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Special - Homosexualität : Von YouTube-Stars und Spieleredakteuren

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Interview: André Kremer

Gameswelt: Hallo! Stell dich bitte kurz vor. Was machst du in der Spiele-Branche?



André: Hallihallo. Mein Name ist André Kremer, ich bin 34 Jahre alt und spiele, seit ich denken kann, Videospiele. Von Beruf bin ich TV-Redakteur, wobei ich in den letzten Jahren immer mehr die Seiten in Richtung Werbung gewechselt habe. Im TV habe ich für MTV unter anderem die dreiteilige Doku-Reihe „MTV AAA: Digital Heroes“ produziert und war hauptverantwortlich für die Realisation der ersten MTV GameAwards 2008 in Berlin (inklusive Konzept, Juryleitung, redaktioneller Leitung etc. pp) zuständig. Heute betreue und berate ich eine der größten Gaming-Firmen der Welt und helfe bei der Produktion von Werbespots und Kampagnen.

Gameswelt: Mit dem Coming-out von Hitzlsperger ist das Thema "Homosexualität" in den Medien wieder in den Vordergrund gerückt. Seit wann weißt du, dass du dich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlst?

André: Vorneweg muss ich sagen, dass ich schon immer schwul war (es gibt ja noch genug Pfosten, die glauben, man wird dazu erzogen). Als Kind war mir bereits klar, dass ich anders als die anderen bin, aber als Kind kann man noch nicht realisieren, was genau anders ist (auch wegen fehlender positiver Vorbilder in den Medien). Mit dem Begin der Pubertät war mir dann sehr schnell klar, dass ich lieber mit Jungs/Männern zusammen sein möchte und nicht mit Mädchen/Frauen. Das Wort "schwul" spukte dann zum ersten mal im Alter von cira 11 oder 12 Jahren in meinem Kopf herum. Mit 13 war mir endgültig klar, dass ich so bin wie ich bin. Mein Coming-out hatte ich dann bereits im Alter von 15 (auch an der Schule).

Gameswelt: Die Spiele-Branche, allen voran Online-Communitys, gilt als relativ intolerant gegenüber Homosexualität. Ähnlich wie beim Fußball sind das Geschlecht sowie die sexuelle Orientierung eher kein Gesprächsthema. Wie hast du die Community erlebt?


André: Wenn wir von der Spiele-Branche reden, kann ich da nix Negatives sagen. Ich gehe selber sehr offen mit meiner sexuellen Orientierung um und habe innerhalb der Spiele-Branche (wie allgemein in der Medienwelt) nie negative Reaktionen erlebt. Was Online-Communitys angeht, ist die Lage eine vollkommen andere. In Ego-Shootern erfährt man online ja nicht nur, wer alles gerade mal wieder die eigene Mutter gefickt hat, sondern auch Worte wie Faggot und Gay werden inflationär in einem absichtlich negativen Kontext rausgeschleudert, als gäbe es kein Morgen mehr. An dieser Stelle wird oft und gerne darauf hingewiesen, dass Jugendliche diese Worte ja in einem anderen Kontext benutzen, allerdings halte ich diese Argumentation für extrem gefährlich und geradezu abartig. Ich kann nur jedem empfehlen, sich ernsthaft in die Lage jugendlicher LGBTs zu versetzen, die gerade in der Selbstfindungsphase sind und wie diese auf einen solchen Sprachgebrauch reagieren beziehungsweise wozu das führen kann (im schlimmsten Fall zu Depressionen bis hin zum Suizid). Bei diesem Thema wünsche ich mir von Publishern auch ein viel rigoroseres Vorgehen gegen den aktuellen Status quo. Man muss nur das Wort Faggot durch Neger oder Jude ersetzen und schon würden wir gar nicht erst darüber diskutieren, wie man damit umgeht. Beim ersten Benutzen eines homophoben Schimpfworts sollte es einen Warnschuss geben, bei Wiederholung wird der Spieler dann eben gesperrt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man auf diese Art das Problem sehr schnell aus den Communitys verbannen könnte. Außerdem gibt es so viele andere tolle Schimpfwörter. Zudem sollten die Moderatoren der entsprechenden Communitys den Dialog mit den Nutzern suchen, denn einfach „nur“ zu bannen kann zum genauen Gegenteil führen, sprich: Jetzt sind die doofen Homos auch noch Schuld daran, dass ich nicht mehr Xbox live benutzen kann.

Gameswelt: Hast du Probleme beruflicher Natur durch deine sexuelle Orientierung gehabt? Wenn ja, was ist passiert und wie bist du mit diesen Problemen oder Nachteilen umgegangen?

André: Nö, nie! Hab aber auch ne große Klappe und lasse es erst gar nicht so weit kommen.

Gameswelt: Wie siehst du das Thema Homosexualität in Videospielen vertreten? Dort treffen wir in Verbindung mit homosexuellen oder Transgender-Charakteren oft auf alte Stereotype wie Schwäche oder extreme Verweiblichung.

 Inwiefern, glaubst du, muss und soll sich eine Spiele-Community mit der Sexualität anderer Spieler beschäftigen – auch in Spielen?



André: Puh, das ist schwierig und komplex. Als Erstes stellt sich da die Frage, wie denn überhaupt Heterosexualität in Spielen dargestellt wird, und die ist eigentlich nicht existent. Natürlich gibt es Spielfiguren, von denen ich aus der Handlung und der Motivation (rette die Prinzessin) ablesen kann, welche sexuelle Orientierung sie haben. Den sexuellen Akt an sich spielt man aber eigentlich nie, weil es auch einfach überhaupt nicht funktioniert. Tobias Meißner hat mir mal in einem Interview gesagt: „Du willst ja bei 'nem Porno auch nicht erst Hunderte Level durchspielen, Frustmomente erleben, um dann endlich beim Orgasmus/Endboss anzukommen.“ Klar wird das immer mal wieder versucht, aber am Ende kommen dabei dann immer so hochnotpeinliche Momente wie in God of War raus, wo man in einem QTE ein paar Tasten drücken muss und es dann den Bitches so richtig besorgt hat (sic!). Insofern, glaube ich, gibt es keinerlei Handlungsbedarf beim sexuellen Akt in Spielen, denn er ist auf beiden Seiten nicht existent.

Aber: Man kann natürlich sexuelle Identitäten darstellen, denn dabei geht es nicht nur darum, wer was wo reinsteckt, sondern es hat Einfluss auf das gesamte Leben. Da gibt es wirklich einen sehr, sehr großen Nachholbedarf, aber auch tolle erste Schritte. Vor allem EA muss man da positiv erwähnen, die trotz großer Proteste an LGBT-Charakteren in Mass Effect und anderen Spielen festgehalten haben und sich aktiv für eine Enttabuisierung einsetzen. Auch Die Sims sollte man da positiv erwähnen, weil es schon seit Längerem die Möglichkeit gibt, eine LGBT-Identität innerhalb der Spielwelt zu führen. Gerade bei Rollenspielen und Lebenssimulationen halte ich diesen Prozess auch nur für natürlich, denn wenn mir gesagt wird, „Du kannst hier das echte Leben nachspielen“ oder „Du kannst hier deine eigene Geschichte erzählen“, möchte ich auch die Möglichkeit haben, meine sexuelle Identität in dem Spiel wiederzufinden. Ich möchte bei den Sims nun mal keine Frau heiraten, sondern einen Mann. Das hilft natürlich leider überhaupt nicht, um die Akzeptanz von LGBTs in der Gesellschaft zu steigern oder zu verbessern, weil nur die wenigsten Heterosexuellen sich für ein LGBT-Leben im Spiel entscheiden werden. Ergo: Sie werden damit überhaupt nicht konfrontiert. Um das zu erreichen, muss man auch in anderen Genres Figuren einbauen, die LGBT sind, und das idealerweise ohne jegliche Klischees zu bedienen. Man stelle sich nur vor, Leon S. Kennedy redet in Resident Evil 6 ganz nebenbei über seinen Freund oder muss ihn gar aus den Fängen von Umbrella retten. Oder in Final Fantasy ist ein Team-Mitglied schwul und verliebt sich in den Protagonisten. Da könnte man ganz tolle Geschichten erzählen und Verständnis für andere sexuelle Orientierungen schaffen - zum Beispiel eben wie es sich anfühlt, wenn man sich als schwuler Jugendlicher in den heterosexuellen Klassenkameraden verliebt. Wichtig ist eben: Der Spieler muss mit diesen Figuren auch wirklich konfrontiert werden und kann sie nicht einfach wegklicken beziehungsweise muss sich erst aktiv dafür entscheiden, dass sie auftauchen. Ein absoluter Traum wäre natürlich ein LGBT-Held, wobei ich mir vorstellen kann, dass die Branche davor noch zu große Angst hat, weil es sicherlich einen großen Teil an Spielern gibt, die keine Lust haben, mit einer „Tunte“ zu spielen, und deshalb das Spiel erst gar nicht anfassen. Der beste Weg, um so etwas zu realisieren, wäre sicherlich, den Spieler bis kurz vor Schluss im Unklaren über die sexuelle Identität der Hauptfigur zu lassen. Wenn ein Spieler dann 20 Stunden mit einer Figur verbracht hat, Sympathie für diese Figur aufgebaut hat und dann erfährt, dass die Figur eben schwul ist, könnte das Großes bewirken. So ein bisschen wie damals in Metroid: Überraschung, du hast die letzten Stunden eine Frau gespielt und das Spiel war trotzdem gut. Ich wünsche mir eine schwule Samus Aran!

Gameswelt: Hast du über die vergangenen Jahre eine Veränderung der Menschen, was ihre Reaktion in Bezug auf deine Position in Sachen Sexualität und Videospiele angeht, bemerkt?




André: Das Coming-out von Hitzlsperger hat ja gerade gezeigt, dass da eben noch nicht Friede, Freude, Eierkuchen erreicht ist, ansonsten hätte es nicht so hohe Wellen geschlagen. Mit LGBT-Rechten ist es momentan ein ziemliches Auf und Ab. Auf der einen Seite öffnet ein Land nach dem anderen die Ehe (für homosexuelle Paare; Anm. d. Red.) und immer mehr Normalität wird erreicht. Auf der anderen Seite ist es erschreckend und beschämend, was momentan in Russland passiert, und man darf nie vergessen, dass sich der Wind auch ganz schnell wieder drehen kann. In Indien wurde Homosexualität gerade wieder für illegal erklärt, in Australien wurde die „Homo-Ehe“ wieder zurückgezogen. Das ist wirklich mehr als beängstigend und ich würde mir einen viel größeren Aufschrei auf der ganzen Welt wünschen. Und auch vor unserer eigenen Haustür müssen wir kehren: Wenn in Baden-Württemberg gerade 150.000 Menschen eine hochgradig homophobe Petition unterzeichnen, sollte das uns als Gesellschaft zu denken geben und auch beschämen. Daher ist es in der Tat wichtig, positive Bilder von LGBTs zu produzieren und sie ganz natürlich in allen Medien auftauchen zu lassen, also eben auch in Videospielen. Wenn ein 14-jähriger schwuler Spieler in einem Videospiel eine schwule oder lesbische Figur entdeckt, mit der er sich identifizieren kann, ist das unglaublich wertvoll und kann diesem 14-Jährigen nur dabei helfen, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen.

Hier noch was außerhalb des Fragenkatalogs, was ich loswerden will: Gerade bei dem Hitzlsperger-Coming-out habe ich so viele unfassbar dämliche Kommentare gelesen, die in die Richtung gehen „Was wollen die Homos denn überhaupt?“ und „Warum müssen die das immer so in den Vordergrund stellen, ich oute mich ja auch nicht als Hetero!“. Da liegt eben genau der Denkfehler: Man outet sich permanent als Hetero. Man outet sich in dem Moment, wo man über die Freundin oder Frau spricht. Man outet sich als heterosexuell, wenn man Händchen haltend auf die Straße geht. Man outet sich permanent. Weil Heterosexualität nun mal als „Norm“ gilt, muss man da dann auch gar nicht erst eine Ansage dazu machen. Wir wollen nicht bevorzugt behandelt werden, sondern wir wollen, gottverdammt noch mal, einfach nur dieselben Rechte und dass man uns in Ruhe lässt! Was die heterosexuelle Welt einfach endlich begreifen muss, ist: Heterosexualität ist nicht normal, sie ist einfach gewöhnlich. Hier noch das Beste, was ich am Tag, als Hitzlsperger die Bombe hat platzen lassen, gelesen habe: Spektrallinie

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