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Special - Die Anti-Grafik-These : Aussehen ist nicht alles

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    Vielleicht liegt der Ursprung der modernen Haltung „gutes Aussehen ist schadhaft“ ja in den 60er- und 70er-Jahren: Damals ging die Generation der gebildeten Eierköpfe, Brillenträger und Nerds gegen das Establishment auf die Barrikaden – mit Rock ’n’ Roll, Hippiematte und Fusselbart. Während die einen auf Musik-Festivals den „Sommer der Liebe“ erlebten, erschufen die anderen in den technischen Hexenküchen ihrer Fakultäten die Welt des Heim-Computers. Und des Videospiels. Steve Jobs, Steve Wozniak, Bill Gates – aber auch berühmte Game-Designer und -Programmierer wie Richard Garriot, Warren Spector, Chris Roberts, Ron Gilbert, Al Lowe, Roberta Williams oder Will Wright.

    Sie alle sind Kinder dieser Generation. Einer Generation, die sich selbst als Gegenthese erfand. Die Gegenthese zur Konformität. Dass Computer- und Videospiele ausgerechnet hier ihren Anfang nahmen, das halte ich für ein echtes Dilemma: Wie die Rockmusik, so wurzelt auch das Entwickeln von Spielen in der Garage – und nicht etwa in einem Großraumbüro. Es gehörte zu den Ausdrucksformen langhaariger und bebrillter Freigeister und Revolutionäre. Vermutlich fühlt es sich deshalb noch immer unnatürlich an, wenn es heute in gigantischen Legebatterien stattfindet.

    Dabei ist das Streben nach grafischer Raffinesse keine Erfindung der Gaming-Neuzeit. Auch in der „Goldenen Ära“ des Videospiels ging es um die perfekte Inszenierung, lange bevor der Pixel vom Polygon abgelöst wurde. Titel wie Story of Thor, Aladdin, Rocket Knight Adventures, das waren die Grafik-Blockbuster des Zeitalters 16 Bit. Ebenso wie ein Pawn den visuellen Gipfel des Text-Adventures darstellte – also eines Genres, das zunächst ganz und gar ohne Grafik auskommen musste. Bis man es endlich durch buchartige Illustrationen verfeinerte und aus dem Text-Adventure allmählich das Grafik-Adventure wurde.

    Und Point-&-Click-Abenteuer wie The Secret of Monkey Island? Prachtvolle VGA-Grafik mit 256 Farben – das war für eine Spielergeneration, die mit einer Farbpalette von 8, 16 oder 32 Farben und Klötzchengrafik aufwuchs, ein wahr gewordener Traum. Eye of the Beholder, Chris Roberts’ Wing Commander: Das waren die ersten, begehrten Vertreter einer neuen Inszenierungsdimension – und die Produkte stetig wachsender Entwickler-Teams, die mit neuer und verschwenderisch teurer Technologie audiovisuelle Meisterwerke erschufen.

    Moderne Pixelaufgebote wie ein Shovel Knight, ein Mercenary Kings oder ein Superbrothers: Sword & Sworcery EP zollen dieser Ära Tribut und erreichen dabei ganz neue Ebenen der digitalen Kunstfertigkeit.

    Vor 25 Jahren machte man bei schön gepixelten Spielen aus der Not eine Tugend: Es ging einfach nicht anders. Heute dagegen entscheidet sich ein Entwickler aus freien Stücken dazu, in althergebrachter Manier zu pixeln. Aus dem „MUSS“ wurde ein „KANN“ – und aus technischer Limitation eine darstellerische Disziplin. Wer derartige Beispiele nennt, um die Grafikgegenthese zu verargumentieren, der führt damit also eine Eigenlobotomie durch. Denn diese Titel SIND schön. So schön, dass ihre Optik zu den primären Spielsanreizen zählt. „Grafik ist nicht alles“ sollte hier eher heißen: „Technik ist nicht alles.“

    Kritik richtig adressieren

    Wer also einen ästhetisch anspruchsvollen Blockbuster für seine Fokussierung auf äußere Werte kritisiert, der kritisiert in Wahrheit nicht sein ansprechendes Äußeres, sondern die vermeintlich seelenlose Produktionsmaschine, die ihn ausgespuckt hat. Denn Schönheit spricht jeden an – dieser Instinkt wurde uns allen in den Wiege gelegt. Da können wir noch so sehr darauf beharren, dass uns äußere Werte nichts bedeuten. Abgesehen von den feinen Nuancen geschmacklicher Differenzierung ist das Empfinden darüber, was wohlgestaltet aussieht und was nicht, bei fast jedem Menschen das gleiche.

    Wenn dem einen etwas missfällt, was dem anderen gefällt, dann geht es selten um die darstellerische Qualität. Es geht viel eher um das, was abgebildet wurde. Wer insistiert, keine Pixel- oder 2-D-Spiele zu mögen, der kritisiert damit nicht die Qualität eines ganz bestimmten Artefakts – vielmehr erteilt er der ART der Darstellung eine Absage. Vielleicht, weil sie nicht seinen Betrachtungsgewohnheiten entspricht oder ihm Informationen fehlen, ohne die seine Geschmacksnerven nicht wissen, worauf sie anspringen sollen.

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