Test - Life is Strange: Before the Storm : Stranger Things
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Life is Strange traf ganz offenbar nicht nur einen Nerv, sondern mitten hinein ins Herz einer ganzen Generation von Spielern. Die interaktive Geschichte war mehr als ein Märchen über Zeitreisen und die folgenschweren Konsequenzen scheinbar nebensächlicher Entscheidungen, sondern vor allem ein emotional mitreißendes Coming-of-Age-Drama über Verlust, Loslassen und die schmerzhafte Erinnerung an eine sorgenfreie Kindheit. Mit „Episode 3: Die Hölle ist leer“ ist nun kurz vor Weihnachten die Prequel-Staffel Life is Strange: Before the Storm vollendet.
Life is Strange: Before the Storm fällt mit seinen drei Episoden deutlich kürzer aus als der Vorgänger. Um Enttäuschungen diesbezüglich von vornherein vorzubeugen, sollte man daher seine Erwartungen auf den Umfang eines Standalone-Add-on zurechtrücken. Deutlich geradliniger wird die Geschichte vorangetrieben, die Nebenfiguren, die im Vorgänger noch in einem engmaschigen Netz sozialer Beziehungen miteinander verwoben waren, sind hier zumeist nur Randnotizen im persönlichen Drama der beiden Hauptfiguren.
Life is Strange: Before the Storm verzichtet auf den Zeitreise-Hokuspokus des ersten Teils. Es gibt keinen Schmetterlingseffekt und auch keinen Serienkiller, stattdessen die authentische Geschichte zweier Teenager, die verzweifelt auf der Suche nach sich selbst und ihrem Platz im Leben sind und dabei einander finden: zwei Seelenverwandte, die der Welt den Stinkefinger zeigen.
Before the Storm füllt einen blinden Fleck in der Vorgeschichte von Life is Strange. Wir erleben Chloe Price in der vermutlich schwersten Phase ihres Lebens: Das einst lebensfrohe Mädchen kann auch Jahre später den Unfalltod ihres Vaters nicht verwinden, verzeiht ihrer ehemals besten Freundin Max nicht, dass sie das Provinzkaff, in dem beide aufwuchsen, in Richtung Großstadt verlassen hat. Zudem hasst sie den neuen, streng konservativen Freund ihrer Mutter. Alkohol, Drogen und ständige Rebellion sind ihre Art der Flucht aus diesem Leben.
Bis sie Rachel Amber kennenlernt. Auf den ersten Blick könnten Chloe und Rachel unterschiedlicher nicht sein. Chloe ist das, was die Super-Nanny ein typisches „Problemkind“ nennen würde: aufsässig, rebellisch und eine Attitüde vor sich hertragend, die in großen Lettern „Null Bock!“ schreit. Rachel hingegen ist die Musterschülern von Arcadia Bay: blendend aussehend, bei allen beliebt und nur mit den bestmöglichen Noten unter den Klausuren.
Zwischen den beiden entbrennt eine Freundschaft, die anfangs hell erstrahlt, aber gerade deshalb zum schnellen Verglühen verdammt scheint. Dass sich die beiden ausgerechnet in einem runtergekommenen Metal-Schuppen zum ersten Mal begegnen und gleich in eine Schlägerei verwickelt werden, legt bereits nahe, dass auch im Leben des vermeintlichen Everybody's Darling Rachel die Dinge nicht so laufen, wie sie nach Außen hin den Anschein haben.
Als Rachel schließlich Wind vom heimlichen Doppelleben ihres Vaters bekommt, Chloe der Schule verwiesen wird und der verhasste neue Freund der Mutter bei ihr zu Hause einzieht, bricht für beide eine Welt zusammen. Von nun an gibt es nichts mehr, das sie in ihrem alten Leben hält. Daher planen sie die Flucht daraus und hinein in eine ungewisse Zukunft, die nur besser sein kann, weil sie eine gemeinsame zu werden verspricht.
Stranger Things
Life is Strange: Before the Storm ist der außergewöhnliche Entwurf eines authentischen Teenager-Dramas in Videospiele-Form mit realistischen Problemen statt tödlichen Gegnern. Hier gibt es keine Heldentaten und phantastische Abenteuer, nicht einmal den dezenten Hokuspokus des Vorgängers, stattdessen alltägliche Sorgen, die aus der Perspektive von Jugendlichen unüberwindbarer scheinen als der härteste Bosskampf.
Wie schon im Vorgänger schöpft Life is Strange: Before the Storm seine Kraft aus seiner subtilen Erzählweise durch kleine Gesten und scheinbare Nebensächlichkeiten. Jedes trotzige Schlackern von Chloe mit ihren Armen sagt so viel mehr über diese Person, als ellenlange Dialoge es auszudrücken vermögen. Wenn Chloe und Rachel die erste zarte Bande innerer Verbundenheit knüpfen, geschieht dies nicht in langatmigen Sympathiebekundungen, sondern in schüchternen Blicken und ohne Worte, indem sie sich einfach nur die Kopfhörer des Musikplayers teilen.
Seinen Höhepunkt in dieser Hinsicht erlebt Before the Storm in einer Schulaufführung von Shakespeares „Der Sturm“, dessen Pathos der wogenden Gefühle erst dadurch etwas Magisches entwickelt, weil sich das eigentliche Drama der Szene im vermeintlich leeren Raum zwischen den realen Personen abspielt, in ihren Blicken, Bewegungen, Berührungen, die dem gesprochenen Wort eine völlig neue Bedeutung verleihen, die weniger zu erfassen als nurmehr zu spüren ist.
Schiffbruch im Sturm der Herzen
Umso mehr schmerzt es, dass Life is Strange: Before the Storm dieses Niveau nicht über die volle Strecke und erst recht nicht in der abschließenden dritten Episode halten kann. Gelang es zu Anfang in den meisten Szenen gerade noch, die immer wieder gefährlich aufklaffenden Untiefen der Kitschgewässer um Haaresbreite zu umschiffen, so erleidet das Life-is-Strange-Boot im finalen Sturm zunehmend Schiffbruch.
Wo das authentische Drama ein schlagendes Herz aus Fleisch und Blut erahnen ließ, offenbart es seine wahre Beschaffenheit bei näherem Hinsehen als Seifenblase. Wo zuvor glaubhafte Gefühle in Gesten und Blicken transportiert wurden, werden sie zunehmend in melodramatischen Debatten ausdiskutiert, die sich wie in einer Seifenoper endlos im Kreis zu drehen scheinen.
Damit auch ja niemandem die intendierte Emotionalität entgeht, kullern in jeder zweiten Szene die Tränen und banale Offensichtlichkeiten werden als erschütternde Lebensweisheiten konstatiert. Wie häufig sich die Charaktere gegenseitig um Verzeihung anflehen für Nichtigkeiten, habe ich irgendwann nicht mehr mitgezählt.
Wahrscheinlich war der Umfang von etwa zehn Stunden für die gesamte Staffel auch etwas zu knapp bemessen, um der vielschichtigen Beziehung zweier Menschen in der schwierigsten Phase ihres Lebens gerecht zu werden. So streift die Geschichte zwar etliche Themen, kratzt diese aber nur an der Oberfläche und lässt schließlich alles in einer ziemlich überkandidelten Räuberpistole enden, als habe den Entwicklern der Mut gefehlt, sich allein auf die zwischenmenschliche Spannung zu verlassen.
Hinzu kommt, dass die Entscheidungen des Spielers noch weniger Auswirkungen auf den Handlungsverlauf nehmen, als man es von dieser Sorte Spiel ohnehin gewöhnt ist. Neben fast unmerklichen Zuckungen in bestimmten Situationen, etwa wenn während eines Handgemenges entweder die eine oder die andere Nebenfigur krankenhausreif geprügelt wird, bewirken hochtrabend angekündigte Weichenstellungen lediglich nuancierte Abweichungen während der Montagesequenz im Abspann.
Selbst die lange Zeit vorbereitete Frage nach der letztlichen Natur von Chloes und Rachels Freundschaft zueinander, ob sie sich zu einer rein platonischen oder einer lesbischen Liebesbeziehung entwickelt, bleibt eine für den Handlungsverlauf unwesentliche und bestenfalls angedeutete Randnotiz. Der Rest bleibt oft in der Behauptung und der zugehörigen Symbolik stecken: verträumte Musik, pochende Herzen und Sonnenuntergänge.
Auf diese Weise wird Before the Storm zu einem Spiel, das man als Fan des Vorgängers zwar ohne Reue spielen kann, weil es dessen Qualitäten immer noch ganz tapfer vor sich her trägt, das letztlich aber auch irgendwo überflüssig ist, weil es keine Fragen beantwortet, die irgendjemand gestellt hätte.
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