Special - Kommentar: Ein bisschen mit Gefühl : Mehr Emotion in Videospielen, bitte
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Aus alten Fehlern Neues lernen
Wichtig wäre nun, dass die Konkurrenz nicht hämisch kichernd hinter ihren Monitoren hockt und noch einen strunzdoofen CoD-Klon programmiert, um dem Unmut der Spieler durch nicht vorhandenes Interesse zu entgehen, sondern sich die Diskussion gut anschaut. Denn aus dem, was hier gerade passiert, können Entwickler eine Menge lernen, um ihre eigenen Spiele besser zu machen. Sie können erkennen, wo ihre eigenen Mankos liegen, warum kein Spieler überhaupt auf die Idee käme, über ihre Produkte zu diskutieren. BioWare hat im Grunde etwas Großartiges auf die Beine gestellt und durch eine Nachlässigkeit in den letzten zehn Minuten einer langen Geschichte eine Art von Aufruhr erzeugt, die im Grunde völlig neu ist in der Spielewelt - und ungemein positive Wirkung zeigen kann. Nämlich dass Spieler sich nicht über fehlende oder schlecht umgesetzte Features aufregen, sondern tatsächlich die Handlung und die Inhalte eines Spiels wichtig sind und moderne Entwickler dort viel mehr Arbeit investieren müssen, um ihre Spiele einzigartig zu machen.
Natürlich wird es immer spielerisches Fast Food à la Call of Duty geben. Warum auch nicht, Spiele sollen unterhalten und wenn das Volk es liebt, dann gebt es ihm. Spricht ja auch nichts dagegen, ab und zu mal das Hirn auf Stand-by zu stellen und stumpf den Blick auf ein Fadenkreuz zu nageln. Aber gerade die letzten Monate zeigen, dass die Inhalte immer wichtiger werden, und das ist gut so. Ich möchte mehr Charaktere wie Ezio, John Marston oder Geralt von Riva, die eben ihre Ecken und Kanten und ihre dunklen menschlichen Seiten haben und nicht aus dem Klischeekatalog der strahlenden Spielhelden stammen. Die Persönlichkeit haben und mein moralisches Denken herausfordern. Und wenn nicht, dann wenigstens unterhaltsam und sympathisch sind wie Nathan Drake. Ich möchte NPCs, die mit diesen Charakteren auf einer Augenhöhe sind, die man lieben oder hassen kann, deren Verlust schmerzt oder deren Tod uns befriedigt.
Ich möchte mehr Spielwelten wie den Wilden Westen aus Red Dead Redemption. Oder die weiten Areale eines Skyrim, die mich zur Erkundung verlocken. Oder die skurrilen Welten eines BioShock, die mich zum Staunen bringen. Ich möchte intensiver spüren, dass meine Aktionen einen Einfluss auf das haben, was im Spiel passiert, so wie es in The Witcher 2 der Fall war, oder in Heavy Rain oder eben in Mass Effect. Und wenn ich mir so anschaue, wie die Diskussion um das Ende von Mass Effect 3 verläuft, bin ich da nicht der Einzige. Denn die Diskussion kocht vor allem deswegen so hoch, weil die Spieler das Spiel mit Haut und Haaren lieben. Würden sie es nicht tun, würde sich kein Mensch über das Ende aufregen. Und mal ehrlich, es gab schon massig Spiele mit weitaus schlechteren Auflösungen, was aber kaum jemanden gestört hat.
Chancen nutzen für die Zukunft
Das Videospiel ist ein fantastisches Medium, das einem ungeheure interaktive Möglichkeiten bieten kann, deren Potenzial bisher fast nur angekratzt wurde. Ich möchte weg davon, an Marionettenschnüren durch lineare, stumpfe und vorhersehbare Handlungen gezerrt zu werden und auf austauschbare Pappfiguren zu treffen. Besorgt euch vernünftige Autoren, gebt euch mehr Mühe mit den Geschichten, erschafft Charaktere und Nebenfiguren, an die ich mich auch Wochen nach dem Spielen noch erinnere und die nicht nach fünf Minuten schon verblassen. Versucht, die Menschen mal auf emotionaler Ebene zu berühren und nicht nur Effektgewitter ohne Substanz auf den Bildschirm zu zaubern. Habt dabei auch ruhig mal den Mut, unbequem zu sein und dem Spieler eben nicht das zu bieten, was er erhofft hat, aber vergesst dabei nicht, ihm die Antworten zu geben, die er braucht.
Um Spiele besser zu machen, reicht es nicht mehr, nur Grafikbomben auf den Weg zu schicken oder an Mechaniken zu feilen, die ohnehin schon ausgereift sind. Großartige spielerische Innovationen darf man wohl in nächster Zeit ohnehin nicht erwarten. Aber beim Inhalt, da gibt es noch eine Menge Potenzial, das genutzt werden kann, um unser Lieblingshobby auf das nächste Level zu bringen. Dass wir dem nicht abgeneigt sind, zeigen die Diskussionen um Mass Effect 3, der Erfolg von Skyrim und die Liebe der Fans zu Spielen wie The Witcher 2.
Peter Molyneux behauptete neulich, die Spieleindustrie sei noch nicht bereit für Emotionen. Ich glaube, Molyneux redet mal wieder Quatsch mit Soße. Die Industrie ist auf breiter Front einfach nur noch nicht fähig genug. Aber ich glaube, das wird noch, wenn sie bereit ist, aus Diskussionen wie um Mass Effect 3 zu lernen. Wir, die Spieler, sind bereit.
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