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Test - Windjammers 2 : Pong auf Crack

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Neunzigerjahre-Zocker mit dickem Polster auf dem Konto leisteten sich weder Super Nintendo noch Mega Drive, sondern ein sündhaft teures Neo Geo. Das war eine Konsole mit Spielhallen-Hardware, die am ehesten durch Edel-Prügelspiele wie Art of Fighting, Samurai Showdown und Konsorten brillierte. Es sei denn man besaß Windjammers (in Japan auch bekannt als Flying Power Disc), denn dieses vermeintlich simple Frisbee-Spiel knebelte zwei Spieler so felsenfest an den Bildschirm, dass sie alle Prügelspiele vergaßen. Jedenfalls wenn sie sich nach einem knappen Match nicht an die Gurgel gingen. Nach 27 Jahren ist endlich ein Nachfolger erschienen. Kann Windjammers 2 das zeitlose Original übertrumpfen?

Zack! Wham! Peng! Jubelgeschrei!! Es ist schnell, es ist nervenaufreibend, es ist ein Spiel, bei dem ihr schon nach Sekunden schwitzige Hände bekommt. Windjammers 2 sieht simpel aus, und wenn man davon absieht, dass die ursprüngliche Zwei-Knopf-Steuerung des Originals auf vier (beziehungsweise optional sogar fünf) Feuerknöpfe aufgeteilt wurde, ist die Bedienung auch derart simpel, dass sie der Spielhallenphilosophie „leicht erlernt, schwer gemeistert“ alle Ehre macht.

Was kann da schon dran sein? Eine Frisbeescheibe hin und her werfen? Das schafft doch jeder. Täuscht euch da mal nicht. Ihr werft hier nicht mit Oma im Park Flugscheiben über die Wiese, sondern messt euch in einem knallharten Wettbewerb mit Spitzensportlern und Muskelprotzen. Windjammers lässt sich am ehesten als Pong auf Crack klassifizieren. Manch einer behauptet sogar, es ginge um nichts weniger als die Verschmelzung von Pong mit einem Prügelspiel.

Das Regelwerk

Ein Blick auf das Spielfeld genügt, um die Regeln zu verstehen. Zwei virtuelle Athleten finden sich auf einem Feld ein, das dem eines Tennis-Courts oder eines Volleyballfelds ähnelt. Es ist rechteckig und durch ein Seil in der Mitte vertikal geteilt. Beide Spieler müssen auf ihrem Teil des Feldes bleiben und versuchen, eine Frisbeescheibe am Gegner vorbeizuwerfen, sodass sie in einem von drei rot oder gelb gefärbten Zielflächen an der Rückwand des gegnerischen Abschnitts landen. Bei Erfolg purzeln drei bis fünf Punkte. Noch dazu könnt ihr zwei bis vier Punkte erhaschen, indem ihr die Scheibe in so hohem Bogen werft, dass sie auf der gegnerischen Seite irgendwo auf den Boden fällt. Ist freilich ein unorthodoxer Frisbee-Wurf, aber eine Methode, die verhindert, dass euer Gegner vor der Rückwand ein Zelt aufschlägt.

In den zwei Sätzen, die eine Standard-Partie umfasst, gewinnt derjenige, der als erster die Grenze von 15 Punkten überschreitet, sofern der Spielzeit-Timer nicht zuvor auf null fällt. Die Größe und Anordnung der zu treffenden Zielfelder variiert allerdings abhängig vom Schauplatz, ebenso wie der allgemeine Aufbau des Courts, der mal breiter oder schmaler ausfällt und gelegentlich Hindernisse aufstellt, an denen die Flugscheibe abprallen kann.

Klingt verflucht simpel, aber genau diese durchschaubare Simplizität verwandelt Windjammers in einen hitzigen, nervenaufreibenden Geschicklichkeitstest. Egal, ob ihr gegen die CPU antretet oder gegen einen menschlichen Spieler, ihr müsst hellwach sein und dürft nicht einmal blinzeln, auch wenn das Spiel auf den ersten Blick gar nicht mal so schnell wirkt.

Lasst euch vom ersten Eindruck nicht täuschen, schon gar nicht beim Schauen von Videos. Zu leicht übersieht man als unbeteiligter, dass die Spielfiguren bei normaler Bewegung selten an die Flugscheibe herankommen. In geschätzt 80 Prozent der Spielzeit benötigt ihr die Dash-Funktion, also einen kurzen, begrenzten Sprint nach vorne, der bei schlechtem Timing oder bei falsch eingeschlagener Richtung umsonst war. Und selbst wenn ihr den Wurf eures Gegners abfangt, lassen die Regeln der Geometrie wenige Konterwürfe zu.

Links? Rechts? Geradeaus? Da bleibt nicht viel Auswahl, es sei denn ihr wendet ein wenig Zeit für eine Halbkreisbewegung am Joystick auf und veranlasst dadurch einen angeschnittenen, wenn auch etwas langsameren Wurf. Und genau an dieser Stelle kommt der Prügelspielaspekt von Windjammers 2 ins Bild.

Schnell und schwach oder lahm und stark?

Zehn Athleten stehen in Windjammers 2 zur Wahl. Das sind vier mehr als im Neo-Geo-Original, von denen nur ein einziger nicht zurückkehrt. Das Grundschema der Kräfteverteilung bleibt wie gehabt: Ihr Kräfteverhältnis zwischen Beweglichkeit und Wurfkraft bezieht sich auf einen einzelnen Powerbalken. Je schneller ein Athlet ist, desto weniger Wurfkraft kann er einsetzen und umgekehrt.

In den zehn verfügbaren Sportlern aus aller Welt findet ihr jede erdenkliche Kombination dieser Talentverteilung. Die zierliche Japanerin H. Mita gehört beispielsweise zu den flinken Spielerinnen, bekommt aber kaum Druck hinter die Scheibe. Ganz im Gegenteil dazu der Deutsche K. Wessel: Er muss seinen muskelbepackten Körper buchstäblich über den Court schleppen, schleudert den Diskus dafür aber in Blitzgeschwindigkeit. Wenn er seinen Special-Move anwendet, den er verbal ankündigt (Raketenwurf!), ist die plötzlich flammenumhüllte Disc kaum zu stoppen. Buchstäblich, denn selbst wenn sein Gegner die Scheibe im beschleunigten Flug auffängt, wird er einen halben Meter nach hinten geschleudert, wodurch das Wurfgeschoss im schlimmsten Fall doch im Ziel landet.

So einen Superwurf, der nicht nur kräftig ist, sondern auch eine schwer berechenbare, oftmals völlig unrealistische Flugbahn zieht, kennt jeder der zehn Sportler. Einsetzen können sie ihn aber nur selten, weil er Vorbereitung benötigt. Entweder indem man auf eine im hohen Bogen fallende Disc wartet und wie verrückt auf den Wurfbutton hämmert, oder durch das Aufladen der Power-Leiste, die sich selbsttätig füllt, sofern man regelmäßig Würfe fängt oder abwehrt. Ähnlich steht es um Kantenwürfe, bei denen man die Frisbee-Scheibe auf der Seite den Court entlangrollen lässt oder direkte Konter, die man mit einem Schlag direkt reflektiert.

Alle Spezialtechniken an dieser Stelle aufzulisten, wäre müßig, aber sie sind das Zünglein an der Waage und wurden sinnvoll erweitert. Neu sind beispielsweise Schmetterwürfe aus einem Sprung heraus. Neo-Geo-Veteranen müssen sich nicht zwingend in den neuen Stoff einfummeln. Abseits des Dropshot, der nun auf einem separaten Knopf liegt, steuert sich die Spielbasis auf den zwei Standardbuttons noch immer so simpel wie beim Original, was Einsteigern ebenso entgegenkommt. Wer im Online-Spiel gegen menschliche Profis etwas reißen will, sollte sich aber mit allen Funktionen auf fünf Buttons vertraut machen. Ihr bekommt nichts geschenkt!

Sparsam erneuert

Leider auch nicht im Rest des Spiels. Vom ganz netten, aber simplen Comic-Grafikstil, der die alten Pixelgrafiken ersetzt, den neuen Wurftechniken und dem dringend notwendigen Online-Modus mal abgesehen, unterscheidet sich Windjammers 2 kaum vom Erstling. Fünf neue Arenen steigern die Zahl der Schauplätze auf zehn, aber abseits des Casinos, in dem die ergatterten Punkte je Zielschuss ausgewürfelt werden, birgt keine der neuen Arenen etwas, das dem Spiel eine frische Geschmacksnote verleiht.

Im Gegenteil. Windjammers 2 fühlt sich sehr vertraut an. Vielleicht sogar zu vertraut. Wenn selbst der Soundtrack überwiegend aus Neueinspielungen der Originalmusikstücke besteht, fällt es schwer, Kreativität anzuerkennen. Veteranen des Flying-Disc-Spektakels beschleicht des Öfteren das Gefühl, der neue, handgezeichnete Grafikstil könne als Overlay über einer umprogrammierten Neo-Geo-Emulation liegen.

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Ist natürlich Quatsch. Wäre das der Fall, hätte Windjammers 2 keine derart lange Entwicklung hinter sich. Die erste Ankündigung erreichte uns nämlich schon 2018. Seitdem haben die Entwickler sehr viel Zeit in diverse Gestaltungsschritte investiert. Sie mussten beispielsweise den kompletten Original-Code der Data-East-Programmierer per Reverse-Engineering nachbauen. Noch dazu hat das Grundgerüst mehrere Beta-Testphasen hinter sich, die das Gameplay zur Perfektion reifen ließen. Nicht ohne Erfolg, wohlgemerkt.

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Das vertraute Spielgefühl dürften viele Kenner begrüßen. Zu leicht wäre es gewesen, die Spielspaßformel des Klassikers zu verfälschen. Ein wenig mehr Drumherum hätte es trotzdem gerne sein dürfen, denn der Arcade-Modus ist schnell durchgespielt, wenn man nicht gerade den härtesten Schwierigkeitsgrad wählt. Mit Ausnahme der wenigen Minigames nach jedem zweiten Match (Frisbee-Maschine, Weitwurf am Strand) bringt er nicht mehr auf die Waage als eine Aneinanderreihung von CPU-Begegnungen und ein kleines, witziges Abspann-Filmchen je Athlet. Danach reduziert sich der (hohe) Spielspaß auf Couch-Matches und Online-Begegnungen.

Puh, das ist arg mager. Tag-Team-Kämpfe? Ein Trainingsmodus? Vielleicht so etwas Ähnliches wie ein Pelota-Modus mit größerem Spielfeld? Alles nicht vorhanden. Schade, Chance vertan!

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