Preview - Mittelerde: Schatten des Krieges : Einfach nur bombastisch!
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Als Vollblut-Herr-der Ringe-Fan in einer Vorführung von Mittelerde: Schatten des Krieges zu sitzen, ist ein Akt der Zerrissenheit. Das buchtreue Engelchen auf der linken Schulter bekommt ein Magengeschwür, während das Teufelchen rechts vor lauter Bombast spontane Jubelzuckungen hat und dem Engelchen die Rübe von den Schultern säbelt. And the winner is ...
Die bizarrsten, aber zugleich interessantesten Momente eines Gamescom-Besuches sind jene, in denen ein Publisher den erwartungsfreudigen Spieleredakteur so überraschend von der Seite überrumpelt, dass er all seine Vorbereitungen vergessen und neu bewerten muss. Passiert selten, meistens bei kleineren Produktionen, die mit einer besonders gewitzten Spielidee aufwarten oder ein außergewöhnliches Design mitbringen.
Bei einem Titel wie Schatten des Krieges rechnet man nicht damit, weil der Stoff eigentlich bekannt ist. Die Vorlage, das Spielsystem, der grafische Ansatz – all das wurde schon in Videos und Vorabpräsentationen angeschnitten, wenn nicht gar ausgewalzt. Tja, und dann kommt Warner daher und führt mir nichts, dir nichts einen epischen Kampf zwischen einem Balrog und einem Naturgeistmutanten vor, der mehr an einen Godzilla-Film erinnert als an eine High-Fantasy-Szene. What the ...?
Stilbruch? Nö! Der Ringkampf der Muskelberge wird stimmungsvoll vorbereitet und glaubwürdig aufgetischt. Trotzdem bleibt ein mulmiges Gefühl à la „Was hab ich da eigentlich gerade gesehen?“. Leider auch, weil das Grafikdesign zwar technisch bombastisch wirkt (4K olé!), aber stilistisch immer stärker von der Buchvorlage abrückt Der Balrog, der im Buch als ein von Feuer umrahmter Schatten beschrieben wird, sieht trotz Anlehnung an das Filmdesign inzwischen zu weltlich aus. Da ist zu viel erkennbares Fleisch und Blut. Er wäre viel unheimlicher, wenn man seine Konturen nur anhand der Feuers erkennen würde.
Talion auf Schnetzeltour
Abseits dieser Szene und der eben geäußerten Kritik kam alles wie erwartet. In der folgenden Anspielsitzung rückte wieder der Schlachtenalltag des Hauptdarstellers Talion in den Mittelpunkt, ähnlich wie er schon in der Vorschau vor ein paar Monaten vorgestellt wurde. Hauptunterschied: Statt mitten in der Belagerung einer Burg einzusetzen, ging es nun über offenes Feld.
Die Herangehensweise unterscheidet sich beachtlich, denn auf dem offenen Feld findet man sporadisch Ork-Grüppchen unterschiedlicher Mannstärke, bei denen Angriff zwar die beste Verteidigung darstellt, entdeckt zu werden aber tödlich ausgehen kann. Sei es, weil eine quasi unsichtbare Überzahl hinter einem Felsen lauert oder weil man die nebenan stationierten Warge und Trolle übersehen hat.
Zwei Fähigkeiten halten Talion am Leben. Am ehesten natürlich Schleichen und strategisches Fortschreiten. Sein Talent, sich per Pfeilschuss an einen nahe gelegenen Ort zu teleportieren, ist auch nicht ohne. Völlig lautlos geht es allerdings nur dann zu, wenn er sich hinterrücks an einen Gegner anschleicht und ihm die Lebenskraft per Ringmagie aussaugt, was zwei Nebeneffekte hat. Zum einen gewinnt Talion dadurch verlorene Lebensenergie zurück und zum anderen verwandelt sich der Gegner in einen treuen Diener, der in seinem Namen in die Schlacht zieht.
Ork-Schach
Das funktioniert leider nicht so oft wie erhofft, weil die wenigsten Gegner alleine herumspazieren. Nicht selten stehen drei oder vier Schwerter gegen eins. Glücklicherweise ist Talion kein dahergelaufener Waldläufer, sondern ein Schwertkampf-Schwergewicht mit gutem Auge und fantastischem Paradetalent – ein rechtzeitiger Druck auf den entsprechenden Joypad-Knopf vorausgesetzt. Solche Basisfertigkeiten erhalten über freischaltbare Elemente im Skilltree zusätzlichen Schliff.
Richtig interessant wird der ganze Ablauf erst durch strategische Truppenbewegungen auf der Übersichtskarte unter der Leitung ranghoher Offiziere in der Gegnerschar. Besiegt Talion einen von ihnen, entsteht eine Lücke in der Befehlskette, wodurch ein anderer Offizier nachrückt. Deren Talente und Stärken haben starken Einfluss auf die Form der Verteidigung in Forts und Burgen sowie auf die Strategie der Feinde bei Rückeroberung. Da hat jeder so seine Favoriten: stachelige Mauern, Giftpfeile, Sprengsätze ... Racheschwüre können die Richtung des Krieges sogar auf globaler Ebene beeinflussen, wenn eingenommene Stützpunkte als Köder fungieren.
Das Nemesis-System funktioniert aber auch andersherum. Unterliegt Talion einem hochrangigen Soldaten, so wird der Bösewicht befördert und verspottet den Helden. Immerhin: Der darauf folgende Verlust des aktuell geführten Schwertes kann bei entsprechendem Geschick kompensiert werden. Haut man dem aufgerückten Übeltäter die Rübe ab, erhält man sogar ein noch hochwertigeres Schneidewerkzeug zurück.
Leichter gesagt als getan und nur mit einer Armee möglich, die Talion mithilfe seines von Celebrimbor ausgehändigten magischen Rings kontrolliert. Bei Eroberungsfeldzügen agiert diese Armee selbstständig, richtet sich aber nach Talions Anleitung. Letztendlich kämpft er stets ganz vorne mit, um möglichst schnell strategische Checkpoints einzunehmen und dem Anführer des Gegners auf die Pelle zu rücken.
Schnelles und effektives Kämpfen rückt in den Fokus. Rasch parieren, Gegner kurzzeitig einfrieren und einen Kampf über einen blutigen Finishing-Move vorzeitig beenden ist dann genauso wichtig wie ein handfester Plan, der bestimmt, welche Verteidigungsanlagen zuerst fallen müssen. Wer nach Geratewohl über die Mauern einer Burg klettert und planlos in jeden nächstbesten Kampf verwickelt wird, kann sich gleich einen Sarg bestellen.
Optisch ein Brett
Strategie? Check! Action? Mehr als genug! Und wie sieht es bei der Grafik aus? In einem Wort: Hervorragend! Stilistische Erbsenzählerei (wie oben beim Balrog) beiseite. Garantiert wird natives 4K auf allen Plattformen, die es ausspucken können, also auf dem PC, der PlayStation 4 Pro und der Xbox One X. Man lasse es sich auf der Zunge zergehen, dass es um ein Spiel mit Open-World-Struktur und beeindruckendem grafischem Detail geht.
Und wie bewerkstelligen die Spieldesigner das? Ganz einfach: durch ein fortgeschrittenes Level-of Detail-System, das bei sämtlichen Grafikkomponenten ansetzt, also bei Geometrie, Texturauflösung, Schattenqualität und mehr, was hier und da durch geschickt platziertes Post Processing übertüncht wird. Je weiter ein Objekt in der Ferne liegt, desto detailärmer die Darstellung. Den grafischen Unterschied zwischen den 4K-Varianten definiert somit die Sichtweite bei den High-Detail-Komponenten.
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