Test - Quake 2 Remastered - Test : Hey Rockstar, so macht man ein Remaster!
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Nachdem Doom in den frühen 90ern Eltern und Jugendamt-Mitarbeiter veranlasste, sich gegenseitig im Vor-Entsetzen-die Haare-ausreißen zu übertrumpfen, folgte Quake. Noch schneller, noch brutaler und spielerisch ein ganzes Stück anspruchsvoller. Der Nachfolger Quake 2 kam dagegen nie in den Genuss glorreicher Lobeshymnen, wenn es um spielerische Fortschritte ging. Tatsächlich rümpften sogar viele Fans des ersten Teils die Nase, weil sich Teil 2 thematisch komplett vom Inhalt des Erstlings abwandte. Und doch gehört Quake 2 rückblickend zu den wichtigsten Meilensteinen seines Genres. Das Remake des 1997er Klassikers, das nun für den PC und alle Konsolen zu haben ist, beweist das eindrucksvoll.
Kauft euch sofort das Remake von Quake 2! Im Ernst jetzt. Es liegt mir fern, das Pferd von hinten aufzuzäumen, indem ich das Fazit vorziehe, aber ich kann nicht anders, als jedem von euch sofort einzutrichtern, dass sich die Investition von lächerlichen zehn Euro für Quake 2 absolut auszahlt. Diesen Betrag kann und sollte sich jeder leisten, der auch nur entfernt Spaß mit dem Genre der Ego-Shooter hat. Nicht nur, weil es um einen geliebten Klassiker des Genres geht. Quake 2 ist Kult, ohne dick auftragen zu müssen, und wirkt in seiner Spielweise heutzutage fast schon wieder modern.
Old but gold
Bitte folgt dieser Empfehlung und macht euch wegen der der altbackenen Grafik keine Sorgen. Quake 2 ist so fetzig, dass euch keines seiner aus heutiger Sicht technischen Unzulänglichkeiten aus dem Spielfluss holt. Im Gegenteil, den plumpen Sterbe-Animationen und groben Trefferzonen der Gegner, wie auch den blockigen Tunnelstrukturen der Spielumgebung entspringt ein Retro-Charme, den man sonst nur zweidimensionalen Pixelgrafiken abgewinnt.
Sollten sich gerade vor eurem geistigen Auge aus dem Nichts aufpoppende Polygone mit wabernden Blocktexturen manifestieren, dann seid ihr zwar im richtigen Zeitalter, aber auf der falschen Plattform. Es geht nicht um ein altes Playstation-Spiel. 1997 zockten PC-Gamer mit den ersten Voodoo-Grafikbeschleunigern. Schon im Frühling des Folgejahres erschienen Rechenmonster wie die Voodoo 2 oder nVidias Riva TNT. Das sind allesamt Grafikkarten, die weder Textur-Warping noch abgeschnittene Horizonte geduldet hätten. Insofern verfälscht das aktuelle Remaster die Präsentation - wenn überhaupt - nur minimal.
Klar, man darf leicht aufgewertete 3D-Modelle zuschalten, Nebel, Kantenglättung, dynamische Schatten und andere Modernisierungen, von denen man damals nur träumen konnte. So viel optionaler Luxus muss sein, wenn man ein Spiel dieser Art im Jahr 2023 noch einmal veröffentlichen will. Aber der Fakt, dass selbst Nintendos Switch sämtliche Modernisierungen auf der linken Arschbacke berechnet, ohne von stabilen 60 Bildern pro Sekunde abzuweichen, dürfte euch mehr verraten als jede noch so ausführliche Grafikanalyse. Die neuen Grafikboni sehen nett aus und wirken dabei nur wie feinfühlig aufgetragenes Make-up: Sie unterstreichen den klassischen Grafikstil, statt ihn zu übermalen.
Wenn überhaupt, dann sind es die modernen Bildformate, die einen Ausschlag geben. In 16:9 und 120 Hz auf Xbox Series X und PS5 (oder auf dem PC sogar in Ultra-Widescreen bei 144 Hz) wirkt der Geschwindigkeits-Effekt der hoch eingestellten Fokal-Länge noch berauschender. Kaum denkbar, dass jemand dem Remaster daraus einen Strick drehen kann. Einen Vergleich zwischen zugeschalteten Filtern und purer Originalgrafik seht ihr auf dem obigen Screenshot, den wir in der Ultrawide-Ansicht auf dem PC erstellt haben.
Spiele wie diese designt heute keiner mehr
Grafik hin, Retro her, selbst zehn läppische Euro wollen gut investiert sein. Die Hauptkampagne von Quake 2 wird euch in dieser Hinsicht nur dann enttäuschen, wenn ihr ausschließlich auf langsame, realistisch anmutende Weltkriegs-Shooter oder taktische Scharmützel aus dem Schlag eines Counter-Strike steht. Wollt ihr hingegen einfach nur mal ballern, bis euch die Maustaste zerbröselt, dann seid ihr hier genau richtig. Quake 2 ist schnell. So schnell, dass ihr beim Entdecken eines Gegners keine Zeit habt zu entscheiden, wo ihr in Deckung gehen wollt. Ach was, ihr habt nicht einmal Zeit zum Grübeln, wie viel von dem Sci-Fi-Szenario sich in den Gegnern widerspiegelt.
Ihr seid ein Soldat in einem intergalaktischen Krieg gegen eine Rasse namens Strogg, welche die Leichen von Menschen zu Kampfrobotern umfunktioniert. Diese Frankenstein-Soldaten stellen das Gros der Gegner und sehen aufgrund ihres geradezu lächerlich niedrigen Polycounts so grobschlächtig aus, dass man schon viel Fantasie braucht, um in ihnen Überreste von Menschen zu erkennen. Aber wie schon gesagt: Euch bleibt im Kampf gar keine Zeit dazu, und selbst bei ihren Leichen wollt ihr euch gar nicht in der Nähe aufhalten, denn so mancher Zombie-Cyborg zeigt selbst mit abgetrenntem Kopf noch letzte Reflexe, die ihn wild durch die Gegend ballern lassen. Dann lieber gleich noch einmal draufschießen, um ihn in seine Einzelteile zu zerlegen.
Also: Hirn aus, Waffe bereithalten und einfach ballern, nach Geratewohl strafen und sich schweißgebadet bei einem Ruhepuls von 140 irgendwie durchwursteln. Klingt simpel, ist aber abendfüllend und höchst süchtig machend. Die Trance, mit der man durch die für damals typischen engen Flure rennt, vereinnahmt noch heute so sehr, dass man von einem Raum zum nächsten eilt und dabei glatt vergisst, Speicherpunkte anzulegen – nur um nach einem Ableben irgendwann festzustellen, dass man durch diesen Lapsus irre viel des aktuellen Levels noch einmal durchkauen muss.
Wobei gute Orientierung durchaus vonnöten ist, sofern ihr nicht auf den eingebauten Kompass vertraut, der bei Aktivierung einen Pfad auf den Boden zeichnet. Ein Quality of Life-Feature, das ihr nur als blutiger Anfänger in Anspruch nehmen solltet, denn der eingezeichnete Pfad führt schnurstracks zum Ziel.
Dabei geht viel Reiz am Entdecken verloren. Klar könntet ihr dank des Kompasses in Rekordgeschwindigkeit durch sämtliche Level eilen und würdet noch immer schwitzen, weil die Munition knapp wird oder weil ihr euch wie eine wandelnde Zielscheibe mitten in den Weg stellt. Die Kampagne von Quake 2 würde auch in dieser Hinsicht noch immer Spaß bereiten, aber es wäre nur die halbe Wahrheit.
Genießt lieber das Suchen des richtigen Wegs in einem verschachtelten Labyrinth voller Schalter und versperrter Türen. Hier müsst ihr einen Umweg, einschlagen, da öffnet sich ein Durchgang voller bis an die Zähne bewaffneter Feinde und wieder woanders müsst ihr erst herausfinden, welcher Schalter eine Zugbrücke herunterfährt.
In unserer heutigen Videospiellandschaft, in dem einem beinahe alles vorgekaut wird, ist das ein Teil längst vergessener Shooter-Qualitäten, die beinahe eine Metroid-esque Herausforderung heraufbeschwören. „Verdammt, wo bin ich jetzt?“ stellt im inneren Monolog oft keine Frage des Frusts dar, sondern ein Anzweifeln der eigenen Gamer-Ehre. Schließlich gehört das Offenlegen von Geheimwegen, in denen man oft starke Waffen und Granaten-Nachschub findet, zu den größten Anreizen, mal nicht einfach der brotkrumenartigen Spur an Gegnern zu folgen.
Dieses glucksende „geil, jetzt hab‘ ich noch eine größere Wumme gefunden“ als Belohnung nach einem schweißtreibenden Killing-Spree in einer eingangs sinnlos aussehenden Abzweigung ist eine berauschende Erfahrung, an die man sich gewöhnen könnte. Verdammt, solche Spiele designt heute niemand mehr! Umso köstlicher schmeckt diese herrlich verschachtelte Hektik-Ambrosia, die uns Bethesda in der kaum veränderten Neuauflage serviert.
Eine komplette Sammlung
Es sind Feinheiten wie diese, die der Kampagne von Quake 2 einen hervorragenden Ruf verschafften und für ganz andere Spiele Pate standen. Wer weiß, ob Epics Unreal jemals das Licht der Welt gesehen hätte, wenn Quake 2 nicht gewesen wäre.
Zugegeben, der Multiplayer-Modus samt seinen Sub-Spielarten (Deathmatch, Capture the Flag), der im Remaster dank Splitscreen und Crossplay-Optionen mit allem und jedem bestritten werden kann, wurde durch Quake 3, Unreal Tournament und Halo in den Jahren danach so heftig überflügelt, dass er sich heute nur noch anekdotisch anfühlt. Aber immerhin: er ist vorhanden, gut spielbar und dürfte Kennern des Originals die eine oder andere Nostalgieträne in Gedenken an alte Zeiten entlocken. Aber das Hauptargument für den Kauf stellt er nicht.
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Dafür hat der Einzelspieler-Anteil schlicht zu viel Gewicht, egal ob auf spielerischer Seite oder beim reinen Umfang. Das Remaster bringt einerseits jede Erweiterungskampagne mit, die jemals erschienen ist, anderseits füllt sie die Gier nach frischem Material mit einer brandneuen Erweiterung namens Call of the Machine und sämtlichen abgewandelten Leveln aus Quake 2 64, das an einem großen Teil der Quake-Fans vorbeigegangen ist.
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