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Test - White Shadows : Berauschend düsterer PS5-Plattformer

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„Alle Tiere sind gleich“, verkündet ein Propagandaplakat gleich zu Beginn von White Shadows und schlägt damit ganz unverhohlen die Brücke zur offenkundigen Inspiration für das dystopische Szenario des Spiels: George Orwells Farm der Tiere, aus dem dieses Zitat stammt. Genau wie in dem Literturklassiker entwirft der Puzzle-Plattformer vom Kölner Indie-Entwickler Monokel die Allegorie einer faschistoiden Gesellschaft, in der Tiere die Herrschaft übernommen haben. Doch manche Tiere sind gleicher als andere.

In der Welt von White Shadows sind es die Vögel, die als Tiere zweiter Klasse behandelt und zu Knechtschaft in Fronarbeit und Legebatterien gezwungen werden, weil ihnen die Schuld am Erlöschen der Sonne gegeben wird. Seitdem ist die Welt in totale Finsternis getaucht. Nur das Licht aus vereinzelten Scheinwerfern und flackernden Glühbirnen bildet das lebensnotwendige Elixier, um das sich die gesamte Existenz der Überlebenden dreht.

Schon der Name des Spiels deutet es unmissverständlich an: White Shadows, weiße Schatten, der Kontrast von Licht und Dunkelheit, das sind die Elemente, die die Naturgesetze dieser Welt in ihrem Innersten antreiben und die Ästhetik des Spiels vollständig beherrschen. Die ganze Welt ist komplett in schwarz und weiß gehalten und erinnert damit vom ersten Moment an die expressionistischen Stummfilme der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, vor allem Metropolis von Fritz Lang, der ebenfalls die faschistoide Allmachtsfantasie eines mechanisch funktionierenden Menschen-Uhrwerks zeichnete und dafür eine technologische Zukunftsvision entwarf, die damals als futuristisch galt, heute als nostalgischer Steampunk wahrgenommen würde.

Die Flächigkeit des 2D-Plattformer-Geschehens evoziert aber auch immer wieder Vergleiche mit der Kunst des Scherenschnitt-Theaters, das etwa mit den avantgardistischen Märchen und Opernverfilmungen von Lotte Reiniger bezeichnenderweise zur selben Zeit wie Metropolis in der Filmgeschichte eine kurze Blütezeit erfuhr und Pionierarbeit im Bereich des Animationsfilm leistete. Doch während im Scherenschnitt die Hintergründe zumeist hell leuchten und im Vordergrund die schwarzen Schatten agieren, bildet White Shadows das düstere Negativ dazu: Die Szenerie wirkt, als wäre sie von Dunkelheit verschluckt, in der die kargen Lichtquellen um ihre Existenz bangen und wie verzweifelte Irrlichter mit der allgegenwärtige Finsternis um ihr Dasein ringen.

Der künstlerische Stil von White Shadows ist schlicht und ergreifend sagenhaft und bildet zweifellos das Aushängeschild des Spiels. Im Gegensatz zu vielen ähnlichen Indiespielen, die auf eine Schwarz-weiß-Optik zurückgreifen, etwa Limbo oder Shady Part of me, fallen die Kulissen und Objekte der in Unity Engine erstellten Spielwelt nicht minimalistisch oder skizzenhaft stilisiert aus, sondern außergewöhnlich reichhaltig und plastisch. Die Stadt, in der White Shadows spielt, ist weniger Heimstatt für die letzten Überlebenden, sondern vielmehr ein einziger riesiger Schrottplatz, dessen Gebäude mehr als Zuflucht denn Behausung dienen und monströse mechanische Apparaturen aus verschwenderisch detailreich gezeichneten Einzelteilen zusammengeflickt wurden.

White Shadows erscheint exklusiv für die neue Konsolengeneration PS5, Xbox Series sowie PC, und wenngleich die Grafikqualität sicherlich auch auf den alten Konsolen vermutlich ohne größere Abstriche möglich gewesen wäre, so ist dem Endergebnis doch anzumerken, wie genüsslich und sorglos die Entwickler auf die technischen Möglichkeiten der zusätzlichen Hardware-Power zurückgreifen konnten, ohne sich Gedanken über die Performance oder aufwändige Optimierung machen zu müssen: Schon in der ersten Szene möchte man erstmal innehalten statt loszuspielen, um die ganze Pracht dieser Detailversessenheit auf sich wirken zu lassen, die Atmosphäre einatmen, die der gekonnte Einsatz grafischer Mittel verströmt.

Wie im Indie-Meisterwerk DARQ, das ebenfalls ausschließlich in schwarz und weiß erstrahlt, ist die Umgebung mit einem dezenten Nebel überzogen, der von den Lichtquellen von Innen heraus zum Leuchten gebracht wird und die Szenerie mit einem gespenstischen Schimmer in ein bedrohlich unwirkliches Ambiente taucht. Schaut euch am besten den Trailer an, um einen Eindruck davon zu gewinnen. Die Screenshots geben es nicht ansatzweise wieder.

White Shadows - Trailer zum berauschend schönen PS5-Spiel

Im Puzzle-Plattformer White Shadows vom Berliner Indie-Entwickler Monokel lehnt ihr euch als Rabenmädchen gegen die Unterdrückung der bösen Wölfe auf.

White Shadows ist kein Spiel der verzückten Seufzer, sondern eines des unbändigen Staunens mit weit aufgerissenen Augen. White Shadows ist ein Spiel der ständigen Wow!-Momente: wenn ihr mit eurem hilflosen Rabenmädchen über einen Dachgiebel balanciert und plötzlich ein gigantischer Zeppelin durch die Wolke direkt über eurem Kopf bricht; wenn ihr euch auf einem Zug eine halsbrecherische Jagd durch die Straßenschluchten liefert; oder wenn ihr in einem Heißluftballon an den majestätischen Wolkenkratzern empor in die Lüfte steigt und dabei für einen Augenblick deren volle Erhabenheit erfahrt.

Doch ich hört’ in seinem Krächzen, seine ganze Seele ächzen

White Shadows zieht seine Faszination in jeder seiner Fasern von seinem extravaganten Stil, seiner berauschenden Inszenierung und der trostlosen Atmosphäre, aber auch von seiner orwell’schen Thematik: Ihr spielt ein junges Rabenmädchen, das am Anfang des Spiels durch einen Zufall aus ihrer entmenschlichten Existenz als Rädchen im Getriebe an den Fließbändern entkommt und nun die Welt auf eigene Faust erkundet und die hässliche Fratze hinter der Fassade von Propaganda und vermeintlich naturgegebener Hierarchie kennen lernt.

Die Ordnung dieser Welt wird von der brutalen Herrschaft der Wölfe diktiert, die den Mangel an Licht zur Aufrechterhaltung ihrer Macht ausnutzen. In einem frühen Moment des Spiels werdet ihr Zeuge, wie die Schweine in einer langen Schlange anstehen wie die Fabrikarbeiter in einer sehr ähnlichen Szene von Metropolis, um ihre tägliche Lichtdusche zu empfangen, die ihnen das einzig verbliebene Fünkchen Glückseligkeit verheißt, sie aber lediglich in die Abhängigkeit des herrschenden Systems zwingt. Später, man könnte es im weiteren Sinne einen „Bosskampf“ nennen, müsst ihr zur Erheiterung der Massen in einer Zirkusarena tödlichen Fallen ausweichen, die euch ein hünenhafter, mechanischer Roboterwolf um die Ohren haut, während er euch verhöhnt, indem er dazu eine fröhliche Musical-Nummer zum Besten gibt.

In dem wahrscheinlich besten Kapitel des Spiels findet ihr euch in einer Legebatterie wieder und müsst dort die industrielle Aufzucht eurer gefiederten Artgenossen mitansehen, erlebt hautnah wie ihre Eier in einer riesigen Fabrikhalle von mechanischen Roboterarmen im Rhythmus zur Musik des Donauwalzers wie eine höllische Tanzchoreographie sortiert werden, an deren Ende der einzelnen Stadien des Heranwachsens entweder die Deportierung in Arbeitslager oder das brutale Schreddern der Küken steht.

Wie in diesem Beispiel exzellent zu sehen, setzen die Entwickler Musik und Sound pointiert gewählt ein, um ihre gewünschten ästhetischen Effekte geschickt zu verstärken oder zu kontrastieren: Über weite Strecken wird auf Musik gänzlich verzichtet, lediglich ein ständig wummernder Ton ist zu hören, der irgendwann nicht nur mental in Unruhe versetzt, sondern durch sein monotones Dröhnen fast schon körperlich Unwohlsein erzeugt.

Wenn Musik eingesetzt wird, dann handelt es sich dabei um keine Eigenkompositionen, sondern um geradezu klischeehaft populäre Evergreens der Klassik wie eben der Donauwalzer, aber auch Also sprach Zarathustra, der Walkürenritt oder das Duett zwischen (oho, wie metaphorisch) Vogelfänger Papageno und Papagena aus der Zauberflöte, meist in leicht blechernen Versionen, als würden sie von einem alten Grammophon abgespielt, die in ihrer Spannweite von unbekümmerter Verspieltheit bis triumphaler Erhabenheit das trostlose Geschehen geradezu feixend spöttisch kommentieren.

Spielerisch enttäuschend

Wie gerne würde ich in diesem schwärmerischen Tonfall fortfahren und euch für White Shadows eine uneingeschränkte Empfehlung aussprechen. Doch leider kann der Puzzle-Platformer spielerisch nicht ansatzweise mit seiner künstlerischen Vision mithalten. Die einzelnen Kapitel mäandern zwar immerhin um Abwechslung bemüht, aber doch recht einfallslos und unentschlossen zwischen austauschbaren Spielmechaniken.

Die seichten Rätsel hat man in Dutzenden Indiespielen von ähnlichem Format schon deutlich raffinierter und kreativer gesehen. Da müsst ihr mal die Statuen auf einer rotierenden Plattform in Reih und Glied positionieren. Oder eine Kiste in Stellung schieben, um darüber auf die nächsthöhere Ebene zu gelangen. Shady Part of me oder DARQ, um nur zwei Vertreter jüngeren Datums zu nennen, sind in dieser Hinsicht meilenweit voraus. Die Schleich-Passagen durch feindliches Gebiet, in denen ihr euch vor den Suchscheinwerfern von Wachen und Geschützen verbergen müsst, sind … naja, so Schleich-Passagen halt. Kennt man zu Genüge in jederlei Kontext. Und die Kapitel, in denen ihr einen Hüpfparcours absolvieren müsst, beispielsweise auf einem fahrenden Zug oder durch einen fallengespickten Jahrmarkt, nerven ehrlich gesagt mehr als dass sie Freude bereiten.

White Shadows erweckt den Eindruck, als sei es mit einer klaren visuellen Vision vor Augen und literarischer Eingebung im Hinterkopf erdacht worden, dem die Gameplay-Mechaniken in erster Linie nur aus der Not geboren hinzugefügt wurden, damit halt welche da sind und das Spiel nicht von vornherein als Walking-Simulator abgetan wird. Es spricht nicht gerade für sein spielerisches Konzept, wenn ich mir insgeheim wünsche, es wäre vielleicht mal besser ein solcher geworden.

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Sicherlich hätte es dann wiederum andere Kritikpunkte auf sich gezogen, hätte aber die Gelegenheit geboten, völlig im Rausch seines ästhetischen Genusses aufgehen zu können, statt immer wieder mit halbgaren Spielmechaniken daraus herauszureißen. Denn nachdem ich selbst nach der kurzen Spieldauer von lediglich drei Stunden nicht traurig war, als diese schon vorüber waren, muss ich mir trotz aller Begeisterung über seine sinnlichen Qualitäten eingestehen: So richtig Spaß hatte ich eigentlich nicht dabei.

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