Test - Manor Lords : Test: Was ist dran am Hype-Aufbau-Spiel?
- PC
Seit fast vier Jahren werkelt Greg Styczeń und sein Studio Slavic Magic an dem Aufbau-Werk im 14. Jahrhundert. Ob es dem von Publikum und Presse mit viel Wohlwollen begleiteten Titel gelingt, genügsame Aufbau-Fans genauso wie kampfeslustigere Gutsherren zu beglücken?
Wählt Euer Banner! Wer gerade eine bekannte Stimme im Kopf gehört und sich an die ersten Anno-1602-Ausflüge erinnert hat (Zeit für ärztliche Vorsorge-Untersuchungen!), weiß, dass selbst eine vermeintlich kleine Entscheidung wie eben die Flaggenwahl zu Beginn ein Spielerlebnis nachhaltig prägen kann. Das zeigt auch ein paar Jahrzehnte später das nun aus dem Early Access laufende Manor Lords.
Zum Start jeder Partie konfigurieren wir in einem kleinen Heraldik-Editor unser Wappen – Symbole, Farben, Anordnung, all das kann in einer einladenden Kreativität verändert werden und macht gleich zu Beginn richtig Lust auf den Aufbau der eigenen Siedlungen.
Nach dem Abschluss der Branding-Entscheidungen und des Missionszieles (von einfach siedeln bis ALLES DOMINIEREN) geht es dann nicht aufs offene Meer, sondern in einer feinen Kamera-Fahrt auf unser erstes zu errichtendes Dorf. Je nach ausgewählten Voreinstellungen legen wir mit einer mehr oder minder übersichtlichen Menge Proviant und Rohstoffen los: Häuser-Plots aufziehen, Holzfäller in den nächsten Wald setzen, ein paar Zeltlager für Jäger und Sammler, dann noch ein Sägewerk, um …
Es ist ja so schwierig, gutes Personal zu finden
Halt! Denn bereits mit der frühen Handvoll Infrastruktur-Gebäude buhlt das erste der Spielmechanik-Zahnräder um Aufmerksamkeit, denn nahezu jedes funktionale Bauwerk, von der Imkerei bis zum Stall, von der Kirche bis zum Lagerhaus, kann Arbeitskraft zugewiesen werden; in einigen Fällen erfüllen die Bauten auch ohne Personal einen Zweck, aber mit Personal meist mehr und besser.
So befriedigt eine Kirche auch ohne zugewiesenes Personal das Religionsbedürfnis, aber ohne angestellte Waidmänner und -frauen tut uns das Wild nicht den Gefallen, sich selbst zu erlegen und mundgerecht zum Marktplatz zu tragen. Zudem sollten je nach Siedlungsgröße und Lage am Arbeitsmarkt auch immer ein paar Menschen ohne Zuweisung übrig bleiben, denn nur die “freigestellte” Bevölkerung errichtet auch neue Gebäude - bei Vollbeschäftigung hingegen bleiben alle Baustellen brachliegen.
Die Folge dieser Mechanik ist ein permanentes Optimieren und Verwalten der Arbeitskraft. In den ersten Monaten etwa wird der Zuzug in unser Dorf durch die initiale Obdachlosigkeit begrenzt, der auf die Stimmung drückt, doch selbst bei guten Zustimmungswerten treffen selten ganze Busladungen voller Neuankömmlinge ein.
Auch noch Ansprüche stellen
Neben einem Dach überm Kopf wünscht sich die Bevölkerung auch Nahrungsmittel, Kleidung und Feuerholz. Den ganzen Krempel holen sich die Leute dabei von Marktständen, die wiederum von Imkerei, Holzfäller oder der Schafzucht selbstständig auf dem Marktgelände errichtet werden – wenn die Arbeitskraft zugewiesen wurde. Nettes Gimmick obendrauf: Die hübsch planbaren Gelände für die Wohnhäuser können auch sehr großzügige Hinterhöfe enthalten, auf denen alles von einem kleinen Gemüsegarten oder einem Hühnerstall entstehen kann, später im Spielverlauf sogar Werkstätten für Kleidung, Werkzeug oder Waffen.
Überschüssige Ergebnisse dieser Hinterhofproduktion landen sogar wieder auf den Märkten - aber Obacht, die späteren Erweiterungen jenseits von Hobby-Ackerbau und -Viehzucht sorgen dafür, dass die entsprechenden Tätigkeiten nun an komplett im mediävalen Home-Office verrichtet werden. Damit, richtig geraten, entfällt die entsprechende Arbeitskraft wieder aus dem dorfweiten Beschäftigungspool.
Wie erwähnt, steigen die Häuser nach und nach auf, womit anspruchsvollere Bedürfnisse erfüllt werden müssen: Eine steinerne Kirche statt des bloßen hölzerneren Gotteshauses für die Seligkeit und eine Taverne mit steter Bierversorgung für die Leutseligkeit etwa, sowie eine immer reichhaltigere Nahrungsmittel- und Kleidungswahl. Die hochrangigeren Bevölkerungsteile füllen immerhin grummelnd auch das Stadtsäckel monatlich, was für einige bauliche Erweiterungen oder den Handel erforderlich ist.
Zudem können wir auch persönlich in Form verschiedener Steuern Einnahmen erzielen, die etwa zum Anheuern von Söldner-Armeen nötig sind. Auch hier kommt es auf die Balance an – freundlicherweise zeigt das Interface von vornherein an, wie sehr diese oder jene Besteuerung unsere Zustimmungsraten dämpfen wird, damit wir nicht völlig überrascht als unliebsamer Lord dastehen. (Hier bitte Anspielung an eine persönlich unliebsame gegenwärtige oder vergangene Echtweltregierungstruppe denken.)
Apropos Politik: Es ist uns auch möglich, über Verordnungen („Policies“) bestimmte Gewichtungen vorzunehmen, um beispielsweise permanentes Fasten anzuordnen (weniger Nahrungsmittelverbrauch und weniger Beliebtheit) oder Ernteerträge zugunsten der Jagdausbeute zu schmälern. (Auch wenige Tage vor dem Ende des Early Access waren die meisten der Policies jedoch nicht verfügbar.)
Motivierend von der Charakter- bis zur Stadtentwicklung
Hierbei zeigt sich wieder die Kernherausforderung von Manor Lords: Die richtige Balance zu finden. Wenn wir uns im Startbildschirm nicht gerade absolute Schlaraffenbedingungen konfiguriert haben, erwartet uns nahezu fortwährendes Abwägen, Überlegen und Pfriemeln – und wenigstens auf der mittleren Spielgeschwindigkeit nahezu keine Leerläufe, so wir nicht doch in einen Ressourcen-Teufelskreis geraten sind.
Produktionsketten, Jahreszeiten, Handel, Forschungspunkte für Gebäude oder Boni in allen denkbaren Aspekten – überall liefert der Titel gute bis sehr gute Implementierung ab, ohne die jeweilige Komplexität zu hoch zu schrauben. Die „Hat jemand einen A3-Drucker?“-Produktionsketten eines Anno 1800 gibt es ebenso wenig wie ein Civilization-würdiges Politik- und Diplomatie-Getriebe, aber von allem genug und meist gut genug verzahnt, um motiviert bei Laune zu halten.
Das mag trivial klingen wie das Zahnrad-Bildchen auf der letzten Management-Präsentation, stellt aber tatsächlich eine enorme Errungenschaft dar. Spiele, in denen sich Optimierungen einzelner Aspekte viel zu wenig auswirken wie das jüngste Siedler oder die uns zu wenige Auswege aus misslichen Situationen geben, verdeutlichen das. Als Anno 1503 dereinst die Steuerschraube durch ein Marktplatz-basiertes Wirtschaftssystem ersetzte, stieß das etlichen Fans übel auf.
Und all dieser angenehm fordernde Aufbau befriedigt auch visuell ungemein. Die wedelnden Ruten der Ochsen oder das Wippen der Handelskarren, die tollen Wettereffekte und nicht zuletzt die ungemein organisch anmutende Siedlung selbst: Gäbe es den Begriff „Wuselfaktor“ noch nicht, für Manor Lords müsste man ihn erfinden.
Do-it-yourself-Geschichte
Was trübt den Spaß an mittelalterlichem Siedeln? Auf pragmatischer Ebene wenig. Die sehr organische Grafik geht insbesondere bei Schlechtwetter zulasten der Lesbarkeit unseres Dorfes. Ab und an scheint die Early-Access-Natur noch durch und verweigert beharrlich den Sprachwechsel oder das Deaktivieren einer überflüssigen Warnmeldung. Und so sehr sich das Spiel bemüht, in Tooltips die verschiedenen Anbaumöglichkeiten oder Zuweisungen zu erklären, so sehr gehen einige Aspekte doch zunächst unter.
Dass etwa die Beerensammler einen Heilkräuter-Anbau spendiert bekommen können, fiel eher durch Zufall auf. Leer geschürfte Minen melden sich kurz, sind danach aber nicht mit einem deutlichen Icon oder dergleichen gekennzeichnet, was zu einigen verdutzten Momenten führen kann, wenn die Mitteilung im Eifer des Gebaus untergegangen ist. Und so sehr jedes einzelne Familienmitglied in der Welt sichtbar ist, so treten doch – selten! – schlichtweg nicht nachvollziehbare Momente auf, in denen sich ohne erkennbaren Grund ein Bau in die Länge zieht, als wäre es ein BER-Easteregg. Auch Foren und Reddit-Threads zeigen diese Frustmomente auf, so rar sie sein mögen.
Auf grundsätzlicherer Ebene: Manor Lords wäre ideal für eine Kampagne. Ja, die Fraktion jener, die immer das Endlosspiel-Banner wählen, überwiegt anscheinend im Genre. Aber: Kampagnen geben nicht nur die Möglichkeit, Geschichten zu erzählen, wofür sich die langfristige geopolitische Ausrichtung von Manor Lords (dazu gleich mehr!) wunderbar eignet. Sie können auch in den einzelnen Abschnitten die Aufmerksamkeit perfekt auf bestimmte Mechanismen lenken. Die gewählte Alternative endloser Tutorialeinblendungen hat den Nachteil, dass wir die ersten dreiundvierzig schon einmal gesehen haben, aber gleichzeitig nicht „Bitte nichts mehr anzeigen“ anklicken wollen, denn Endgame-relevante Tipps könnten ja noch kommen.
So bleibt es in Manor Lords dabei, dass wir uns selbst unsere Geschichte bauen von einer kleinen Truppe mit ihrem Zeltlager in einer Lichtung, deren Siedlung nach und nach wuchs und die schließlich auch in andere Provinzen auswanderten. Hier kommt der globalstrategische Einschlag zum Tragen, auch wenn Slavic Magic nicht müde wird zu betonen, keinen Konkurrenten zu Total War produziert zu haben.
Wie funktioniert’s? Provinzen können entweder uns, Konkurrenten oder niemandem gehören – in die unbesetzten Gebiete lassen sich gegen etwas Kleingeld neue Zeltlager entsenden und so gleichzeitig ein ganzes Netzwerk an Dörfern und Städten betreiben. Zwischen diesen lassen sich selbstverständlich Waren austauschen, was angesichts der verteilten und teilweise begrenzten Rohstoffe auch sehr nötig ist. Zwischen der Planung der Dreifelderwirtschaft für den Getreideanbau zoomen wir stufenlos in eine andere Siedlung, um dort etwa die lokale Miliz besser auszustatten.
Aufbau, Aufbau? Drauf hau! Drauf hau!
Denn natürlich: Manor Lords lässt sich zwar als gänzlich friedliches Erlebnis konfigurieren, gedacht ist es aber als Rundumerfahrung inklusive Echtzeit-Schlachten mit verfeindeten Persönlichkeiten oder räuberischen Banditen. Wie gehabt gilt für unsere Truppe, dass sie entweder direkt angeheuert werden kann, ein paar frei Haus in unser errichtetes Anwesen entsandt werden – oder mit der richtigen Ausstattung per Handel oder Vor-Ort-Anbau unserer Bürger Pflugscharen gegen Schwerter eintauschen.
Unterschiedliche Nah- und Fernkampf-Gruppen haben dabei das alte Stein-Papier-Schneidewerkzeug-Prinzip sowie eine Reihe von Einstellungen, um etwa langsamer, aber stärker in der Defensive zu werden. Richtig erkannt, das Prinzip der richtigen Balance entscheidet. Trotz dieser guten Basis sind die Kämpfe in der Praxis – und ganz besonders, wenn sie nicht auf freiem Feld stattfinden – reichlich unübersichtlich und ein Bruch zum sonstigen Spielerlebnis. Wer auch sonst an Echtzeit-Scharmützeln um die eigene Siedlung herum seine Freude hat, wird sie in Manor Lords ebenfalls finden, wer die Kombination unpassend findet wie die ursprüngliche Mittelalter-Kombo Schokolade und Pfeffer, wird durch das Werk sicherlich nicht bekehrt.
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Im Vorfeld seiner Erscheinung konnte Manor Lords ganz nach oben auf die Steam-Wunschlisten-, äh, -Liste klettern. Ist es dieser Erwartung gerecht geworden? In weiten Teilen ja. Kleinere Unzulänglichkeiten am Wegesrand trüben die gesamte Stimmung des Spiels nur selten. Auch wenn wie immer noch zwei, drei Wochen mehr Politur den Manor Lords gut getan hätten – das grundsätzliche Fundament ist ein bewundernswert motivierendes, glaubhaftes Ineinandergreifen, wie es zuletzt im Genre selten vorkam. Also: Gestaltet Euer Banner!
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