Test - Wanted: Dead : So oldschool, dass es weh tut
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Am Anfang meiner Reise mit Wanted: Dead hätte ich es wohl ohne Vorbehalte jedem Freund von Oldschool-Ballerfesten der PS3- und Xbox-360-Ära empfohlen. Einige Stunden später sieht die Lage deutlich anders aus. Fans von entsprechend altbackenem Vergnügen kann ich den Titel von Soleil zwar noch immer ans Herz legen, aber nur mit einigen Einschränkungen. Denn auch wenn die Entwickler ihr Ziel erfüllen und wohlige Erinnerungen an frühere Tage wecken, so nehmen sie diesen Ansatz an mancher Stelle wiederum zu ernst. Das torpediert den ansonsten so herrlich wahnsinnigen Mix aus Slasher, Shooter und Minispiel-Sammlung.
Die goldenen Tage der Character-Action-Spiele liegen weit hinter uns. Ihren Zenit erlebten die oft überdrehten, nicht selten mit sympathischen Trash-Anleihen bedachten Ballerbuden unbestreitbar auf der sechsten und siebten Konsolengeneration. Also Playstation 2, Playstation 3, Gamecube, Xbox 360 und andere Geräte aus dieser Zeit. Die größten Perlen markieren Titel wie Vanquish, Bayonetta, Metal Gear Rising: Revengeance und die ersten Ninja-Gaiden-Teile. Nicht vernachlässigt werden sollten aber die Low-Budget-Versionen dieser Ära. Ich für meinen Teil ballerte und metzelte mit sogar lieber durch versteckte Schätze wie Wet, Dark Sector oder 50 Cent: Blood on the Sand. Hier tobten sich Entwickler noch so richtig aus und verließen die vorgegebenen Pfade nicht bloß, sie rissen sie gnadenlos ab.
Laut der offiziellen Homepage schreibt die Spieleschmiede Soleil mit Wanted: Dead einen „Liebesbrief an die sechste Generation der Videospiel-Konsolen“. Oder an die eigene Vergangenheit. Hinter dem Studio stehen schließlich einige ehemalige Mitarbeiter von Team Ninja. Mit Dead or Alive und Ninja Gaiden haben die Branchenveteranen bereits einiges an Erfahrung sammeln können. Ihr Ziel, ein möglichst oldschooliges Erlebnis zu kreieren, erfüllen sie jedenfalls. Nun stellt sich aber die große Frage: Macht ein trashiger Character-Action-Shooter auch 2023 noch Bock?
Simpel trotz Skilltree
Zur Wehr setzt ihr euch mit dem treuen Katana oder dem Maschinengewehr eurer Heldin Lieutenant Stone. Von getöteten Feinden sammelt ihr gelegentlich auch eine fallen gelassene Zweit-Schusswaffe auf. Zu den verfügbaren Schießprügeln gehören Schrotflinten, Maschinenpistolen und ausgewachsene LMGs. Allerdings steht Ballern in Wanted: Dead gar nicht so sehr an der Tagesordnung, wie man zunächst vermutet. Aus dem simplen Grund, dass Munition rar gesät ist und viele Gegner dazu neigen, Kugeln wie ein Schwamm aufzusaugen. Damit meine ich noch nicht einmal die Bosse, die von Spinnen-Panzer über Scharfschützin mit Unsichtbarkeitsmantel reichen.
Ellenlange Kombos mit der scharfen Klinge braucht ihr aber auch nicht erwarten. Stumpf auf der Nahkampf-Taste herumhämmern reicht vollkommen aus, um die bösen Buben zu filetieren. Eine Standard-Kombo, mehr braucht Stone nicht. Dazu gesellt sich eine Pistole, die in erster Linie existiert, um unblockbare Attacken zu stoppen. Die Kombination aus Handfeuerwaffe und Katana ermöglicht eine zweite Angriffsfolge. Gegner gezielt anwählen dürft ihr übrigens nicht, frei nach dem Motto „Kein Lock-on, kein Problem“. Cool ist aber die Möglichkeit, Lebensenergie nach einem Treffer noch ein paar Sekunden durch Gegenangriffe zurückzugewinnen. Hallo Bloodborne!
Das Kampfsystem von Wanted: Dead gestaltet sich also sehr simpel. Aber genau in dieser Einfachheit liegt auch die Schönheit. Hirn aus, Spiel an und ein paar Klonkrieger über den Jordan schicken. Selbst der Skilltree verkompliziert die Situation nicht unnötig. Wirkungsvollere Medi-Packs, effektivere Teamkameraden und zusätzliche Granaten. Das sind nützliche Ergänzungen, die das Spiel aber keinesfalls auf den Kopf stellen. Darüber hinaus dürft ihr an Drohnen, die als Checkpoints fungieren, eure Knarren aufwerten. Visier, Schaft, Magazin und Lauf verändern die Genauigkeit, den Schaden und Rückstoß.
Unterhaltsame Baller-Pausen
Wanted: Dead bietet euch aber mehr, als immer nur die ewig gleichen Feinde in schmucklosen Umgebungen über den Haufen zu bratzen. Zwischen den Missionen wandelt ihr durch die Polizeistation und erfreut euch an überraschend umfangreichen Minispielen. Beispielsweise futtert ihr Ramen oder singt 99 Luftballons (ja, das Original) in Karaoke. Zwar handelt es sich bei beiden Aktivitäten um simple Knöpfchendrück-Mechaniken, aber das stört nicht wirklich. Für die Nudelsuppen-Völlerei fischt ihr aus dem Greifhaken-Automaten zumindest neue Gerichte, was die Tastenabfolgen verändert.
Wohl am meisten Zeit verbrachte ich tatsächlich am Greifhaken, im Gegensatz zum echten Leben zieht ihr hier regelmäßig Gewinne raus. Neben den erwähnten Ramen-Ergänzungen winken neue Songs für den (fantastischen) Soundtrack als Belohnung. Warum genau mich dieses simple Spielchen so fesselte, kann ich gar nicht genau sagen. Zumal tatsächlich ein vollständiges Sidescrolling-Shoot-em-up ebenfalls als Ablenkung winkt. Manchmal bringen die einfachsten Beschäftigungen eben den größten Spaß.
Wenn ihr euch nun am Kopf kratzt, was all der herrliche Unfug mit einem Character-Action-Titel zu tun hat, dann lasst mich euch sagen: gar nichts. Soleil wollte die Wahnsinns-Schraube einfach maximal nach oben drehen und das gelang den Entwicklern mehr als gut. Wenn euch das noch nicht durchgebimmelt genug daherkommt, hier ein weiteres scheinbar sinnloses Detail, das sich doch perfekt einfügt: In unregelmäßigen Abständen kippt Stone aus den Latschen und Wanted: Dead präsentiert komplett unzusammenhängend eine vollständige Anime-Zwischensequenz. Warum? Weil’s witzig ist.
Ich fühl’ mich wie im Film
Die Story spielt dem Nonsense perfekt in die Hände. Eure Heldin, Leutnant Stone, wird für ein ungewöhnliches Rehabilitierungsprogramm aus dem Knast geholt. Gemeinsam mit Herzog, Cortez und Doc bildet sie die Zombie-Einheit der Polizei von Hong-Kong in einer näheren Zukunft. Allerdings sendet ihr keine Untoten unter die Erde, sondern durchgedrehte Androiden der Megacompany Dauer. Die Figuren zeigen sich dabei flacher als die Ebenen von Ostfriesland. Herzog lässt in einem Diner absichtlich eine Gabel fallen, um der Bedienung in den üppigen Ausschnitt zu glotzen. Stone führt nach einer misslungenen Operation ein Gespräch mit dem Captain, bei dem nur ein Element fehlt: dass sie ihre Marke und Waffe auf den Tisch knallt und „DAS SYSTEM STINKT“ brüllt. Perfekte 80er-Actionfilm-Unterhaltung.
Das klingt euch alles zu normal? Kein Problem, die Geschichte von Vivienne verpasst euch den Rest. Die Waffenmeisterin der Polizei gewann bei den olympischen Spielen 2016 mehrere Goldmedaillen. Danach moderierte sie eine eigene Kochshow, bevor sie den Staatsdienst antrat. Ach, ihr Gesicht leiht ihr übrigens Stefanie Joosten, die auch maßgeblich am Soundtrack mitwirkte. Falls euch der Name jetzt verdächtig bekannt vorkommt: Sie verkörperte in der Vergangenheit schon Quiet aus Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain. Und natürlich stand sie für „Viviennes Late Night Chow“ real vor der Kamera und ihr könnt euch die Rezept-Videos auf YouTube reinziehen.
Der Frust als Beifahrer
Insgesamt könnte Wanted: Dead trotz der (absichtlich) katastrophalen Präsentation und miesen Tonabmischung ein Freudenfest für Fans vergangener Tage feiern. Meine ersten Stunden fasste ich es kaum, wie viel Bock das Ding machte. Doch mit fortschreitender Spielzeit zeigten sich nicht nur Abnutzungserscheinungen, auch unverzeihliche Designentschnitzer schneiden große Gaudi-Fetzen aus der Ballerbude.
Typische Problemchen wie „töte alle Gegner im Gebiet“, bei dem sich der letzte Schurke aber halb in eine Wand geglitcht hat, prangere ich noch nicht einmal groß an. Stattdessen steht da zum einen die Speichermechanik im Raum, die unschöne Flashbacks an schlechtere Tage evoziert. Euren Fortschritt merkt sich Wanted: Dead nur an den erwähnten Checkpoint-Drohnen, Quicksave gibt es nicht. Außerdem füllen sich nur hier eure Medi-Packs auf. Wenn es blöd läuft, setzt euch ein Tod also mal eben eine Viertelstunde zurück.
Das fällt besonders in späteren Missionen ins Gewicht. Hier bombardiert euch Wanted: Dead regelrecht mit Bulletsponge-Feinden. Ich ging irgendwann dazu über, im Kreis zu rennen, einen Schlag abzugeben und wieder weiterzulaufen. Kein spaßiges Erlebnis, sonst bot sich mir aber keine Chance zu überleben. Wenn sich das Spiel schon auf dem untersten, „normal“ genannten Schwierigkeitsgrad von drei so verhält, will ich gar nicht wissen, wie das auf höheren Stufen aussieht. Ich würde mich als durchaus versierten Gamer bezeichnen, aber hier sah ich irgendwann aufgrund der schieren Maße und Widerstandsfähigkeit der Gegner kein Land mehr. Beziehungsweise allgemein überhaupt nix, denn die Kamera kapitulierte in den engen Gängen schneller als ich bei der Suche nach einer tiefschürfenden Story.
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