Preview - Rocksmith+ : Die Musik-Legende kehrt zurück
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Die große Zeit der Musikspiele ist lange vorbei. Spätestens nach 2014 schien der Käse gegessen. Nur ein paar hartnäckige Kandidaten trotzten dem Trend und verschanzten sich in ihrer Nische, ähnlich wie die berühmten Comic-Gallier aus Aremorica. Nun wagt Ubisofts Rocksmith mit einem neuen Ableger den Sprung nach vorne. Warum die neue Iteration das Anhängsel Plus (+) trägt, ließ sich in der Beta, die wir Probe spielen durften, aber nicht eindeutig erkennen.
Rocksmith ist zurück. Mit neuem Verkaufsmodell und neuer Philosophie. Eine Philosophie, die Kenner der Serie ein wenig ratlos zurücklässt, aber verständlich sein kann, wenn man den langen Entwicklungsweg der Musikspiele, die echte Instrumente nutzen, zurückverfolgt.
Seitdem Harmonix mit Rock Band 3 anno 2010 erstmals eine speziell angefertigte, aber voll funktionsfähige E-Gitarre als Videospiel-Controller etablierte, scheiden sich die Geister. Für manche glich der Brückenschlag zum echten Musizieren nach authentischen Regeln dem Fund des heiligen Grals. Ein Instrument durch Daddeln erlernen? Spaßiger geht’s doch kaum! Zumal den damaligen Youtube-Kommentatoren, die Anhängern der Plastikklampfe ein toxisches „Spiel doch lieber echte Gitarre, statt deine Zeit zu verschwenden!“ entgegendonnerten, der Wind aus den Segeln genommen wurde.
Womit der Guitar-Hero-Erfinder allerdings nicht rechnete, war die Gegenbewegung der knallharten Gamer, die gar nicht musizieren wollten, sondern nur einen Geschicklichkeitstest suchten. Man darf eben nicht vergessen, dass das Lernen eines Instruments selbst mit einer gut gestalteten Begleitsoftware mühevolle Arbeit darstellt, die frustrieren kann. Durch den neuen Fokus fühlten sich die Helden der Fünf-Knopf-Balalaika vernachlässigt, ja fast schon betrogen. Statt zwei Welten in einem Spiel zu verschmelzen, wuchs der Graben zwischen den Fraktionen. Erstaunlicherweise wurde der übersättigte Markt der Musikspiele nicht durch eine geniale Innovation gerettet. Er wurde geteilt.
Nickel vs. Plastik
Aufgrund dessen kehrte Harmonix mit dem Nachfolger Rock Band 4 exklusiv zu den Plastikinstrumenten zurück (und bedient diesen schmalen Markt noch heute - auch auf den Next-Gen-Konsolen). All jenen, die Gefallen an echten Instrument fanden, blieb nur das Ausweichen auf ein Alternativprodukt namens Rocksmith, das zwar in jeder Hinsicht ungenauer arbeitete als Rock Band 3, aber dafür kein Spezialmodell eines Instruments voraussetze.
Ubisofts Musikspiel aus dem Jahr 2011, das 2014 eine aufgebohrte Edition spendiert bekam, akzeptierte jede handelsübliche Gitarre mit Tonabnehmer und jeden beliebigen E-Bass. Ein sogenanntes Real-Tone-Kabel, das zum Lieferumfang gehörte, übersetzte mithilfe eines kleinen Wandlers alle Akustik in Signale, welche Tonhöhe für Einzelnoten und Akkorde übersetzte, sodass Konsolen und PCs sie interpretieren konnten. Zumindest im Gröbsten, denn kleinere Fehlinterpretationen ließen sich nicht ausschließen.
Der Rest des Spiels funktionierte sehr ähnlich wie bei Guitar Hero und Rock Band, nur dass die auf dem Bildschirm angezeigten Notenklötzchen in einer dreidimensionalen Matrix dargestellt wurden. Nur so war es möglich, die Notation eines Songs ohne übliche Mittel wie etwa Tabulatur oder Notenschrift an den Spieler weiterzugeben, was nicht nur das Lernen einer solchen Notation umging, sondern auch zusätzliche Copyright-Kosten.
Allein die Kompatibilität mit handelsüblichen Instrumenten machte Videospieler hellhörig – und gestandene Musiker noch dazu. Zumindest einige, denn ein weiterer Graben bildete sich zwischen jenen (angehenden) Musikern, die einem Musikvideospiel etwas abgewinnen konnten, und jenen, die die Nase rümpften, weil der modrige Geruch verschwitzten Plastiks noch immer an diesem Genre haftete. Die Aussage „ich habe meine Gitarrenskills aus einem Videospiel“ stößt auf rollende Augen und die Antwort „was kann das schon taugen?“
Der Kampf gegen das Stigma
Leider ist der Graben zwischen den Fraktionen noch immer so tief, dass die Stigmatisierung als Videospiel den Machern von Rocksmith+ ein Dorn im Auge zu sein scheint. Warum sonst sollte das Programm jedes noch so kleine Detail, das an Videospiele erinnert, über Bord werfen? Der Jargon der Pressemeldungen spricht eine eindeutige Sprache. Versprochen wird ein Trainer, mit dem man Gitarre lernt. Die Webseite meidet das Wort „Spiel“ wie der Teufel das Weihwasser.
Der erste Blick in die Menüs wirkt ähnlich nüchtern. Keine Sortierung der Songs nach Schwierigkeitsgrad, kein Karriere-Leitfaden, keine „Guitarcade“-Minispiele. Stattdessen geradliniges, schnörkelloses, wenn auch sehr sauberes Menügewusel. Wobei diese Aussage unter dem Vorbehalt der Beta-Version steht, die nicht zwingend das Endprodukt repräsentiert. Ganz im Gegensatz zum Verkaufsmodell, das eigentlich gar keines ist, denn Rocksmith+ setzt auf ein Abonnement. Für rund 15 Euro im Monat darf man so viele Songs schrubben wie man will. Und zwar aus einer gigantischen, alle Genres umspannenden Auswahl, die so groß ist, dass man am Anfang gebeten wird, favorisierte Musikrichtungen einzugrenzen.
Ein Paradigmenwechsel mit heftigen Auswirkungen. Kein DLC mehr, und dazu noch langfristige Abhängigkeit von der Internetverbindung. Im Ausgleich dafür erhöht sich die Flexibilität der Plattform. Statt nur am PC üben zu können, darf man das nun überall. Beispielsweise über ein Tablet oder das eigene Handy. Apropos Handy: Wer kein Real-Tone-Kabel mehr besitzt und kein neues findet, braucht sich nicht grämen. Die zugehörige Rocksmith+-App für Android und iOS übernimmt nun die Tonanalyse. Wer noch so ein Kabel im Schrank liegen hat, kann es aber weiterhin nutzen.
Radikal, und sicher moderner als zuvor. Aber einige Eigenheiten bleiben unverständlich. Nun, das mit dem Schwierigkeitsgrad ist bei Rocksmith halb so wild. Die Grundphilosophie in der Songvermittlung setzt auf eine dynamische Reduktion der Noten. Am Anfang spielt man also so lange ein paar vereinzelte Basisnoten, bis das Programm feststellt, dass man sie gemeistert hat. Erst dann kommen mehr Noten dazu, die den Song mit jeder neuen Steigerung weiter vervollständigen.
Dieses System ist ziemlich ausgeklügelt, wenn auch nicht ganz fehlerlos, denn abseits davon, dass sich fortgeschrittene Musiker bei einem so langsamen Einstieg ein wenig langweilen und sich erst mühsam auf ihr Level vorarbeiten müssen, fehlt auch eine Einschätzung des übergreifenden Schwierigkeitsgrads bei den Songs. Ein Pop-Liedchen ist in der Regel leichter zu schrubben als ein Metal-Kracher, aber selbst in dieser Hinsicht kann man sich schwer vertun. Außerdem ist es für Einsteiger befriedigender, Stücke zu lernen, von denen sie wissen, dass sie sie schnell meistern können.
Eine Frage der Philosophie. Die Macher von Rocksmith+ wollen, dass Einsteiger jene Songs lernen, die sie mögen. Grundsätzlich eine gute Herangehensweise, weil man Songs, die man mag, mit größerem Interesse angeht als irgendeinen Klassiker, der zwar leicht ist, aber anderweitig wenig Begeisterung weckt. Andererseits verweigert man Anfängern dadurch einen Leitfaden mit sanfter Steigerung, der mitunter den musikalischen Horizont erweitert.
Der (vorläufige?) Verlust der Guitarcade ist allerdings besonders schmerzhaft. Diese Sammlung von Minispielen war so ziemlich das Beste, was das Musikspielgenre jemals hervorgebracht hat. Ja, die Abfrage war manchmal etwas ungenau, und ja, die erste Guitarcade war spaßiger als die Version von 2014, aber jede Kritik daran perlt gnadenlos ab, wenn man sich vor Augen führt, mit welcher Unbekümmertheit Gitarrenanfänger in diesem Modus trockene Theorie pauken konnten. Tonleitern, Pentatonik, Fretgefühl, Anschlagstärke und einiges mehr verlor dadurch seinen Schrecken.
Bringt mal einen Zehnjährigen dazu, anhand eines Buchs phrygische Skalen zu lernen. Da friert eher die Hölle zu. Aber wenn er währenddessen ein Prügelspiel zockt und nicht einmal bewusst wahrnimmt, dass er gerade Musiktheorie verinnerlicht, fängt er an zu flennen, wenn Mutti ihn ermahnt, er würde schon viel zu lange vor dem Bildschirm hocken. Hoffentlich fehlte die Guitarcade lediglich im Rahmen der Beta-Version. Eine komplette Streichung dieses Features käme einer Selbstverstümmelung gleich.
Mehr Sichtfeld
Im grundsätzlichen Spielablauf hat sich derweil wenig getan. Das Notensystem ist gleichgeblieben und somit genauso genial und einfach zu verstehen wie zuvor. Ausnahmen bestätigen die Regel, denn Ubisoft San Francisco hat die Chance verpasst, die kleinen Schwächen im System auszubügeln, die schon in der 2014er-Version bestanden.
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Arpeggien als Einzelnoten zu visualisieren, statt als zerpflückte Akkorde, erschwert Einsteigern das Verständnis dafür. Das muss doch wirklich nicht sein! Noch ärgerlicher: Noch immer zeigt Rocksmith+ zweifingerig gespielte Powerchords nicht als Akkorde an. Man sieht also keine eingeblendeten Akkordnamen. Bei Powerchords mit drei Fingern aber schon, was aus zwei Gründen bedauerlich ist.
Einerseits wirkt es etwas rückständig, nach der alten „alles was nicht drei Töne hat, ist kein Akkord“-Regel aus der klassischen Musik zu urteilen, wenn sich Rockmusik seit den Fünfzigerjahren dieses Stilmittels bedient. Harmonisch sind beide Akkordtypen sowieso gleichwertig. Ob man nun „Prime-Quinte-Oktave“ spielt oder nur Prime und Quinte, macht abseits einer etwas erhöhten Akkordfülle null Unterschied. Zweitens ist die Staffelung von Powerchords bei schnellen Rockschrubbeleien nicht mehr zu erkennen, da sie weiterhin hintereinander angezeigt werden. Einen schnellen Metal-Song muss man daher auswendig lernen, da man die Notation nicht im Voraus lesen kann. Da hat man mehr Glück, wenn man sich an den Hubbeln der Raufasertapete orientiert.
Immerhin: Das Programm nutzt nun grundsätzlich die volle Bildfläche aus. Besitzer eines Ultrawide-Monitors bekommen somit mehr vom Griffbrett zu sehen und müssen sich weniger auf das Scrollen der Notation verlassen.
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