Test - Lies of P : Test: Ein gutes Souls-like, aber keine Bloodborne-Alternative
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Mit Dark Souls stieß From Software eine wahre Epidemie an. Nach dem Dark-Fantasy-Rollenspiel schickten sich kleine und große Entwickler an, die Hype-Welle zu reiten und schmissen haufenweise Souls-likes auf den Markt. Dieser Trend hält bis heute an, und es befanden sich auch ein paar Perlen unter der Klonware. Mit Bloodborne lieferten die Entwickler von From Software 2016 meiner Ansicht nach aber ihr wahres Meisterwerk ab. Die Kombination aus einer faszinierenden Welt, dem genial-schnellen Kampfsystem und nur wenig Rollenspiel-typischem Ballast vermochte bisher kein Titel auch nur ansatzweise nachzustellen. Die südkoreanischen Studios Neowiz und Round8 wagen mit Lies of P einen ambitionierten Versuch.
Das Setting von Lies of P sorgte bereits im Vorfeld für einiges an Aufsehen. Denn der knallharten Souls-like-Action liegt keine geringere Geschichte als Pinocchio von Carlo Collodi zugrunde. Mit dem süßen Holzpüppchen, wie ihr es vermutlich aus dem Disney-Klassiker kennt, hat diese Neuinterpretation aber nur noch im Ansatz zu tun.
Die fiktive Stadt Krat bevölkern zwar haufenweise Puppen, die sind aber nicht aus Holz. Stattdessen schuf Gepetto in dieser Version des Märchens Steampunk-verwandte Maschinen. Ein weiterer Unterschied zum Original: Sie alle bewegen sich, wirklich lebendig würde ich sie allerdings nicht nennen. Auch seinen Ersatzsohn und eure Hauptfigur namens P treiben Zahnräder und Öl an, nicht Magie oder anderweitige Zauber. Damit schaffen die Entwickler nicht nur eine eigene Geschichte, dieser Ansatz beeinflusst auch Spielelemente.
Ein Ärmchen für Kämpfe
Das Kampfsystem von Lies of P präsentiert sich aus der Ferne betrachtet weitestgehend klassisch. Ihr nutzt leichte und schwere Angriffe, dasht elegant unter Hieben hindurch und blockt feindliche Manöver Sekiro-ähnlich weg. Pariert ihr im perfekten Moment, erleidet ihr überhaupt keinen Schaden. Andernfalls verliert ihr zwar ein paar Trefferpunkte, dürft sie aber Bloodborne-mäßig durch Gegenschläge wieder zurückgewinnen. Während die Steuerung von P erfreulich knackig und präzise von der Hand geht, fällt das Paraden-Zeitfenster für meinen Geschmack zu klein aus. Das sorgte oftmals dafür, dass ich lieber nach ein paar ausgeteilten Treffern weglief, anstatt Angriffe zu parieren.
Für den linken Arm von P dürften die Entwickler ebenfalls Inspiration bei Sekiro: Shadows Die Twice gefunden haben. Er ist mechanischer Natur und das erlaubt euch, diverse Module anzuschrauben. Ihr wollt eure Gegner mit einem Flammenwerfer rösten? Kein Problem! Euch steht der Sinn nach einem explosiven Geschoss? Feuer frei! Allerdings steht euch der Griffel nicht unendlich zur Verfügung, eine eigene Energie-Leiste beschränkt die Anzahl der Einsätze.
Ausgeteilte Treffer laden die sogenannte Fabel-Anzeige auf. Diese unterteilt sich in mehrere Segmente und ihr löst durch sie die Spezialangriffe der Waffen aus. Verstärkte Feuer-Angriffe, knackige Attacken mit mehreren Treffern und anderweitige Kurzzeitbuffs erleichtern das Leben als kampfwütige Puppe zumindest zum Teil.
Denn die wildgewordenen Gepetto-Schöpfungen und dem Wahnsinn verfallenen Menschen hauen Souls-like-typisch ordentlich drauf. Wenn ihr nicht aufpasst, beißt ihr schneller ins Gras als eine Kuh auf der Weide. Zudem zeigen sich ihre Angriffsketten nicht immer konsistent. Soll heißen: Dieselbe Startanimation kann eine Abfolge von drei Hieben nach sich ziehen, im nächsten Moment triggert sie aber plötzlich vier oder fünf Schläge. Das sorgte bei mir mehr als einmal für unnötige Tode. Genre-typisch liegen eure Erfahrungspunkte, hier Ergo genannt, am Ort eures Ablebens herum. Sie gehen komplett verloren, sterbt ihr auf der Rettungsmission.
Wie üblich investiert ihr die Ressource entweder für Levelaufstiege oder tauscht sie bei diversen Händlern gegen Güter. Bei der Auswahl hält sich Lies of P weitestgehend an guten Genre-Standard. Blitzbomben, Feuerbomben, Zahnräder zur Ablenkung und Zahnräder, die viel Schaden verursachen, hauen sicherlich keinen Veteranen um, erweisen sich aber stets als nützlich. Die Verkäufer findet ihr entweder verteilt in der Spielwelt oder im Hotel Krat, dem Hub des Spiels. Hier wartet auch Sophia auf euch, um euer hart verdientes Ergo in Level-ups umzuwandeln. Ob sie der Puppe aus Bloodborne nur ganz zufällig so ähnlich sieht? Ich weiß es nicht.
Böse Bosse
Neben einem fluffigen Kampfsystem fällt für ein Soulslike natürlich ein Faktor massiv wichtig aus: die Bosskämpfe. Hier präsentiert sich Lies of P sowohl bei den Designs als auch bei den Angriffsmustern angenehm abwechslungsreich. Denn euch stellen sich nicht nur bösartige große Puppen in den Weg, auch mutierte Menschen schickt ihr über den Jordan.
Beispielsweise stellte sich mir ein wild gewordener Polizei-Roboter in den Weg, dessen Schlagstock ich ohne gröbere Probleme auswich. Deutlich kritischer gestaltete sich da schon der entstellte und gefallene Erzbischof Andreus. Die Masse aus mutiertem Fleisch, riesigen Klauen und haufenweise Zähnen haut heftig und schnell hintereinander zu. Doch damit nicht genug, natürlich mutiert er nach dem vermeintlichen Sieg und haut euch eine zweite Phase um die Ohren. Auch rein menschliche Gegner stellen sich euch entgegen. Noch lange im Gedächtnis bleiben werden mir die Mitglieder der Bruderschaft des schwarzen Kaninchens. Denn in dem Kampf musste ich mich gleich mehreren Angehörigen des Bündnisses stellen, da ging der Puls schnell durch die Decke.
Die Bosse leiden teilweise auch unter dem Phänomen der inkonsistent langen Angriffsketten. In Kombination mit ihren oftmals sehr schnell aufeinander folgenden Attacken lassen sie nur wenig Zeit zum Heilen oder für Gegenschläge. Glücklicherweise dürft ihr bei vielen großen Bossen Unterstützungscharaktere beschwören. Dadurch teilt sich die Aggro der Obermotze auf und euer Leben gestaltet sich deutlich leichter.
Wirklich cool fand ich den Kniff des Waffensystems. Jeder Prügel und jedes Schwert besteht aus zwei Teilen: Klinge und Griff. Die meisten Waffen dürft ihr auseinandernehmen und in anderer Konstellation wieder zusammensetzen. Beispielsweise wollte ich unbedingt eine Flammenschneide, hatte sie aber nur in einem viel zu schweren Großschwert verbaut. Also rupfte ich die beiden Teile auseinander und klebte die Klinge an einen agileren Griff. Als Bonus erhöhte sich auch gleich noch die Skalierung mit meinem hauptsächlichen Charakterwert.
Die Lüge der freien Entscheidung
Bei einem Pinocchio-inspirierten Spiel darf das Lügen nicht fehlen. Aber keine Sorge, der Riechkolben eurer Puppe wächst nicht mit jeder Unwahrheit. Immer wieder setzt euch Lies of P Entscheidungen vor, bei denen ihr wahrheitsgemäß antworten oder etwas flunkern dürft. Laut den Entwicklern und Entwicklerinnen wirkt sich diese Mechanik massiv auf den Spielverlauf aus. So sollt ihr andere Charaktere treffen, alternative Items erhalten und unterschiedliche Enden triggern.
Das klingt zwar super, im eigentlichen Spielverlauf spürte ich aber nur herzlich wenig Konsequenzen. Stellvertretend für die halbnäsige Umsetzung steht die erste Entscheidung in Lies of P. Um Zugang zum Hotel Krat zu erhalten, müsst ihr flunkern und angeben, keine Puppe zu sein. Sprecht ihr stattdessen die Wahrheit, sperrt euch das Spiel aber nicht aus. Stattdessen dürft ihr einfach noch einmal antworten.
Hier hätten Neowiz und Round8 noch deutlich mehr rausholen können. Mit der Menschlichkeit gäbe es ja sogar einen versteckten Charakterwert, der sich je nach eurer Ehrlichkeit ändert. Aber wenn die Auswirkungen kaum bis gar nicht spürbar sind, dann motiviert mich das auch nicht dazu, einen bestimmten Spielstil zu verfolgen. Im Gegensatz zu den Anpassungen meines P-Organs. Hinter diesem versauten Namen verbirgt sich letztlich eine Upgrade-Mechanik, durch die ihr neue Moves und mehr Heiltränke freischaltet und auch Werte in Details verbessert.
Nett hier. Aber waren sie schon mal in Krat?
Wo Lies of P bei der Lügenmechanik Splitter lässt, glänzt es bei der Spielwelt. Die fiktive Stadt Krat prahlt mit kleinen und großen Details und stimmungsvollen Lichtspielen. An Seilen aufgeknüpfte Menschen erzählen Geschichten des Puppenwahnsinns, der Gepettos Schöpfungen aus mysteriösen Gründen zu Massenmördern macht. Ob ihr eine alte Miene, einen gesperrten Bezirk oder eine aufgegebene Kirche besucht, die Umgebungen stehen für sich alleine und wurden allesamt liebevoll gestaltet.
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In Kombination mit dem starken Sounddesign schickte mir Lies of P gerne mal einen leichten Schauer über den Rücken. Besonders in den Bosskämpfen dreht die Musik mit orchestralen Klängen auf und peitscht mich zu Höchstleistungen. In den harmloseren Abschnitten wiegen euch Geigen, Klaviere und Akkordeons in falscher Sicherheit und untermalen das Geschehen perfekt.
Selbst die Story überraschte mich in positiver Weise. Zunächst klingt die Geschichte rund um die Puppen, die sich gegen ihre Meister richten, nicht sonderlich imposant. Auch eine mysteriöse Seuche, die Menschen zu blutrünstigen Monstern macht, kommt Genre-Fans aus anderen Ablegern mehr als bekannt vor. Durch die Fraktionen und kleinen Wendungen schaffte es Lies of P aber doch, mich beständig am Ball zu halten.
Allerdings muss ich doch noch anmerken, dass sich Neowiz und Round8 etwas zu stark von Bloodborne inspirieren ließen. Manche Seitengassen scheinen direkt aus Yharnam zu stammen, selbst ein Turm, in dem ihr euch von Querbalken zu Querbalken fallen lasst, steht in Krat. Nebenquests von kleinen Mädchen hinter Fenstern fehlen ebenso wenig wie die Notwendigkeit, für Level-ups in das Hub-Gebiet zu reisen. Alles nicht schlimm, aber wie schon vielen anderen Souls-Nachahmern der Vergangenheit fehlt Lies of P dadurch die Eigenständigkeit, die einen kompetenten Mitläufer von einem selbstbewussten Vorreiter unterscheidet.
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