Test - Marvel's Midnight Suns : Warum es eins der Highlights des Jahres ist
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Nach allem Gemunkel im Vorfeld waren wir sehr gespannt, was Marvel’s Midnight Suns am Ende denn nun wirklich für ein Spiel ist. XCOM mit Superhelden? Kartenspiel a la Hearthstone? Oder doch etwas ganz anderes? Am Ende zeigt sich, dass Midnight Suns ein erfrischender Genre-Mix ist, der weder Taktik noch Charaktere noch Erkundung noch Rollenspiel zu kurz kommen lässt. Und man stellt fest, dass die Verschiebung aus dem Oktober in den Dezember dem Spiel sehr gut getan hat.
In einige Aspekte des Spiels wollen wir zu unserem Test gar nicht mehr zu tief einsteigen – einiges davon haben wir bereits in unseren Ersteindrücken aus der Testversion detailliert abgefrühstückt. Das ist zumindest der Plan. Der vermutlich wieder mal nicht aufgehen wird. Nach rund 60 Stunden sind wir mit der Kampagne durch, haben reichlich Nebenkram erledigt und auch die Abtei nahezu vollständig erkundet. Zeit für das finale Review zu dem Taktikbrocken.
Worum geht es?
Als Hydra, die fragwürdige Organisation, die Marvel-Fans hinreichend bekannt sein sollte, die Dämonenkönigin Lilith ins Leben zurück holt, wachsen die Gefahren für die gesamte Welt und auch die Avengers geraten unter Druck. Iron Man, Doctor Strange und Captain Marvel suchen nach schweren Verlusten Hilfe in der Abtei von Caretaker. Besagte Hüterin des Refugiums hat eine Idee und ruft kurzerhand Hunter ins Leben zurück, das Kind von Lilith und womöglich das einzige Wesen, das in der Lage ist, Lilith zu schlagen.
Daraus entsteht nicht nur eine Allianz aus verschiedenen Helden aus den Reihen der Avengers und der Midnight Sons, darunter Blade, Ghostrider und Nico Minoru, sondern auch erstmals ein selbst konfigurierbarer Superheld. Die Anpassungsmöglichkeiten bei der Erstellung von Hunter sind zwar überschaubar, werden aber im Laufe des Spiels durch massig Freizeitkleidung, Superheldenkostüme und Farbpaletten erweitert – auch für den Rest der Heldentruppe. Mikrotransaktionen gibt es übrigens auch, aber lediglich für weitere Kostüme und Farbpaletten, nicht für zusätzliche Karten.
Die umfangreiche, durch zahlreiche Dialoge und Zwischensequenzen erzählte Geschichte, lässt euch diese Allianz schmieden und festigen. Nebenher erfahrt ihr eine Menge von der Geschichte, den Hintergründen und persönlichen Beweggründen der anderen Superhelden. Midnight Suns orientiert sich dabei vor allem an den Comics, die MCU-Filme werden mehr oder minder außen vor gelassen. Das ergibt in sofern Sinn, weil die Entwicklung bereits vor sieben Jahren begonnen wurde, während einige der Helden erst später ihre Auftritte in MCU-Filmen hatten.
Die gut erzählte Story, die einige spannende Wendungen hat, schickt euch durch eine ganze Reihe von taktischen Missionen, in denen ihr Hydra, Lilith und ihre Anhänger bekämpfen müsst. Firaxis beweist dabei unerwartet erzählerisches Können, das sich vor bekannten Rollenspielen durchaus nicht verstecken muss. Ergänzt werden die Storymissionen durch optionale Nebenmissionen, die vor allem dazu dienen, neue Heldenkarten und Ressourcen für den Ausbau der Abtei oder das Upgrade der Karten zu erlangen.
Die Abtei überrascht mit offenen Arealen
Nebenher gibt es aber noch anderes zu tun. Die Abtei als euer Hauptquartier verfügt über ein umfangreiches Open-World-Areal, das ihr nach und nach erkunden und von dem ihr neue Bereiche freischalten könnt. In dem Areal warten nicht nur Hintergrundinformationen, sondern auch einige Rätsel, ebenso wie Ressourcen oder Kostüme und Skins. Hinzu kommen etliche Interaktionen mit den Bewohnern der Abtei, von story-relevanten Dialogen bis hin zum gemeinsamen Abhängen zum Vertiefen der Freundschaften.
Der Ausbau der Beziehungen ist ein durchaus wichtiges Element und erinnert stark an ältere Bioware-Titel wie Mass Effect oder Dragon Age. Jeder Superheld hat seine Eigenheiten und Motive, jeder seine eigene Geschichte. In Dialogen mit Multiple-Choice-Dialogen könnt ihr euch ausgiebig mit den Figuren beschäftigen. Schafft ihr es gar, die Freundschaften massiv auszubauen, winken Belohnungen in Form von passiven Boni, solltet ihr die jeweiligen Helden mit ins Gefecht nehmen. Nach und nach wachsen einem die anderen Superhelden tatsächlich ziemlich ans Herz und auch denjenigen, die nicht unbedingt Marvel-Fans sind, werden die Charaktere sehr gut nahegebracht.
In der Abtei könnt ihr eure Helden trainieren oder sie ins Lazarett schicken, falls sie im Einsatz verletzt werden. Ihr schickt einzelne Helden auf Heldenmissionen, durchforstet Bücher und Dokumente, sucht nach Gemälden, plündert Kisten. Zudem könnt ihr nach und nach Helixe erforschen, um neue Karten zu erhalten, Karten aufwerten und modifizieren, Einrichtungen upgraden oder Kampfgegenstände herstellen. Das alles geht relativ flott von der Hand und benötigt nur wenig Einarbeitung und ihr könnt mit Vergnügen zuschauen, wie eure Helden immer mächtiger werden.
Mit der Zeit entwickelt sich ein angenehmer Spielfluss, zumal die Handlung in Tage, aber ohne Zeitdruck, unterteilt ist. Nach dem Aufwachen starten die ersten Interaktionen mit den anderen Charakteren, ihr forscht, trainiert und baut aus und erkundet auf Wunsch weitere Abschnitte der Abtei. Sobald ihr am Spiegeltisch eine Mission startet, ist Schluss mit den meisten Nebenaktivitäten und es geht mit einem Dreierteam in den Einsatz. Ist der Einsatz vollbracht, warten zumeist erneut Interaktionsmöglichkeiten mit den anderen Superhelden.
Das klingt nach sehr viel Routine, artet aber nicht in Langeweile aus, da ihr stets selbst Einfluss darauf habt, was ihr macht und was nicht. Zudem sind die „Arbeitstage“ von Hunter relativ kurz. Rechnet man die Missionen dazu, die zumeist zwischen 10 und 30 Minuten dauern, ist ein Tag in Midnight Suns locker in 30-60 Minuten zu schaffen. Ziemlich angenehm, somit wird keine Aufgabe zu langatmig und auch Spieler, die nicht so viel Zeit zum Zocken haben, können immer wieder ein Häppchen zwischendurch genießen.
So funktionieren die Karten
Herz der taktischen Kämpfe sind natürlich die Superhelden und ihre Kartendecks. Midnight Suns hat dabei nichts mit Kartenspielen a la Gwent oder Hearthstone zu tun. Die Karten sind quasi die Skills der einzelnen Helden und jeder Held verfügt über einen eigenen Kartensatz. Die Karten erspielt ihr dabei vorrangig durch Belohnungen und das Erforschen von erbeuteter Helix in der Schmiede. Dabei erhalten immer nur die Helden Karten, die bei der jeweiligen Mission beteiligt waren.
Jedem Helden könnt ihr ein Deck aus acht Karten nach Wahl verpassen. Damit habt ihr ein wenig Einfluss darauf, ob euer Held sich in bestimmten Gebieten spezialisieren soll und welche Karten euch im Kampf zur Verfügung stehen können. Karten können aufgewertet werden, indem ihr doppelte Karten dafür verbraucht. Zudem können Karten später modifiziert und anhand von Bauplänen auch selbst gefertigt werden. Nicht benötigte Karten können gegen Ressourcen vernichtet werden.
Die Karten umfassen einen breiten Bereich von Aktionen – von direkten Angriffen auf Einzelgegner oder Fläche über Buffs oder Heilungen bis hin zu Verteidigungsverbesserungen. Hunter beispielsweise verfügt über viele Einzelattacken sowie Heilungskarten, während Captain America vor allem auf Schild und Verteidigung setzt. Dank Helden wie Nico oder Magik sind auch reichlich magische Varianten verfügbar. Vor allem in den höheren der insgesamt acht Schwierigkeitsgrade wird das geschickte Zusammenstellen der Decks und Teams ein extrem wichtiger Faktor.
Die Karten unterscheiden sich zudem in zwei Arten. Standardkarten bauen Heldenpunkte auf, die weitaus mächtigeren Superheldenkarten verbrauchen diese. Das Management dieser Heldenpunkte ist ein wichtiger Faktor in den Kämpfen. Ergänzt wird das Ganze durch Kampfgegenstände, die euch verschiedenste Boni verpassen und über ein Auswahlmenü im Kampf eingesetzt werden können. Praktisch: mit der Zeit könnt ihr ein Übungsgelände freischalten, in welchem ihr mit einzelnen Helden üben und diese auch leveln könnt. Zudem gibt es ab einer gewissen Freundschaftsstufe für jeden Helden auch noch Herausforderungsmissionen.
So laufen die Kämpfe ab
Die Kämpfe schicken euch in relativ eng begrenzte Areale, eher wie kleine Arenen in unterschiedlichen Umgebungen. Zu Beginn wird aus den Decks der drei von euch eingesetzten Helden eine Hand aus Karten gezogen. Pro Runde habt ihr – unmodifiziert – drei Aktionen, um Karten auszuspielen, sprich Skills einzusetzen. Pro Runde könnt ihr zwei Karten nachziehen, was den Zufallsfaktor ein wenig entschärft. Hinzu kommt eine Bewegungsaktion und ihr könnt im gesamten Kampf maximal drei Kampfgegenstände einsetzen.
Der Kampf setzt auf mehrere Aspekte. Zunächst natürlich, welche Skills (also Karten) ihr in der Runde ausspielen könnt. Dann natürlich, welche Gegner euch gegenüber stehen. Wichtig ist natürlich auch das Missionsziel. Gilt es, die Gegner zu vernichten oder vielleicht binnen einer bestimmten Anzahl von Runden verschiedene Objekte zu bergen oder einen feindlichen Agenten zu fangen? Welche Synergien bestehen zwischen den Angreifern? Wird vielleicht einer von einem weiteren geschützt?
Ein weiterer Aspekt ist die Umgebung. In so ziemlich jedem Level gibt es Objekte, die ihr in den Kampf einbeziehen könnt. So gibt es Gegenstände, die einmalig geworfen werden können, explosive Fässer, Laternenmasten, die ihr umtreten könnt oder Stromkästen, in die Gegner gestoßen werden können. Das alles zu berücksichtigen und aus den vorhandenen Mitteln das Beste herauszuholen, macht einen enormen Reiz dieser Spielvariante aus. Erst recht, wenn die höheren Schwierigkeiten winken und jeder Fehler euer Aus bedeuten kann.
Im Grunde passt es da ganz gut, dass ihr nicht durch das Risiko von Trefferchancen limitiert werden, sondern ziemlich genau kalkulieren könnt, welchen Effekt eure Aktionen haben. Habt ihr eure Aktionen durch, ist der Gegner dran und vermöbelt euch ordentlich (oder auch nicht). Dann geht es in die nächste Runde, die erneut mit dem Ziehen von Karten beginnt, bis endlich das Missionsziel erreicht ist oder eure drei Helden am Boden sind. In niedrigeren Schwierigkeiten könnt ihr wiederbeleben, in höheren eher nicht. Verletzte Helden landen übrigens im Lazarett und können, wenn überhaupt, nur mit Abzügen im nächsten Kampf eingesetzt werden.
Dank eines aussagekräftigen Interfaces und gelungener Bedienung, vor allem mit dem Gamepad, geht Midnight Suns wunderbar von der Hand und der Eingewöhnungsprozess geht ziemlich schnell. Selbst die Verkettung von Angriffen mit der Umgebung, beispielsweise wenn ihr Gegner in andere oder gegen Objekte stoßt, wird gut sichtbar umgesetzt, bevor ihr sie tatsächlich ausführt. Der Reiz liegt vor allem daran, aus den vorhandenen Mitteln in der jeweiligen Situation das Beste zu machen und das kann in Schwierigkeiten über „Normal“ zu einer ziemlichen Wissenschaft werden.
Wo wir dabei sind: es gibt insgesamt acht Schwierigkeitsgrade und auch ein New Game+. „Story“ ist für Spieler gedacht, die sich vorrangig auf die Story konzentrieren wollen. „Normal“ bietet hin und wieder eine Herausforderung und ab „Heroisch“ wird es langsam biestig. Die Schwierigkeitsgrade sind nicht von Beginn an freigeschaltet, sie werden anhand der von euch erzielten Missionsbewertungen nach und nach aktiviert. Zusätzliche Motivation für die Spieler, die wirklich den höchsten Schwierigkeitsgrad erhalten wollen.
Sind die ersten Missionen noch recht simpel, zieht die Komplexität nach und nach an, aber nie unfair. Selbst eine miese Kartenhand kann durch Nachziehen kompensiert werden, oder eben durch geschickte Nutzung der Umgebungsobjekte. Und die immer mächtiger werdenden Kampfgegenstände, die ihr in der Abtei produzieren könnt, werden euch auch immer mal wieder den Hintern retten. Alles in allem ist das Kampfsystem taktisch anspruchsvoll, aber eigentlich immer fair und dank der recht kurzen Dauer der Missionen wird das Ganze auch nicht zu zäh.
Kein technisches Highlight, aber viel Liebe
Abschließend bleibt noch zu sagen, dass Firaxis gut daran getan hat, den Release etwas zu verschieben. Midnights Suns ist technisch keine Offenbarung, allein schon aufgrund der langen Entwicklungszeit wirkt es zuweilen etwas altbacken. Aber die Inszenierung ist gelungen, mit hübschen, toll animierten Kampfszenen und schönen Zwischensequenzen mit guter Charakterdarstellung. Das Spiel hat nur wenig Performance-Probleme, selbst auf einem älteren i7-4790 mit GTX 980 Ti lief das Spiel im 21:9-Format noch sehr rund. Lediglich in einer späteren Mission hatten wir mit ein paar Rucklern zu kämpfen.
In unserer Vorabversion gab es noch eine Handvoll kleinerer Bugs, wir schauen noch, ob es zum Release einen Day-One-Patch gibt, der diese Problemchen behebt. Fest steht auf jeden Fall, dass Firaxis viel Liebe in das Spiel gesteckt hat. Marvel’s Midnight Suns ist trotz des großen Marvel-Namens kein Spiel vom Marketing-Reißbrett. Die Liebe zum Detail sieht man in nahezu allen Aspekten, von der Story über die Charakterdarstellung nebst Dialogen bis hin zu den taktischen Möglichkeiten.
Update: Mittlerweile ist auch endlich die Konsolenversion eingetrudelt. Wenn es zu einem Spiel ausschließlich eine Bemusterung der PC-Version gibt, errecht das immer unseren Verdacht. Bisher läuft das Spiel aber zumindest auf der Xbox Series X rund. Ein wenig unrunder läuft es auf der Xbox Series S, dort stellten wir recht fix leichte Instabilitäten bei der Framerate fest, vorrangig im offenen Abteigelände. Weniger schön sind einige Bugs, die im späteren Spiel auftreten. So gibt es Probleme dabei, Bilder in Gemälde umzuwandeln und diese in Bilderrahmen zu platzieren. Auch stellten wir einige fehlende Voiceovers fest.
Bei den Heldenmissionen trafen wir auf einen ziemlichen Blocker, der uns derzeit daran hindert, selbige weiterzuspielen. Beim Einlösen stürzt das Spiel mit einem "Out of memory"-Fehler ab. Spielt man weiter, ohne die Mission einzulösen, steckt der darin verwendete Held quasi fest und kann nicht für die Story genutzt werden. Sprich, man kommt nicht weiter.
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