Test - Onrush : Wie Call of Duty, nur mit Autos
- PS4
- One
Die Verwandtschaft mit Motorstorm ist nicht abzustreiten. Onrush fährt zwar unter der Flagge von Codemasters und verzichtet auf den choreografierten Weltuntergang rund um die Strecke herum, doch das Fahrgefühl kommt Kennern verdammt bekannt vor. Ganz zu schweigen vom brachialen Unterton des Renngeschehens. Wenn man es überhaupt so nennen kann.
Neuer Arbeitgeber, neue Richtung: Die einstigen Schöpfer von Motorstorm bringen mit Onrush ein brandneues Konzept. Es sieht aus wie ein Rennspiel und es steuert sich auch so. Aber unter der Haube steckt keins, jedenfalls nicht im klassischen Sinn. Onrush könnte man eher als Kreuzung aus Rennspiel und Shooter verstehen, auch wenn das genauso wenig hinkommt, weil ja gar nicht geschossen wird.
Wenn es auf den großzügig angelegten und grafisch knallig bunt gestalteten Offroad-Kursen scheppert und kracht, dann wegen der zahllosen Rempelduelle, denen sich zwei Teams im Sekundentakt hingeben. Auf jeder Seite sind sechs Piloten am Start, die sich auf Motorrädern, in Buggys und in schwereren Gefährten gegenseitig das Leben schwer machen. Ziellinie? Von der Zeit abhängige Platzierungen? Bestzeiten? Gibt es nicht! Sobald der Startschuss ertönt, geht es nur noch ums Raufen. Oder fast nur ... Je nach Veranstaltungstyp bestimmen diverse Spielregeln die Kriterien für Sieg und Niederlage.
In der einfachsten Variante gewinnt dasjenige Team, das durch Sprünge über Rampen und Hügel am meisten Bonusnitro einheimst und es auf der Strecke wieder verbrät. Klingt simpel und ist auch nicht übermäßig anspruchsvoll Ein wenig kniffliger sind Veranstaltungen, in denen ein Zeitlimit tickt, das nur durch das Passieren grüner Tore verlängert wird. Bei wem zuerst die Zeit abläuft, der verliert. Oder wie wäre es mit einem Zonenrennen? Bei diesem Wettbewerb wandert eine kreisrunde Zone bei vergleichsweise gemächlicher Geschwindigkeit über den Kurs und muss zwecks Punktewertung für einige Sekunden in King-of-the-Hill-Manier besetzt werden.
Damit die Veranstaltungen nicht zu schnell enden, erstrecken sie sich über einen Best-of-three-Satz, was abhängig vom Spielmodus Vor- und Nachteile hat. Spielt ihr solo gegen die Konsole, so werdet ihr diese Regelung ein ums andere Mal verfluchen, denn Onrush ist und bleibt ein Teamspiel, das euch von der künstlichen Intelligenz abhängig macht. Manchmal ist man schon froh, mit Mühe und Not einmal zu gewinnen, weil die KI nicht immer das tut, was von ihr erwartet wird. In einem Online-Match freut man sich hingegen regelmäßig über die Drei-Punkte-Regelung, denn so bleibt nach knappen Verlusten immer wieder eine Chance aufzuholen.
Overwatch auf Rädern?
Denkbar knapp wären solche Teamduelle, wenn alle sechs Fahrer permanent im Spielfeld verweilten. Dem ist aber keineswegs so, denn zwei bis drei ordentliche Rempler genügen, um einen Kontrahenten in loderndes Blech-Origami zu verwandeln. Klingt nach Burnout und verhält sich auch ähnlich. Wollt ihr einen Gegner noch schneller loswerden, so genügt das Ablenken in eine Bande oder – besonders spektakulär – eine Landung auf dessen Dach nach einem großen Sprung.
Einmal ausgeknockt, vergehen erst ein paar Sekunden Respawn-Pause, bis es wieder auf die Piste geht, wobei nicht verlangt wird, das Fahrerfeld manuell aufzuholen. Man wird direkt in die Meute teleportiert und kann sogleich weiter Gas geben. Wer strategisch geschickt vorgehen möchte, wechselt allerdings im Wartemenü den Fahrzeugtyp samt Spezialfertigkeit, von dem jeweils nur ein Vertreter auf dem Feld sein darf.
Motorräder sind verdammt wendig und laden Nitro mithilfe von kniffligen Stunts besonders schnell auf. Allerdings kommen sie schon bei der kleinsten Berührung mit anderen Fahrzeugen unter die Räder. Buchstäblich. Stabilere Vehikel saugen hingegen Nitro von Gegnern ab, verhindern, dass Kontrahenten selbigen nutzen können, oder verteilen Pick-ups für Teammitglieder. Dabei greift eine einfache Formel: je stabiler die Karosserie, desto mühseliger das Vorankommen im Spitzenfeld, wo die meisten Rempelduelle stattfinden.
Ein Ausgleich dafür kann Streckenkenntnis sein. Nicht selten offenbaren riskante Nebenpfade nützliche Abkürzungen, die einerseits das Feld trennen, damit kleine Fraktionen sich untereinander beharken können, und andererseits den trägeren Rennern das Aufholen ermöglichen. Die Gefahr, den Wagen mit Volldampf um einen Pfeiler, einen Baum oder ein anderes Hindernis zu wickeln, wächst proportional zur Nützlichkeit der Abkürzung.
Zu viel Chaos
Klingt toll, ist aber in der Praxis nur halb so spannend, denn abseits der Motorräder, die besonders empfindlich ausfallen, sticht kein Fahrzeugtyp so stark heraus, dass man eine markante Präferenz entwickeln könnte. Soll heißen: Ihr verliebt euch nicht in ein bestimmtes Fahrzeug und fahrt es immer wieder. In Onrush gibt es keine Tracer und keinen Genji mit jeweils markant differenzierenden Attributen.
Ihr habt gar keine Chance, euch auf eine Eigenschaft zu spezialisieren, weil der Kern des Spielablaufs – die Rempelei – sehr dominant ist und keinen Platz für strategisches Handeln lässt. Vielmehr hat man stetig das Gefühl, in einem chaotischen Pulk zu fahren. Nicht selten ist Abstandhalten die beste Strategie, auch wenn die meisten Spielmodi genau das Gegenteil nahelegen. Allein schon, um genug Energie für den namensgebenden Onrush-Turbo zu sammeln, der dank nochmals gesteigerter Geschwindigkeit spektakulär aussieht und manchmal zum Zünglein an der Waage wird – besonders bei den Rennen mit Zeitlimit.
Gerade in Onlinepartien liegen Sieg und Niederlage aufgrund des hektischen, unübersichtlichen Spielgeschehens extrem nahe beieinander, was einerseits spannend sein kann, andererseits nicht selten den Eindruck von Zufälligkeit hinterlässt. Onrush könnte ein paar extremere Attribute bei den Fahrzeugen vertragen, um das Fahrerfeld weiter auseinanderzuziehen, wenn Könner aufeinandertreffen.
Nicht einmal in den Einzelspieler-Showdowns könnt ihr euch als einziger Fahrer mit „echter“ Intelligenz vom Rest des Pulks absetzen. Das wäre so oder so sinnlos, denn wie schon erwähnt geht es um ein Teamspiel. Einer alleine kann es nicht gewinnen. Sich durch die Superstarkampagne zu wursteln lohnt sich trotzdem, denn dort heimst ihr Erfahrungspunkte für euer Pilotenlevel sowie Loot-Kisten ein, die euch Zugriff auf Siegerposen, Pilotenoutfits und weitere Personalisierungswerkzeuge gewähren.
Kommentarezum Artikel