dasselbe Schicksal wie in Little Hope, in denen sie im Dunkel der Nacht meistens vor lauter Schwärze kaum zu sehen waren, erweisen zum Glück als völlig unbegründet. Die Entwickler arbeiten unvergleichlich geschickt mit unterschiedlichen Licht- und Farbtönen und setzen diese gezielt und klug gewählt ein, sodass sie jeder Szene sogar ihre wesentliche atmosphärische Note verleihen: der fahle Schein von Taschenlampen, der die Schrecken außerhalb des Lichtkegels im unheimlichen Dunkel verborgen hält, grelle Sonnenstrahlen, die sich wie trügerische Hoffnungsschimmer durch Lücken im Sandstein der Höhlendecke schneiden, der unheilig flackernde Schein von Magnesiumfackeln, die den Kampf mit dem Monster als blutrotes Schattenspiel inszenieren.
Dass sich dazwischen immer mal wieder Szenen finden, die nicht ganz so filigran ausgetüftelt sind wie andere, lässt sich leicht verschmerzen, erst recht wenn man bedenkt, welche extrem hohe Produktionsqualität man hier im Vergleich zu den spielerisch sehr ähnlichen, aber grafisch weit darunter liegenden Spielen von Dontnod oder Telltale bekommt. Für gerade mal 30 Euro nimmt man jedenfalls auch mal in Kauf, dass manche Mimik der Performance-Capture-Schauspieler trotz hoher Technikstandards in die Untiefen des Uncanny Valley stolpert und speziell die Augen von Hauptdarstellerin Ashley Tisdale (High School Musical) bisweilen so merkwürdig ins Leere schielen, als sei sie hinter den Pupillen bereits in Ohnmacht gefallen. Auch der (sehr empfehlenswerte!) Online-Koop-Modus für zwei Spieler hat wie schon in den Vorgängern mit kleineren Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen, die das Erlebnis nur unmerklich schmälern, aber noch Feinschliff erfordern. (Update: Mittlerweile wurde ein großer Day 1 Patch aufgespielt, der sich der Probleme annehmen soll. Auch die in manch anderen Tests erwähnten Aussetzer bei der deutschen Sprachausgabe sind damit behoben.)
Doch eh ein Mensch vermag zu sagen: schaut! Schlingt gierig ihn die Finsternis hinab
Generell sollte man von vornherein davon absehen, jede Kleinigkeit auf die Goldwaage zu legen, und das Gehirn am besten schon im Startbildschirm an der Garderobe abgeben. Bei den Dark-Pictures-Spielen handelt es sich nunmal um simpel gestrickten Edel-Trash in der Tradition leicht konsumierbarer Groschenheftchen und nicht um vielschichtigen Psycho-Grusel. Wer jedenfalls zu den Personen gehört, die während des Filmkonsums hochmütig nach „Logiklöchern“ Ausschau halten und bei Horrorfilmen verächtlich den Kopf schütteln, wenn das Opfer vor dem Killer nicht einfach zur Tür hinaus, sondern die Treppe hoch flüchtet, der sollte die Motivationen und Handlungen der Charaktere in House of Ashes besser erst gar nicht hinterfragen. Zudem machen die Autoren von Supermassive im letzten Drittel des Spiels noch ein unnötiges zusätzliches Story-Fass auf, in dem für meinen Geschmack ein bisschen zu viel saure Gurken drin sind.
Immerhin verfügt House of Ashes erstmals in der Serie über ein Ende, das sich auch wirklich nach großem Finale anfühlt und nicht bloß nach Schlusspfiff. Dass man das (etwa fünf Stunden lange) Spiel wegen seiner zahlreichen Entscheidungen und Storyverzweigungen gerne mehrfach durchspielt, galt in den Vorgängern schon als hervorstechendes Merkmal, in diesem Fall aber nochmal im Besonderen, da die Entwickler sehr geschickt mehrere Handlungsfäden parallel zueinander entwickeln, die selbst bei nur kleinen Variationen das Gesamterlebnis stark beeinflussen können.
Je nachdem etwa ob ihr die Protagonistin wieder mit ihrem Exmann verkuppelt, sie in die Arme des Nebenbuhlers treibt oder beiden Gschpusis einen Korb gebt, laufen diverse Schlüsselszenen vollkommen unterschiedlich ab. Selbst Kleinigkeiten, die sich schon früh im Spiel ereignen, etwa ob sich eine Person im Kampf verletzt oder ob ihr einem sterbenden Kameraden den Gnadenschuss gewährt, kann den Verlauf späterer Szenen maßgeblich verändern.
Wer dennoch etwas zu meckern finden will, der wird garantiert fündig, und sicherlich liegt mein Wohlwollen dem Spiel gegenüber zu einem gewissen Anteil auch daran, dass ich nach den beiden Vorgängern nicht mehr viel erwartet habe, doch wenn die Entwickler dieses Niveau halten oder sich gar weiterhin so steigern, dann können die nächsten fünf Episoden der Dark Pictures gerne kommen.
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