Test - Ruined King: A League of Legends Story : Das LoL-Spin-off ist das beste JRPG seit Langem
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Hoppla! Das kam überraschend. Ganz ohne Vorwarnung wurde letzte Woche das League-of-Legends-Spin-off Ruined King veröffentlicht. „Shadowdrop“ nennt man das im Branchen-Jargon, wenn ein Spiel ohne vorherigen Release-Termin wie der Marshmallow-Man schwupps einfach da ist. Und nicht nur das: Riot Games scheint den Hype um die hochgelobte LoL-Serie Arcane auf Netflix nutzen zu wollen und schmiss neben Ruined King auch noch das Rhythmus-Spielchen Hextech Mayhem hinterher und kündigte mit dem putzigen Action-Adventure Song of Nunu und dem 2D-Action-Schnetzler Conv/rgence gleich zwei weitere Ableger im LoL-Universum an.
So ganz aus dem Nichts, wie es Vielen vorkommen mag, kam Ruined King allerdings nicht. Das League-of-Legends-Spin-off wurde bereits 2019 angekündigt und erstmals vor über einem Jahr auf den Game Awards gezeigt. Ursprünglich sollte es bereits im Frühling erscheinen, zwischenzeitlich herrschte jedoch Funkstille. Dass die Veröffentlichung nun so Holterdipolter über die Bühne ging, hat sicherlich auch mit dem riesigen Erfolg der Netflix-Serie Arcane zu tun, deren zweite Staffel mittlerweile ebenfalls bestätigt ist.
Des Königs neue Kleider
Was viele vermutlich nicht wissen: Ruined King ist im Grunde ein altbekanntes Spiel im neuen Gewand. Für das Rollenspiel zeichnete nämlich Entwicklerstudio Airship Syndicate verantwortlich, die vor allem für Darksiders Genesis bekannt sind, davor aber schon Battle Chasers: Nightwar gemacht haben, das nun die Blaupause für Ruined King liefert. Und das ist gut so!
Ich sage es frei raus: Battle Chasers ist einer meiner Lieblings-Geheimtipps der letzten Jahre, dem leider viel zu wenig Beachtung zuteil wurde. „Das beste JRPG der Gegenwart kommt nicht aus Japan“, titelte seinerzeit ein großes US-amerikanisches Spielemagazin und traf in meinen Augen damit den Nagel auf den Kopf: kaum ein anderes Rollenspiel dieser Art verfügt über ein derartig vielschichtiges und durchdachtes Runden-Kampfsystem, reißt in einen solch süchtig machenden Sog aus spielerischem Fortschritt und Belohnungen und begeistert noch dazu mit einem unverschämt coolen Comicstil, der von Darksiders-Schöpfer Joe Mardureira persönlich kreiert wurde.
Ruined King ist im Grunde seines Herzens eigentlich Battle Chasers 2. In seinem Look, in seinem Feel, in seinen Mechaniken sowieso, ja, selbst zahlreiche Grafiken, Soundeffekte und Gegnertypen wurden nahezu 1:1 aus dem „Vorgänger“ übernommen. Doch ich kreide ihm das nicht an – im Gegenteil! Meine Hoffnung ist, dass dieses fantastische Spiel durch die Verlagerung ins League-of-Legends-Universum endlich die Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfährt, die es schon im ersten Anlauf verdient gehabt hätte.
Doch Ruined King ist weitaus mehr als einfach nur das gleiche Spiel mit neuem Anstrich, sondern gewissermaßen eine Fortsetzung, wie man sie sich im Idealfall wünscht: Es baut die Stärken des Vorgängers aus und nimmt sich dessen Fehler zur Brust. Das im Original ohnehin schon famose Kampfsystem ist nun noch eine Spur vielschichtiger und ausgefeilter, und die unausgegorenen Zufalls-Dungeons weichen einer richtigen Spielwelt, die mit ihrer Geschichte lockt und erkundet werden will, statt lediglich von Level zu Level zu scheuchen. Auch das unausgewogene Balancing, das in Battle Chasers regelmäßigen Grind erforderlich machte, fällt in Ruined King von Grund auf durchdachter aus. Und einmal mehr lautet das Ergebnis: das derzeit beste JRPG. Auch wenn es streng genommen aus Texas kommt.
Champions League
Im Mittelpunkt der Geschichte von Ruined King stehen fünf Champions aus dem Hauptspiel von League of Legends: die Krakenpriesterin Illaoi, der nordische Barbar Braum, die Piratenkönigin Miss Fortune, der ehrenhafte Schwertkämpfer Yasuo, der zwielichtige Schlitzer Pyke sowie die Chimären-Füchsin Ahri, deren Wege sich schicksalhaft kreuzen und sie nach und nach als ungleiche Gefährten zur eingeschworenen Party in klassischer Rollenspiel-Tradition zusammenschweißt.
Ein schwarzer Nebel sucht die Hafenstadt Bilgewasser heim und bringt Tod und Verderben. Seine Ursache scheint mit dem jahrtausendealten Fluch eines untergegangenen Königs zusammenzuhängen, der sich von den sagenumwobenen Schatteninseln aus allmählich über die Welt ausbreitet. Ein machthungriger Magier und ein totgeglaubter Pirat wollen sich offenbar seine Macht zunutze machen, um Rache zu üben und … Weltherrschaft und sowas eben.
Wer erst durch die Netflix-Serie Arcane mit dem LoL-Universum in Berührung kam und sich nun von der Geschichte in Ruined King ähnlich facettenreiche Charaktere und epische Verwicklungen erhofft, der sollte nicht zu viel erwarten. Die Story des Taktik-Rollenspiels erfüllt zwar voll und ganz ihren unterhaltenden Zweck, den Spieler am gefälligen Haken durchs Abenteuer zu ziehen, den Grund, es unbedingt spielen zu wollen, liefert sie aber mitnichten.
Diablo trifft Final Fantasy
Wer den Quasivorgänger Battle Chasers: Nightwar nicht kennt, stellt sich Ruined King am besten als eine Art Diablo vor, aber mit Runden-Kampfsystem. Ihr bewegt euch in Iso-Perspektive und Echtzeit über die hübsch gestaltete Spielwelt in Zeichentrick-Optik. Kommt es zur Begegnung mit Feinden, trägt das Spiel den Konflikt in einem Rundenkampf aus, bei dem sich die Kontrahenten jeweils gegenüber stehen und abwechselnd ihre Angriffe, Zauber und Spezialfähigkeiten ausspielen – im Grunde ähnlich wie in den alten Final-Fantasy-Teilen. Oder mehr oder weniger jedem anderen JRPG.
Ruined King spielt hauptsächlich in zwei Regionen von Runeterra: zum einen Bilgewasser, einer geschäftigen Hafenstadt voller verwegener Seeleute und Piraten, und auf den Schatteninseln, einem verfluchten Ort, der vor langer Zeit dem schwarzen Nebel zum Opfer fiel und nun von Monstern und Geistern heimgesucht wird. An die 40 Stunden Spielzeit kommen dabei zusammen, was erstaunlich viel ist für eine solch verhältnismäßig kleine Spieleproduktion, die lediglich 30 Euro kostet und trotzdem bis oben hin vollgestopft ist mit allem, was das Genre so suchterregend macht: ein klug durchdachtes Crafting von Waffen und Ausrüstung, das zum Plündern von versteckten Schatztruhen und Erkunden von Umwegen und Sackgassen in den Dungeons motiviert, Kopfgeld-Missionen, die euch optionale Bosse jagen lassen, ja, sogar das Minispiel fürs Angeln entbehrt nicht einer gewissen Raffinesse.
Kleine Rätsel im Stile von Zelda-Tempeln lockern regelmäßig das kampfbetonte Spielgeschehen auf, und die Nebenmissionen, die an jeder Ecke wie Flugblätter an willige Abenteurer verteilt werden, offenbaren eine beeindruckende Spannweite von simplen, aber erzählerisch geradezu schelmisch gewitzten Fetch-Quests bis hin zu ganzen Mini-Abenteuern, die in einzigartige Regionen führen und oftmals die Hintergrundgeschichten der Charaktere ausführlich vertiefen.
Das Aushängeschild des Spiels ist allerdings ganz klar sein Kampfsystem. Das bildete schon das hervorstechende Merkmal von Battle Chasers und zeichnet Ruined King im Besonderen aus. Lange nicht mehr, vielleicht sogar noch nie, habe ich ein derartig durchdachtes, vielschichtiges und ausgereiftes Exemplar seiner Art erlebt. Während es zum typischen Erscheinungsbild vieler JRPGs gehört, dass man sich irgendwann auf die immer gleiche, weil optimale Vorgehensweise festlegt und viele Elemente, die einem das Spiel anbietet, ignoriert oder links liegen lässt, weil sie sich als überflüssig erweisen oder nicht so richtig mit den anderen harmonieren, nicht alle Zahnräder in der Spielmechanik jederzeit ineinander passen wollen, wirkt in Ruined King alles wie aus einem Guss.
Die Entwickler von Airship Syndicate haben meisterlich verstanden, dass Tiefe und Vielschichtigkeit nicht dadurch erreicht werden, dass man den Spieler mit Funktionen überhäuft, sondern im Gegenteil die Möglichkeiten auf ein gesundes Maß begrenzt, sie aber fein aufeinander abstimmt. Dennoch oder genau deswegen erweist sich das Kampfsystem von Ruined King als erstaunlich komplex und vielfältig, ohne dabei zu überfordern, und fährt dennoch sogar noch etliche spielerische Möglichkeiten mehr auf, als es Battle Chasers schon vormachte.
Seine Raffinesse entsteht dadurch, dass in jedem einzelnen Zug etliche Faktoren berücksichtigt und völlig unterschiedliche Aktionen gegeneinander abgewägt werden müssen, die alle ihre Vor-, aber eben auch Nachteile mit sich bringen. Das beginnt bereits beim Eröffnungszug eines jeden Kampfes, der euch eine zwickmühlenhafte Entscheidung auferlegt: Statt nämlich einfach mit der stärksten zur Verfügung stehenden Spezialattacke drauflos zu prügeln, erweist es sich in der Regel als sinnvoller, erstmal kleinere Brötchen zu backen und einen schwachen, im Grunde zunächst nutzlos scheinenden Angriff auszuführen. Denn im Gegensatz zu den mächtigeren Zaubersprüchen, die zwar ordentlich reinhauen, aber kostbares Mana aus den Reserven abziehen, das euch nachher fehlt, laden die schwächeren Angriffe euer Mana auf, das dann quasi kostenlos für spätere Aktionen zur Verfügung steht. Eine optimale Kampfstrategie plant dementsprechend stets wechselnde Phasen der Erholung und der Verwüstung ein, darf dabei aber weder die Verteidigung vernachlässigen, noch bevorstehende Angriffe der Gegner ignorieren.
Keine der unterschiedlichen Fähigkeiten im Kampf ist der anderen überlegen – für jede gibt es die passende Situation oder Taktik. Die eine Aktion richtet weniger Schaden an, fügt dafür aber Blutung oder Gift zu. Der Wirbelsturm fällt nur schwach aus, trifft aber alle Gegner gleichzeitig. Der Feuerball ist gegen schuppige Echsen und Ritterrüstungen weitgehend nutzlos, setzt Baumwesen und Zottelviecher aber in Brand. Das Sperrfeuer aus den Pistolen fetzt aus allen Rohren, trifft seine Ziele aber nur in wahlloser Reihenfolge. Und die Messerattacke verursacht lediglich kleine Fleischwunden – es sei denn, man hat sich vorher unsichtbar gemacht und überrascht dadurch ahnungslose Gegner. Dann haut sie selbst Bosse mit einem Schlag aus den Latschen. Nichts davon dürfte Rollenspielern sonderlich neu oder überraschend andersartig vorkommen. Im Gegensatz zu den meisten anderen schmecken die Entwickler bei Airship Syndicate aber die altbekannten Zutaten mit der Furiosität eines Sternekoches aufeinander ab - und klatschen nicht einfach nur die Tube Ketchup auf die Tiefkühl-Pommes aus der Fritteuse.
Alles bis dahin Beschriebene übernahm Ruined King noch nahezu identisch aus Battle Chasers. Neu ist, dass ihr auch das Timing für jede einzelne Aktion verstärkt in eure taktischen Erwägungen miteinbeziehen müsst. Hierfür ließen sich die Entwickler vom Prinzip der „Lanes“ aus League of Legends inspirieren. Die einzelnen Einheiten sind nämlich nicht einfach nur alle stur der Reihe nach im Kampf dran – stattdessen benötigt jeder Zug eine gewisse Dauer bis zur Ausführung, in deren Zwischenzeit natürlich einiges passieren kann. Schwache Angriffe werden sofort ausgeführt - je mächtiger eine Aktion jedoch ausfällt, umso länger dauert sie, bis sie wirksam wird. Ihr könnt sogar für jede einzelne Fähigkeit bestimmen, ob ihr sie in einer schwachen, aber schnellen oder einer starken, aber langsamen Variante ausführen wollt, was erheblichen Einfluss auf das Kampfgeschehen nehmen kann. Einen Heilzauber etwa in seiner mächtigsten Ausführung zu sprechen, mag verführerisch scheinen, bringt aber wenig, wenn die Gruppenmitglieder bis zu seiner Ausführung schon tot sind. Wer besonders trickreich vorgehen will, versucht zusätzlich auf den Lanes, quasi dem Zeitstrahl des Kampfverlaufes, bestimmte Zeitfenster zu treffen, um sich zusätzliche Buffs zu schnappen oder hinderlichen Debuffs zu entgehen.
Klingt kompliziert? Ist es eigentlich gar nicht, vergesst einfach alles wieder, was ich gesagt habe. Wichtig ist nur zu wissen, dass der Spaß beim Kampfsystem daraus entsteht, dass stets zahlreiche taktische Möglichkeiten gegeneinander abgewägt und auf die gegenwärtige Situation abgestimmt werden müssen – und nicht wie in vielen anderen Spielen pure Beliebigkeit zum Erfolg führt. In jedem Fitzelchen von Ruined King lauert eine vermeintliche Kleinigkeit, die sich groß auf Taktik und Vorgehensweise auswirkt – etwa auch in der Zusammenstellung der Gruppe aus den sechs verschiedenen Champions. Es macht allein schon Laune, seine 3er-Gruppe immer wieder aus neuen Kombinationen von Damage-Dealer, Tank und Heiler zusammenzustellen und dabei ständig andere Vorgehensweisen für die unterschiedlichen Kampfsituationen zu entwickeln.
Damit all die verschiedenen Spielmechaniken sinnvoll ineinander greifen können, muss der Schwierigkeitsgrad natürlich exakt auf dem schmalen Grat zwischen fordernd, aber nicht zu schwer balancieren, jedoch bei diesem Kunststückchen gerät Ruined King mitunter ins Schwanken. Wer sich ausgiebig mit den zahlreichen Nebenquests beschäftigt und seine Charaktere geschickt levelt, ist zwischenzeitlich immer mal so übermächtig, dass sich selbst Gegner besiegen lassen, die vom Spiel eigentlich noch gar nicht dafür vorgesehen sind. Genrebewanderten Spielern sei darum von Anfang an der gehobene Schwierigkeitsgrad nahegelegt. Da es insgesamt vier davon gibt, die sich zudem jederzeit wechseln lassen, findet jeder Spielertyp der breit gefächerten Zielgruppe des Spiels den für ihn passenden, egal ob JRPG-Veteran oder LoL-Abtrünniger ohne Rollenspiel-Vorkenntnisse.
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Einem Spiel für bescheidene 30 Euro muss man naturgemäß dann aber auch so manche produktionstechnische Kleinigkeit verzeihen wie die JRPG-typische Skurrilität, dass in recht willkürlichem Muster manche Dialoge vertont wurden, während andere nur als Text eingeblendet werden. Immerhin ist die Sprachausgabe komplett auf Deutsch, was keinesfalls selbstverständlich für ein solch kleines Spiel ist. Angesichts des Preises sollten sich League-of-Legends-Spieler und vor allem Arcane-Fans, die über die Netflix-Serie auf das Fantasy-Universum aufmerksam geworden sind, darüber im Klaren sein, dass sie mit Ruined King trotz hochkarätiger Marke im Namen streng genommen ein Budget-Spiel in gehobenem Indie-Format erwerben und kein LoL-Rollenspiel-Epos von den Blockbuster-Dimensionen eines The Witcher oder Dragon Age.
>> Zum Vergleich: Das Original Battle Chasers: Nightware im Gameswelt-Test <<
In der aktuellen Version kommt es zudem vor allem auf Konsolen noch zu etlichen, aber den Spielablauf glücklicherweise nur geringfügig störenden Bugs wie zum Beispiel immer mal wieder verschwindende Schaltflächen im Interface oder Schatztruhen, die auf der Übersichtskarte nicht abgehakt werden, obwohl sie schon geplündert wurden. Auch einen Absturz etwa alle fünf Stunden (PS4/5-Version) solltet ihr beim Anlegen eurer Spielstände mit einplanen. Wenn man’s positiv sehen möchte: Im Vergleich zum nahezu unspielbaren Zustand, in dem Battle Chasers dereinst erschien, kann Ruined King schon als gewaltiger Fortschritt gewertet werden.
Deutlich störender fallen die sehr häufigen und unnötig langen Ladezeiten auf – erst recht auf PS5 und Xbox Series X|S, auf denen sie eigentlich gar nicht mehr vorhanden sein dürften. Allerdings laufen auf den Next-Gen-Konsolen derzeit noch die unveränderten Versionen für PS4 und Xbox One, die noch nicht für die neue Hardware optimiert wurden. Speziell auf die neue Generation zugeschnittene Updates befinden sich derzeit noch in Entwicklung und werden die Performance in absehbarer Zeit hoffentlich deutlich verbessern. Löblicherweise werden sie für Käufer der Last-Gen-Fassungen kostenlos zur Verfügung gestellt.
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