Test - Return to Monkey Island : Hinter dir, ein dreiköpfiger Nostalgie-Flash!
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Da ist es nun also: Das Spiel, mit dem keiner mehr gerechnet hat – ein neues Monkey Island von seinem Schöpfer Ron Gilbert persönlich. Dieser hatte LucasArts seinerzeit nach Teil 2 verlassen, weswegen die Nachfolger ohne seine Mitarbeit entstanden. Mancher war durchaus gelungen (Teil 3 und 5), mancher weniger (Teil 4), doch stets trieb Fans die Frage um, wie die Geschichte weiter gegangen wäre, hätte Gilbert sie selbst geschrieben. Insbesondere das rätselhafte Ende von Monkey Island 2 harrt seitdem einer befriedigenden Auflösung. Return to Monkey Island gibt sie nun, vorerst nur für PC und Switch.
Nach der Fertigstellung von Monkey Island 2 verließ Ron Gilbert seinerzeit LucasArts, gründete seine eigene Firma Humongous Entertainment (sowie deren bekanntere Tochter Cavedog) und widmete sich den durchaus charmanten, aber (insbesondere hierzulande) wenig beachteten Kinderspielen um das lebendige Auto Putt-Putt. Danach versuchte er sich mit Total Annihilation an einem Echtzeitstrategie-Spiel, doch auch wenn dieses durchaus erfolgreich war, blieb ihm und seiner Firma der große Durchbruch verwehrt. Gilbert zog sich in die Indie-Nische zurück, wirkte am Action-RPG DeathSpank und dem Puzzle-Plattformer The Cave mit, bevor er 2017, also ziemlich genau 30 Jahre nach seinem Debüt Maniac Mansion, mit Thimbleweed Park zum Adventure-Genre zurückkehrte und allen nachgewachsenen Emporkömmlingen zeigte: der Grumpy Old Man hat es immer noch drauf.
Ron Gilbert ist in gewisser Weise eine tragische Figur der Spielehistorie, denn während er diese wie nur wenige andere Entwicklerpersönlichkeiten maßgeblich mitgeprägt hat und dafür von seinen Fans kultisch verehrt wird, ist es ihm im Gegensatz zu vielen seiner damaligen Weggefährten nicht gelungen, später daran anzuschließen oder ein Entwicklerstudio aufzubauen, das irgendwann für Millionenbeträge von einem großen Publisher geschluckt wird. Ron Gilbert wird immer „Mr. Monkey Island“ bleiben und gemeinsam mit seinen Fans sehnsüchtig auf diese Zeit zurückblicken.
Seit Jahren treibt ihn daher der Wunsch um, sich die Marke zurückzuholen, um die Serie nach seinen eigenen Vorstellungen fortzuführen. Doch LucasArts selbst rückte die Rechte dafür nicht raus, und als die Firma vom Disney-Konzern übernommen wurde, war dieser erstmal nur an der Star-Wars-Lizenz interessiert und ignorierte die Schätze, auf denen er sonst so alles saß. Erst als Disney die Marke Lucasfilm Games wieder ins Leben rief – nicht als Spieleentwickler, sondern im Grunde nur als Büro, das die Vergabe der Star-Wars-Lizenz an Videospiel-Publisher verwaltet und das Geld dafür scheffelt – tat sich auf einmal die Chance auf, die schon abgehakt schien. Klopf, klopf. „Mein Name ist Ron Gilbert, und ich will wieder Pirat werden!“ Und erstmals lautete die Antwort nicht: „Das klappt so nicht.“
Der Fluch von Monkey Island
Doch offenbar hatte Gilbert unterschätzt, dass der Fluch von Monkey Island nicht nur auf seinem Helden Guybrush Threepwood lastete, sondern vor allem auf seinen eigenen Schultern schwer wog. Mit The Secret of Monkey Island und dessen Nachfolger hatte er einen Meilenstein der Spielegeschichte geschaffen, der nicht nur sämtliche Adventures danach maßgeblich prägte, sondern auch in einer geradezu mystischen Verehrung zu Gilberts persönlichem Monster wurde, das ihn heimsuchen sollte. Wer heutzutage über Adventures spricht, der kann gar nicht anders, als über Monkey Island zu sprechen. Ohne dieses Spiel wäre das Genre vermutlich Ende der 90er endgültig ausgestorben, wie es ihm mehrfach prophezeit wurde, und vermutlich hätte es Entwickler wie Telltale, Daedalic, King Art oder Deck13 nie gegeben, die allesamt damit groß wurden, diesem einen Spiel nachzueifern, das allen Gamern kollektive Kindheitserinnerung ist.
Ganz unerwartet wurde daher die Reise zurück zu den Wurzeln, die Gilbert mit Return to Monkey Island antrat, keine fröhliche Klassenfahrt in die eigene Vergangenheit, sondern zunächst eine der unvorhergesehenen Strapazen. Gilbert fand sich plötzlich einem Druck und einer toxischen Atmosphäre in der eigenen Community ausgesetzt, die er maßlos unterschätzt hatte. Die ersten Screenshots aus dem Spiel traten einen Shitstorm los, weil den Fans der neue Grafikstil nicht gefiel, sodass sich Gilbert resigniert von sämtlichen sozialen Medien zurückzog.
Die Fans hätten Monkey Island in ihrer nostalgischen Verklärung zu etwas gemacht, das es nicht gibt, gab er bedauernd in Interviews zu verstehen, weil er sich auf einmal mit Erwartungen konfrontiert sah, die er unmöglich erfüllen konnte, Erwartungen, die allenfalls mit einem neuen Star-Wars-Film vergleichbar sind. Gilberts Ansinnen sei es stets nur gewesen, ein möglichst unterhaltsames Spiel abzuliefern. Doch auf einmal wurde er an einer persönlichkeitsprägenden Erfahrung gemessen, die eine ganze Generation und ihr Verhältnis zur Popkultur mitdefiniert hat.
Nun, so sympathisch Gilberts Bescheidenheit zu werten ist, so Unrecht hat er damit. Monkey Island prägte die Spielegeschichte wie wenige andere Spiele und das nicht zufällig in gleich mannigfaltiger Weise. Zum einen weil es Computerspielen etwas beibrachte, das sie bis dato nicht kannten: Humor. Bis auf wenige Ausnahmen wie die direkten Konkurrenten Space Quest und Leisure Suit Larry drehten sich Spiele damals vor allem um Action, Sport, Strategie, Geschwindigkeit oder Geschicklichkeit. Aber dass sie auch mit Witz und Schlagfertigkeit unterhalten konnten, war weitgehend neu. Gilbert versinnbildlichte diesen Umbruch sogar symbolisch in den Schwertkampfduellen, in denen der Sieger mit der spitzesten Zunge und nicht der spitzesten Klinge ermittelt wurde.
Auch machten sich die Entwickler bei LucasArts als eine der Ersten überhaupt über etwas Gedanken, das heute fester Bestandteil einer jeden Spieleentwicklung ist: Zugänglichkeit. Monkey Island sollte seine Spieler nicht nerven oder frustrieren, indem man etwas falsch machen oder sterben konnte – es sollte einfach nur unkomplizierten Spaß bereiten. Und zu guter Letzt war da natürlich dieses ganz besondere Flair, das endgültig dafür sorgte, dass Monkey Island bis heute nicht einfach nur als gutes Spiel in Erinnerung ist, sondern als Erfahrung, die auch emotional einen festen Platz im Herzen seiner Spieler eingenommen hat, aus dem es nicht mehr wegzudenken ist: seine fast schon körperlich spürbare Atmosphäre in der Schwüle dieser sternklaren, grillendurchzirpten Nacht auf Melee Island, die verwegenen Abenteuer zwischen spitzbübischen Schwertkämpfen und großer Seefahrt, die Idylle malerischer karibischer Inseln.
„Hinter dir, ein dreiköpfiger Affe. Du kämpfst wie eine Kuh. Ich verkaufe diese Lederjacken. Das X markiert die Stelle. Ich bin Gubyrush Threepwood, und ich möchte Pirat werden“, und viele andere … Wie allenfalls Star Wars, Ghostbusters oder Goethes Faust (auch dort gab es schon so etwas wie einen tödlichen Piranha-Pudel) erreichte Monkey Island einen Stellenwert in der Popkultur, auf dem quasi jedes Zitat in den allgemeinen (Nerd-)Sprachgebrauch übergegangen ist. Gilbert gelang dadurch das Kunststück, in gewisser Weise zu den Ikonen seiner eigenen Kindheit aufzuschließen, George Lucas und Steven Spielberg, denen er in regelmäßigen humoristischen Anspielungen huldigt, ohne dabei den häufig gemachten Fehler zu begehen, sich lediglich als parodistischer Trittbrettfahrer pausenlos zwinkernd mit der eigenen Geek-Bubble zu verbrüdern. Monkey Island, das zeigt bereits das seinerzeit vollkommen uncoole und daher weitgehend unberührte Piraten-Setting, war etwas ganz Eigenes.
Ron Gilbert (und nicht zu vergessen sein Kompagnon Dave Grossman, der stets etwas in seinem Schatten stand) war es ein Herzenswunsch, irgendwann dorthin zurückkehren, vermutlich auch, weil sich die Macher von Teil 3 reichlich unbefriedigend um eine Auflösung des surrealen Endes von Teil 2 herumdrückten (das im Übrigen nicht auf Gilberts Konto geht, sondern dem irren Hirn von Tim Schafer entsprang). Als ich Gilbert vor einigen Jahren, 2012 anlässlich seines Spiels The Cave, im Interview darauf ansprach, musste er eingestehen, dass er noch keine rechte Idee hatte, wie er selbst damit umgehen würde, doch war ihm klar, dass er genau daran ansetzen würde.
Nun, genau das hat er jetzt getan, und die Art und Weise, mit der er es tut, kommt geradezu einem Geniestreich gleich, wie man ihn nur vom Meister persönlich erwarten kann. Keine Sorge, ich werde nichts verraten, doch Gilbert gelingt es, nicht nur das Ende einer akzeptablen Deutung zuzuführen, er schafft damit gleichzeitig den Übergang zu seinem „real Monkey Island 3“, ohne dabei aber arrogant die anderen Fortsetzungen, an denen er nicht beteiligt war, aus dem Kanon zu streichen. Vor allem aber gelingt ihm ein höchst charmanter Einstieg ins neue Abenteuer: Return to Monkey Island.
Das Geheimnis von Monkey Island
Es ist schon lange ein Running-Gag in der Reihe: Was ist denn nun eigentlich das Geheimnis von Monkey Island, das dem ersten Spiel seinen Namen gab? Schon der (eher unbeliebte) vierte Teil ging dieser Frage nach, und Guybrush Threepwood möchte sie nun, im mittlerweile sechsten Teil, endgültig beantwortet wissen. Daher kehrt er zurück an den Ort, tief in der Karibik, Melee Island, wo alles begann. Dort steht er immer noch, der Späher am Lagerfeuer auf der Klippe, dem Guybrush einst mit den legendären Worten von seinem Vorhaben erzählte: „Ich bin Guybrush Threepwood, und ich möchte Pirat werden.“
Doch diese Zeiten sind vorbei. Nicht nur die Fans von damals, auch Gilbert, Grossman und Guybrush sind älter geworden. Monkey Island 6 ist daher so etwas wie ein Klassentreffen aus den Spielern, Machern und Charakteren von einst, die alle noch einmal zusammenkommen, um sich der alten Zeiten zu erinnern.
Kaum auf Melee Island eingetroffen, muss Guybrush erfahren, dass sein Erzrivale LeChuck denselben Plan verfolgt wie er selbst: das Geheimnis von Monkey Island zu lüften und dessen unbändige Macht freizusetzen – was immer diese sein mag. Also beginnt ein Wettrennen zwischen den beiden, das zunächst exakt dem Muster des ersten Teils folgt: Guybrush muss ein Schiff und eine Crew auftreiben, auf hoher See den Weg nach Monkey Island ausbaldowern und dort schließlich das X finden, das die Stelle markiert.
Und so wird nicht nur die Kette der Ereignisse ins Rollen gebracht, sondern vor allem auch die unvermeidbare Fanservice-Lawine. Monkey Island 6 geht einen ähnlichen Weg wie Star Wars: Episode 7, indem es über weite Strecken eine Geschichte erzählt, die es schon gibt, in dem Glauben, den Fans damit zu liefern, was sie verlangen. Wir sind zurück auf Melee Island mit all seinen Orten, die mittlerweile ikonischen Status besitzen, sofort vertraut, aber im Laufe der Zeit doch anders geworden: Der Hafen mit der Scumm Bar, in dem die grogseligen Piratenkapitäne gastieren, die verwinkelte Gasse mit dem Uhrturm, der noch immer dieselbe Stunde anzeigt, die Gouverneursvilla, der labyrinthische Wald und die Werft, wo einst Gebrauchthändler Stan seine Schiffe zu Wucherpreisen verhökerte, wovon mittlerweile nur noch ein verfallenes Bürohäuschen kündet.
Denn Return to Monkey Island ist nicht nur die nostalgische Rückkehr an Plätze, die Spielegeschichte geschrieben haben, sondern auch Sinnbild des wehmütigen Erinnerns einer Generation von Spielern, die heute in dem Alter sind, wo man die Vergangenheit nicht nur nostalgisch verklärt betrachtet, sondern auch schon gelegentlich davon murmelt, dass früher ja alles besser gewesen sei. Adventurespiele zum Beispiel, die damals die Blockbuster ihrer Zeit gewesen sind und heute ein Nischendasein als brotlose Indie-Games fristen, keine erinnerungswürdigen Momente mehr schaffen, sondern diese lediglich anrufen.
Gilbert und seinem Team von Terrible Toybox gelingt es höchst geschickt, dieses Spannungsverhältnis subtil zwischen den Zeilen heraufzubeschwören. Return to Monkey Island umweht stets der Hauch des Niedergangs einer Ära, von deren glorreichen Zeiten allenfalls Spuren künden: Aus der einst sagenumwobenen Schwertmeisterin ist eine Politikerin geworden, die nicht mehr mit tollkühnen Herausforderern, sondern mit Bürgerbeschwerden zur Erdbeben-Versicherung und Aufklärungskampagnen zur Skorkub-Prävention zu kämpfen hat, während ihre Hütte jetzt als Museum fungiert, das die Relikte der guten alten Zeit (also Items aus den Vorgängern wie der geschmolzene Krug oder die Schatzkarte zu Big Whoop) ausstellt, an die sich die Besucher aber nur noch unscharf erinnern.
Return to Monkey Island möchte die Geschichte erzählen von den einstigen Helden, die ein letztes Mal zu den Abenteuern aufbrechen, die sie zu ihrer Glanzzeit erlebt haben, doch mittlerweile in einer Welt leben, in die sie nicht mehr so recht zu passen scheinen. Der Berufswunsch Pirat ist dem von Anwalt und Marketing-Stratege gewichen, die mittlerweile die wahre Macht in dieser schönen neuen Welt ausüben. Plündern und Brandschatzen sind nicht mehr romantisierte Leidenschaft und Lebensinhalt, sondern Tätigkeitsfelder, die arbeitsrechtlich organisiert und durch flache Hierarchien auch mal demokratisch infrage gestellt werden, und die daraus entstehenden Konflikte mit den Arbeitnehmern werden nicht durch Kielholen oder Meuterei beigelegt, sondern durch Verhandlungen mit der Gewerkschaft. Ein Despot wie LeChuck wirkt inmitten seiner Crew wie die aus der Zeit gefallene Parodie auf einen cholerischen Chef, der sich durch Einschüchterung zwar erzwungene Loyalität verschafft, aber schon lange keinen Respekt mehr.
Return to Monkey Island ist in diesem Sinne auch Spiegel seiner Zeit und veranschaulicht den Wandel, den die reale Welt seit dem ersten Teil vollzogen hat: Die Gentrifizierung hat Geschäfte wie den Voodoo-Shop und den Krämerladen in die Insolvenz getrieben, wie die Influencer von heute machen sich Helden nicht mehr durch aufsehenerregende Taten einen Namen, sondern durch die richtige Kommunikationsstrategie, und wie die Corona-Schwurbler glauben die Skorbut-Leugner unter den Piraten lieber wirren Parolen als komplizierten wissenschaftlichen Fakten.
„Wie passend, du kämpfst wie eine Kuh“
Offenbar war da aber zunächst erstmal noch eine ganz, ganz dicke Kuh, die Ron Gilbert erst vom Eis schaffen und dadurch mit seinem eigenen Mythos aufräumen musste. Die erste Hälfte folgt das Spiel nämlich noch recht einfallslos exakt dem Ablauf des ersten Teils. Von der Scumm Bar bis zu den Lavahöhlen unter dem Affenkopf – Return to Monkey Island ist zunächst ein einziges großes Reenactment des Originals und offenbart damit seinen eigentlichen Zweck: Erinnerungen heraufzubeschwören und darin ausgiebig zu schwelgen, ohne substanziell neue zu schaffen.
Otis sitzt wieder im Gefängnis, Stan gestikuliert wild mit seinen karierten Armen, das Labyrinth im Wald erfordert zunächst eine Karte, und im Voodoo-Laden weiß die telepathische Lady immer schon vorher, was Guybrush gleich sagen will. Nur Cobb ist es Leid, jedem Passanten immer noch über Loom zu erzählen. Selbst die Musik variiert lange Zeit lediglich die bekannten Motive zwischen der Reggae-Erkennungsfanfare bis zu LeChucks düsterem Marsch. Nicht einmal Gilberts unnachahmlicher Humor will in der Anfangsphase so recht zünden.
Doch ist die Kuh dann erstmal vom Eis und hat Gilbert mit seinem eigenen Vermächtnis abgeschlossen, gemeinsam mit den Fans noch ein letztes Mal eine Ehrenrunde durchs alte Seemannsgarn gedreht, so öffnet sich Return to Monkey Island schließlich, macht Platz für neue Ideen, neue Abenteuer, neue Figuren, neue Gags und neue Erlebnisse. Fünf Schlüssel müssen gefunden werden, um das Geheimnis von Monkey Island zu entschlüsseln, und abermals muss dafür die ganze Karibik bereist werden: das malerische Scurvy Island mit seinen Palmenplantagen, die unheimliche Schreckensinsel mit ihren giftigen Sümpfen und finsteren Höhlen und das eisige Brr Muda, wo sich Guybrush zur Königin krönen lassen und dafür, mal wieder, drei Prüfungen bestehen muss.
Böse Zungen mögen behaupten, Return to Monkey Island folge dabei lediglich dem Ablauf des zweiten Teils, nur mit anderen Inseln, aber das will ich mal überhört haben bzw. es als Argument umdrehen, um dem Spiel einen ähnlich geschmeidigen Spielfluss zu attestieren, wie ihn nur Monkey Island 2 zu erzeugen wusste: Durch seine extrem nicht-lineare Spielweise, die man gewissermaßen auch als Open-World-Erlebnis umschreiben kann, streut das Spiel seine zahlreichen offenen Handlungsfäden in alle Richtungen aus, die man beliebig aufgreifen kann, wenn man woanders gerade nicht weiterkommt. Return to Monkey Island erzeugt dadurch einen exzellenten Schwierigkeitsgrad, der immer machbar ist und den Fluss nie zu lange ins Stocken bringt. Notfalls hilft eine eingebaute Tipp-Funktion (oder unsere Return to Monkey Island Komplettlösung). Auch gibt es wieder einen Easy-Modus nahezu ohne Rätsel; dessen Sinn hat sich mir aber schon in Monkey Island 2 nicht wirklich erschlossen.
Beim Rätsel-Design geht Ron Gilbert generell keine Experimente ein, demonstriert aber gerade dadurch noch einmal seine wahre Klasse und die seiner Weggefährten von einst und die Gründe, warum diese Spiele einen solchen Legendenstatus erreichen konnten, während das etwa den Konkurrenten von Sierra mit ihren oftmals spröden Einfällen nur eingeschränkt gelang. Ich habe jedenfalls aufgehört zu zählen, wie oft ich in den letzten Jahren Point-n-Click-Adventures von Runaway über Geheimakte Tunguska bis Baphomets Fluch für ihre bräsigen Item-kombinier-Rätsel mit Bastelstunden-Charme kritisiert habe.
Auf den ersten Blick machen diese Nachahmer nicht viel anders als die Veteranen von LucasArts, doch gehen Letztere unvergleichlich geschickter dabei vor. Sie entwickeln zum Beispiel regelmäßig vorkommende Muster für bestimmte Rätsel (wie das Fälschen von Schlüsseln bei der Schlosserin), die sie immer wieder aufgreifen, aber stets kreativ variieren, sodass die vorherige Methode eben plötzlich nicht mehr funktioniert und durch eine Abwandlung davon ersetzt werden muss. Sie stellen die Spieler nicht einfach nur vor Probleme, sondern greifen ihnen gleichzeitig dezent unter die Arme, indem sie die Lösung in subtilen Pointen codieren, oder sie unterwandern Erwartungen, die sie selbst geschaffen haben, indem die offensichtliche Aktion erst ein Stück weit um die Ecke gedacht werden muss, um passgenau mit der Aufgabenstellung abzuschließen. Die Lösungen von Monkey-Island-Rätseln fordern stets Fantasie ein – und keine Kenntnisse als Handwerker. Selbst Dialoge werden bei Gilbert nie einfach nur gelangweilt durchgeklickt, es werden pointierte Unterhaltungen geführt.
Gleichwohl muss ihnen attestiert werden, dass mancher Nachahmer, speziell die Hamburger Entwickler bei Daedalic, in der Zwischenzeit kühner und konsequenter darin auftraten, die Genre-Mechanismen an ihre kreative Grenzen zu dehnen - von den zahlreichen höchst innovativen Entwicklungen, die narrative Spiele im Indie-Bereich gerade vollziehen, ganz zu schweigen. Während sämtliche Adventure-Entwickler der letzten 20 Jahre Monkey Island als Blaupause nacheiferten und Gilbert dadurch wie einem Götzen huldigten, thront dieser mit seinem neuesten Werk nicht mehr gottgleich über ihnen, sondern reiht sich bescheiden in ihre Reihen ein. Stünden nicht die Namen Monkey Island, Ron Gilbert und Dave Grossman auf dem Umschlag, Return to Monkey Island würde vermutlich einfach nur als ein weiteres Indie-Adventure wahrgenommen, eines der besseren zweifellos, aber eben nur als eines unter vielen. Es ist nicht „The real Monkey Island“, das nur der Meister persönlich entwerfen kann, sondern eben die Rückkehr nach Monkey Island, wie an einen Urlaubsort, an dem man seine Kindheit verbracht hat und ihn erneut aufsucht, nicht um neue Erinnerungen zu schaffen, sondern sich der Freude an die alten hinzugeben.
Stil ist nicht das Ende des Wischmopps
Tja, und dann ist da eben noch die Diskussion über den Grafikstil, der im Vorfeld für viel Unfrieden gesorgt hat. Halten wir hierfür zunächst einmal fest, dass, wer den Stil von Return to Monkey Island kritisieren will, sich als Erstes der Realität stellen und sich darüber bewusst sein muss, dass ein Adventure heute keine AAA-Produktion mehr ist wie ehedem, sondern ein schmal budgetiertes Indiespiel für günstige 25 Euro. Sicherlich hätte Gilbert den Pixel-Look des Originals imitieren können, wie er es auch in Thimbleweed Park tat und wie es derzeit gerade im Indie-Bereich groß in Mode ist. Doch das wäre nicht seine Art gewesen. Monkey Island 6 ist inhaltlich schon genug retro – wenigstens im Look sollte es frisch und zeitgemäß in Erscheinung treten.
Handelte es sich nicht ausgerechnet um Monkey Island, jeder Rezensent würde vermutlich schreiben, dass der Stil auf hübsche Weise sein niedriges Produktionsbudget kaschiert. Oder etwas in der Art. Und tatsächlich wirkt der Stil im animierten Zustand nicht mehr ganz so dilettantisch und fremdartig, wie er im ersten Moment im Trailer noch angemutet haben mag. Die Charaktere bewegen sich wie die Figuren im Scherenschnitt-Theater, deren starre Gliedmaßen um die Schrauben an den Gelenken kreisen. Das mag für manchen sicherlich etwas billig wirken und einen Bruch mit den verwunschenen VGA-Grafiken von einst bedeuten, übt aber auch eine ganz eigene Faszination aus, die zudem den theaterhaft erzählten Eindruck des Geschehens verstärkt, bei dem ja zwischen Grog-Automaten und Voodoo-Zauberei schon immer nie so ganz klar war, ob das Abenteuer gerade wirklich passiert oder maßlos übertriebenes Seemannsgarn spinnt.
Darüber kann man jedenfalls streiten, es aber auch bleiben lassen. Mir persönlich sind die Hintergründe mit ihren wenigen, flächigen Farben auch etwas zu simplistisch. Gerade von der Atmosphäre des ursprünglichen Spiels, das von seinen Sternenhimmeln und verwunschenen Panoramen lebte, geht viel verloren, andererseits profitieren gerade die düsteren Szenen wie LeChucks Schiff mit seinem bedrohlich roten Funkeln von der reduzierten, gezielt akzentuierenden Farbpalette. Ich will aber gar nicht weiter darauf eingehen. Man muss den neuen Stil nicht lieben, aber wer das Spiel dafür hasst, der hat es nicht besser verdient.
Sprechen wir stattdessen lieber noch schnell über ein paar Stichpunkte, die der eine oder andere womöglich gerne noch abgehakt wissen möchte. Zum Beispiel die Controller-Steuerung für Switch, die in mancherlei Hinsicht etwas umständlicher ausfällt als nötig (v.a. bei der Inventar-Verwaltung), insgesamt aber für ein Point-n-Click-Adventure schon in Ordnung geht. Spielzeit? Etwa 8 bis 10 Stunden, abhängig natürlich auch davon, wie sehr man der Versuchung widersteht zu spicken. Vertonung? Nur auf Englisch (mit deutschen Untertiteln), aber hervorragend und wieder mit Dominic Armato als Guybrush. Gibt es wieder Beleidigungsduelle? Ganz ehrlich: zum Glück nicht. Gilbert hatte sie schon in Teil 2 weggelassen, um sich nicht zu wiederholen. Dafür gibt es andere Rätselmechaniken, in denen sprachliche Eleganz gefordert wird. Und schlussendlich natürlich: wird es einen weiteren Teil geben? Nun, sagen wir mal so: Solange es Menschen gibt, die leuchtende Augen bekommen beim Anblick eines Inselatolls unter sternklarer Nacht und dem Schriftzug „Tief in der Karibik“, stehen die Chancen nicht schlecht …
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