Special - End of End of Nations : Eine Geschichte des Scheiterns
- PC
Vom Regen in die Traufe
Kurz nach der Ausstrahlung unseres Videos wurde bekannt, dass sich die offene Beta des Spiels auf unbestimmte Zeit verzögern würde. Laut Trion Worlds hat man "unglaublich viel positives Feedback erhalten", doch habe die Closed Beta auch offenbart, dass an verschiedenen Schlüsselbereichen noch gearbeitet werden müsse. Die Veröffentlichung der Vollversion rückte damit in weite Ferne. Nach nunmehr zweieinhalb Jahren, in denen das Spiel in verschiedenen Iterationen durch unsere Hände und die Medien ging, hatte sich gefühlt nicht viel bewegt. Die Geduld der Genre-Fans schien langsam erschöpft. In der Führungsetage bei Trion wurde man ebenfalls immer nervöser, zumal auch die Produktion des Videospiel-Fernsehserien-Crossovers Defiance viel Geld verschlang.
Es kam, wie es kommen musste: Nur eine Woche nach den News zur Beta meldeten mehrere Quellen Stellenkürzungen bei Entwickler Petroglyph. Um die 30 Mitarbeiter mussten gehen. Game Designer Adam Stevens twitterte galgenhumorig: "Es scheint so, als ob der Winterurlaub um unbestimmte Zeit verlängert wird." Die verbleibenden Arbeiten am Spiel wurden nun direkt zu Trion Worlds verlagert. Im Grunde die Höchststrafe für Entwickler Petroglyph, dem offenbar nicht mehr zugetraut wurde, ein ordentliches Produkt abzuliefern. Das offizielle Statement von Trion klang dementsprechend eher verhalten euphorisch: "Wir sind engagiert, das erstklassige Produkt abzuliefern, von dem wir wissen, dass es das Spiel sein kann." Grenzenlose Zuversicht hört sich anders an.
Neuanfang
Es folgte ein halbes Jahr Stille, in dem End of Nations selbst bei vielen Getreuen, die dem Spiel bis zuletzt Potenzial attestierten, in Vergessenheit geriet. Doch einen ganz besonderen Kniff hatte sich Trion noch aufgehoben. Im Juli 2013 verkündete der Publisher, dass sich der Patient bester Gesundheit erfreue. Es habe lediglich eine kleine Umoperation stattgefunden. End of Nations verwandelte sich nun in ein MOBA mit dem Schwerpunkt auf Transformers-ähnlichen Fahrzeugen.
Titel wie League of Legends und DotA 2 eroberten gerade die Welt im Sturm. Nachdem man ein umkämpftes Genre wie das RTS verlassen hatte, stürzte sich Trion in ein noch größeres Haifischbecken. Die Ankündigung wurde daher mit einer großen Portion Skepsis aufgenommen. Cleverer Schachzug, um einem alten Projekt neues Leben einzuhauchen, oder ein letzter Strohhalm, um jahrelange Arbeit nicht komplett verkommen zu lassen?
Antworten versprach ein erneuter Besuch in den USA, diesmal in San Diego. Die örtlichen Büroräume wirkten seltsam kahl und steril. Laut Trion ist man erst vor Kurzem dort eingezogen. Aber warum standen ganze Etagen leer und wieso hatte man sich nicht die Mühe gemacht, die Räumlichkeiten zumindest ein bisschen aufzuhübschen? Es wirkte fast, als wüsste im Studio jeder, dass er sich nur auf der Durchreise befindet.
Ein etwas nervöser Executive Producer bat die versammelte Presseschar direkt zu Beginn der Präsentation, doch bitte alles zu vergessen, was man bis dahin über End of Nations wusste. Als so drastisch erwiesen sich die Veränderungen dann aber nicht. Heldeneinheiten gab es schließlich auch schon vorher, nun rückten sie noch stärker in den Mittelpunkt. Auch klassische Echtzeitstrategieelemente, wie das eigenhändige Steuern sekundärer Einheiten, waren nach wie vor integriert.
Aufgrund der frühen Alphaversion fiel uns ein erneutes "erstes Urteil" schwer. Man wurde jedoch das Gefühl nicht los, dass sich Trion mit seinem Hybridprodukt nun endgültig zwischen alle Stühle gesetzt hatte. "Hat Trion weiterhin ein offenes Ohr für seine Anhänger und setzt das Feedback entsprechend in die Tat um, stehen die Chancen nicht schlecht, dass End of Nations trotz der starken Konkurrenz seine eigene Nische findet", schrieb Kuro damals in seiner bis heute unveröffentlichten Preview.
Das Ende vom Lied
Dass Artikel einem Embargo unterliegen, ist in der Branche die Norm, dass es nie endet, allerdings nicht. So erhielten wir kurz vor dem Ende der Sperrfrist die Nachricht, dass sich die Freigabe der Berichterstattung etwas nach hinten verschiebe. Dabei blieb es. Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte den meisten klar gewesen sein, dass das Ende für End of Nations unausweichlich war. Die Bestätigung kam erst am 4. März 2014, also knapp acht Monate nach unserem Flug nach San Diego. Etwaiges Interesse, das der Genrewechsel bei treuen Fans entfacht haben mochte, war zu diesem Zeitpunkt ohnehin längst erloschen.
Zunächst wurden kommentarlos alle Hinweise auf End of Nations von der offiziellen Trion-Site entfernt. Erst auf Nachfrage gab man dort zu Protokoll, dass derzeit nicht weiter an dem Spiel gearbeitet wird. "Wie wir es bereits im letzten Herbst der Community von End of Nations erklärt haben, wurde die Entwicklung des Titels erst einmal gestoppt, um mögliche Wege des Titels zu evaluieren. Derzeit konzentrieren wir die Energie und Kreativität des Unternehmens aber auf Rift, Trove, ArcheAge und neue Projekte, über die wir schon bald berichten werden." Mit diesem Statement wurde das Schicksal des einst so hoffnungsvoll gestarteten Titels besiegelt.
Dass ein Videospiel trotz langer Entwicklungszeit nie veröffentlicht wird, kommt vor. So schade es für die Entwickler ist, die viel Arbeitszeit und Herzblut in ihr Produkt stecken, wird am Ende woanders über dessen Zukunft entschieden. End of Nations wird nicht das letzte tragische Beispiel gewesen sein. Ungewöhnlich ist es aber, einen Niedergang so detailliert nachvollziehen zu können, nicht zuletzt weil wir so oft selbst vor Ort waren, das Spiel in seinen verschiedensten Stadien anspielen konnten und Aussagen der Entwickler auf Band bannten.
Die Entwicklung eines Videospiels ist kompliziert. Zu selten berücksichtigt man die enorme Anstrengung - sowohl die menschliche als auch die technische -, die es möglich macht, dass wir am Ende ein bestenfalls spaßiges Resultat in den Händen halten. Was letztendlich die ausschlaggebenden Faktoren beim Aus für End of Nations waren, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. In vielen Meetings dürfte irgendwann beschlossen worden sein, dass der Aufwand nicht mehr zu rechtfertigen war. Dass sich die Neuausrichtung als Trugschluss erwies. Dass sich das Produkt nicht am Markt etablieren können würde. Häme ist hier fehl am Platz. Wer als Betroffener nach mehr als vier Jahren Entwicklungszeit am Ende mit leeren Händen dasteht, braucht viel guten Zuspruch, um den Glauben an die Branche nicht gänzlich zu verlieren.
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