Test - Dirt Rally 2.0 : Ein gnadenloses Spektakel
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Wie fühlt sich eine echte Rallye an? Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, denn ich durfte noch nie eine fahren. Aber wenn ich Codemasters' Interpretation in Dirt Rally 2.0 Glauben schenke, dann fühlt es sich wohl an wie ein Mittelding aus Schmierseifen-Rutschpartie und einem Schlag von Mike Tyson mitten in die Fresse. Scheppert also ganz schön, aber wenn man nach dem harten Einstieg Erfolgserlebnisse einfährt, vergisst man während des debilen Grinsens die Zahnlücke ganz schnell.
Neustart. Schon wieder! Zum gefühlt zwanzigsten Mal versuche ich die erste Etappe der ersten Rallye in Polen zu meistern. So schlecht waren meine bisherigen Zeiten gar nicht, denn laut der Rangliste lande ich meist irgendwo zwischen Rang 3 und 8. Aber der Streckenindikator auf der linken Seite meines HUDs lässt mir keine Ruhe. Rot, immer nur rot. Selten blitzt die Linie, die meinen Fortschritt auf dem Kurs vermitteln soll, nach dem Passieren eines Checkpoints grün auf. Heißt also: Ich bin zu schlecht gefahren, habe irgendwo eine der sechs Trilliarden Kurven nicht richtig geschnitten oder bin zu früh vom Gas gegangen.
Kann doch gar nicht so schwer sein! Meine Beifahrerin schlüsselt mir doch jeden Schlenker bis ins kleinste Detail auf. Tja, vielleicht ist ja genau das der Störfaktor. Für jede einzelne Kurve zwei oder drei Werte aus dem Bereich Winkel, Beschaffenheit und Topografie an die Stirn geklatscht zu bekommen, kann beizeiten schlichtweg zu viel Information auf einmal sein. Manchmal schießt die Wut einfach aus mir heraus: „Halt doch mal die Schnatter, du olle Zippe! Ich versuch hier zu fahren!“
Gleich darauf holen mich Schuldgefühle ein: „War nicht so gemeint!“ Ohne die „olle Zippe“ wäre ich völlig aufgeschmissen. Nicht, weil mein Fahrzeug übermäßig schnell wäre. Der kleine, ausgeschlachtete Italiener, den ich fahre, kommt mit Ach und Krach auf dreistellige Stundenkilometer. Nein, es ist die beinahe nicht vorhandene Streckeneinsicht, die mir jede Schweißperle wie einen überreifen Pickel aus der Stirn quetscht. Hohes Gras, dichte Bewaldung und ein Matschkurs kaum breiter als mein Auto würden in Kombination prima als Sehtest beim Augenarzt durchgehen.
Das artet in Arbeit aus
Das mit den 20 Neustarts ist leider nur eine Floskel. Der Stachel im Fleisch ist nämlich die begrenzte Anzahl an Versuchen. Fünfmal darf man sich an einer Etappe probieren, danach muss man mit dem Ergebnis leben oder die komplette Karriere neu beginnen. Schweißtreibende Arbeit ist das! Angesichts der erforderlichen Reaktionsfreude am Joypad (oder für völlig Bekloppte wie mich: am Lenkrad) kann man so manchen dahergesabbelten Spruch wörtlich nehmen, ja, gar von einer „überraschenden Wendung“ sprechen. Schlitter, Kurbel, Panikattacke! Wenn dann auch noch Regen einsetzt oder meine Scheinwerfer den Geist aufgeben, weil ich irgendwo mal unaufmerksam einen Baum gestreift habe, ist Polen im wahrsten Sinne offen. Kall, mei Drobbe!
Für mich stellt sich hier aber die Frage: Ist das wirklich realistisch? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, ist, dass ich die Vehikel im Vorgänger besser unter Kontrolle hatte. Lag es an der etwas großzügigeren Streckenführung? War die Lenkung verzeihender? Oder hatte ich einfach nur mehr Übung und Geschick? Für mich eines der ungelösten Rätsel des Universums und ganz klar eine Geschmacksfrage, wenn es um eine Weiterempfehlung geht.
Mir gefiel der Vorgänger in Sachen Lenkung und Streckenübersicht besser, aber das muss ja nicht für jeden gelten. Ein großes Lob muss ich aber loswerden: Man kommt dieses Mal leichter um scharfe Kurven, wenn man langsam fährt. Zuvor hatte man das Gefühl, quasi stehen bleiben zu müssen, wenn man durch eine Haarnadel wollte. Dieser Kritikpunkt wurde definitiv behoben.
Unterm Strich gibt es ja auch nicht viel mehr, was Codemasters einer Anpassung hätte unterziehen können. Rennen bestehen wie bei einer Rallye üblich aus mehreren Etappen, die hier in der Regel fünf bis zwölf Minuten Fahrzeit in Anspruch nehmen. Anschließend darf man das Fahrzeug bei Bedarf reparieren, was allerdings sowohl virtuelle Kohle als auch Reparaturzeit kostet. Eine zu Schrott gefahrene Karre bekommt man also zwischen den Etappen nicht komplett repariert. Obendrein gehört die Auswahl der Reifen zu einer der wichtigsten Entscheidungen für den nächsten Abschnitt, denn sie definiert im Fahrgefühl den Unterschied zwischen Kuh auf Glatteis, Schlittschuhen auf Schmierseife oder Schwammreifen auf Ketchupteppich.
Dabei sein ist alles, verlieren ist gar nix. Na gut, ein wenig Kohle wandert immer aufs Konto, selbst wenn ich auf den hinteren Rängen lande. Gut so, den Zaster brauche ich für Upgrades. Motor, Getriebe und Federung wollen auf Vordermann gebracht werden, um das Fahrzeug langsam, aber stetig an das gewünschte Niveau heranzubringen, was auch den allgemeinen Schwierigkeitsgrad ein wenig senkt. Wie sagte Konfuzius so schön: Der Weg ist das Ziel.
Solche Durchhalteparolen werdet ihr im Laufe des Spiels am laufenden Band zitieren, um nicht völlig dem Wahnsinn zu erliegen. Packt eure Zen-Bibliothek schon mal unters Kopfkissen, belegt Yoga-Kurse oder sucht euch andere Quellen der frusthemmenden Entspannung. Ich übe auch schon fleißig den Kala Bhairavasana (Zerstörer des Universums): Ooommmmmmmm. Ist jedenfalls leichter als eine der späteren Dirt-Rally-2.0-Etappen, selbst nach zig Upgrades.
Der große Kontrast
Spaß beiseite: Dirt Rally 2.0 ist verdammt schwer, für Anfänger womöglich sogar zermürbend frustrierend, aber nie unfair oder gemein, wenn es um den Fortschritt geht. Selbst der letzte Platz auf der Tabelle garantiert ein Weiterkommen zur nächsten Rallye. Da stellt man sich zwar wahrscheinlich noch dämlicher an, weil die Kurse garantiert nicht leichter ausfallen, aber ein endgültiges Game over bleibt fern. Die Designer von Codemasters möchten, dass ihr euch selbst zu Verbesserungen motiviert, dass ihr schrittweise an den Herausforderungen wachst und in eurem eigenen Tempo besser werdet.
Sollte euch irgendwann der Schädel brummen, dann könnt ihr der Abwechslung halber zum zweiten Spielmodus wechseln, der erstaunlicherweise erheblich einfacher ausfällt. Es geht um Rallye-Cross auf übersichtlichen Rundkursen. Hier tretet ihr im direkten Duell gegen maximal sechs Kontrahenten an, müsst allerdings mehrere Durchläufe überstehen, da die besten Fahrer nach und nach ausgesiebt werden, um am Ende in einem Finalevent gegeneinander anzutreten.
Der Ablauf entspricht ansonsten einem üblichen Autorennen auf geschlossenem Kurs, mit Ausnahme einer Sonderregel: Auf jedem Kurs gibt es eine erweiterte Spezialkurve, genannt die Jokerkurve. Sie verlängert die Strecke um einige Meter. Einmal pro Rennen muss jeder Fahrer durch die Jokerkurve heizen, sonst droht eine Zeitstrafe. Missgeschicke wie Fehlstarts werden zudem mit zusätzlichen Pflichtgängen durch die Jokerkurve geahndet.
Im Vergleich mit der normalen Etappenkarriere empfand ich Rallye-Cross als geradezu entspannend einfach. Die künstliche Intelligenz der Gegner ist nicht unbedingt helle. Solange ich Crashs mit ihnen vermeiden konnte, fiel es mir leicht, spätestens nach der zweiten oder dritten Runde an die Spitze zu ziehen. Der Kontrast im Schwierigkeitsgrad ist sehr auffällig, aber nicht unwillkommen. An Herausforderungen fehlt es ja wahrlich nicht. Abseits der Karriere stehen nämlich noch tägliche und wöchentliche Herausforderungen auf dem Plan.
Grafisches Spektakel
Allerdings fallen Rallye-Cross-Events grafisch nicht ganz so spektakulär aus. Obwohl die volle Bandbreite an Effekten zum Tragen kommt – darunter schöne Screen-Space-Reflexionen, Regeneffekte, Nebel und aufgewirbelter Dreck –, sind es doch die Etappenrennen, die optisch am meisten verzaubern.
Gestalterisch lässt Codemasters keine Zweifel am Talent der Grafiker zu. So dicht und glaubhaft gestaltet war bislang noch kein Rallye-Rennspiel. Bäume mit komplexer Verästelung, dichtem Laub und prachtvollem Farbenspiel treffen auf saftige Wiesen mit zahllosen Grashalmen sowie schöne Häuser, Strommasten und Zäune in den anliegenden Dörfern. Geschickt verwendetes Post-Processing (etwa bei Kollisionen) runden den Eindruck ab.
Bei genauem Hinsehen ist durchaus die eine oder andere etwas gröbere Textur oder ein verfälschender, schwammiger Tiefenschärfeeffekt zu erkennen. Sehr prominent wären da Fahrzeuge am Rand, wie zum Beispiel der Notarztwagen am Ziel, aber das ist nur eine Angelegenheit visueller Prioritäten. Alles, was Beachtung finden soll, ist scharf und farbenprächtig gestaltet. Zwar leider ohne HDR-Unterstützung, aber dennoch leuchtstark, wo es nötig ist. Der eigene Schlitten strotzt nur so vor Details, egal ob von außen betrachtet oder im Innenraum, zumal ein glaubhaftes Schadensmodell die Karosserie verformt, wenn man die Leitplanke küsst.
Das Ganze geht jedoch zulasten der Performance, insbesondere wenn Echtzeitschatten über die Scheinwerfer des Wagens den Kurs verdunkeln. Dirt Rally 2.0 schlägt in manchen Situationen eurem Windows-Rechner genauso die Zähne aus wie euch beim Fahren. Mit meiner ordentlich übertakteten Geforce 2070 samt i7-CPU und 32 GB RAM ging bei eitel Sonnenschein alles gut. Allerdings musste ich die Kantenglättung ein wenig herunterfahren, um bei dicht bewaldeten und echtzeitbeleuchteten Kurven die magischen 60 Bilder pro Sekunde halten zu können.
4K bei 60 fps ist auf einem solchen System durchaus möglich, wenn auch nicht mit allen Optionen auf Anschlag. Es ist wohl den Konsolenumsetzungen zu verdanken, dass die CPU so gut wie gar nicht beansprucht wird. Läppische 20 bis 30 Prozent Auslastung beweisen, dass Dirt Rally 2.0 erheblich mehr Anforderungen an den Grafikchip stellt.
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