Test - Immortals: Fenyx Rising : Besser als Zelda: Breath of the Wild?!
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Ich weiß, es soll eine Inselgruppe in Griechenland sein, angefüllt mit Monstern alter Sagen wie dem Höllenhund Zerberus oder der schrecklichen Hydra. Aber selbst wenn mir jemand die Augen verbinden und den Controller falsch herum in die Hände drücken würde, könnte ich Hyrule riechen und schmecken. Denn mehrfach verknüpft Ubisoft die mystischen Antik-Abenteuer von Fenyx mit den Tugenden, die das letzte Zelda so toll gemacht haben.
Was für eine großartige Farbmischung! Ich wünschte, ich könnte mich darin suhlen und sie mit den Poren meiner Haut aufsaugen. Diese ausdrucksstarke Palette aus Primärfarben ist so pappsatt, dass mein kontraststarker OLED-Fernseher das Ersparte von der Bank holen muss, um einer Bankrotterklärung zu entgehen. Mit der Sonne wandert ihre Stärke, verwandelt sich je nach Tageszeit in Pastell- oder Erdton, funkelt hell oder saugt die umliegende Dunkelheit auf.
Die Beleuchtung bestrahlt die Säulen eines griechischen Tempels nicht nur, sondern umgarnt sie regelrecht und lässt sie damit im schönsten Glanz erstrahlen. Ich habe schon viele Aquarell-Grafikstile gesehen, aber nur wenige erschienen mir so wunderbar ausbalanciert wie der von Immortals: Fenyx Rising.
Angesichts des drohenden Farbkollers wählen viele Entwickler die Flucht in ein grobes Cel-Shading-Korsett, wenn sie sich an ähnlichen Gestaltungen versuchen. Sie kompensieren fehlende Farbkraft mit grober Struktur, um weiche Übergänge zu vermeiden. Auch Ubisoft Québec nutzt Cel-Shading für Wald und Wiesen, pfeift aber auf Mogelpackungen. Keine harten Kanten, keine künstliche Einschränkung des Schattierungsumfangs. Was ich hier sehe, ist ein Kunstwerk in HDR. Ein buntes und malerisches, ein stimmungsvolles und gekonnt auf elf gedrehtes Stück Farblehre zum Anfassen.
Und dann diese Sichtweite! Bäume, Felsen, Büsche und Bauten reichen bis an den Horizont. Zugegeben, weder die verwendeten 3D-Modelle noch ihre Texturen gehören zur feinen Sorte. Ich sehe meine Xbox Series X entsetzt zu mir hinaufblicken. „Ehrlich jetzt, dafür hast du mich angeschafft? Wo soll ich denn meine zwölf wohlgeformten Teraflops reinstopfen, du Banause!“ Ich kontere schnippisch: „In die Bildrate und in die Objektdichte, mein kleiner Angeber. Jetzt halt die Klappe und rendere gefälligst sechzig feine Bilder pro Sekunde.“ Sie gehorcht.
Episch bis zum letzten Pixel
Hinter der vermeintlich grob angelegten Technik steckt allerdings Methode. Dieses Abenteuer ist so episch und groß, da wäre es doch eine Schande, wenn es jemand wegen zu hoher Hardware-Ansprüche verpassen müsste. Es muss skalierbar bleiben, damit es auf allen Plattformen Platz findet, vom Master-Race-Rechenknecht bis zur Nintendo Switch im humpelnden Mobil-Modus. Ob Last Gen oder Next Gen: Genial aussehen soll es, selbst wenn auf der Switch kein optionaler 60-fps-Modus zur Verfügung steht. Kurzerhand wird die Detailsichtweite mithilfe einer Nebelwand verringert und alles läuft mit 30 Bildern pro Sekunde. Aber das ist völlig egal, solange alle den gleichen Spaß haben, und zwar optisch wie spielerisch.
Aber was steckt nun hinter jenem Spiel, das bis vor kurzem noch unter dem Titel „Gods and Monsters“ gehandelt wurde? Ich fange mit der Hauptfigur an. Ob Fenyx männlich oder weiblich ist und eine grüne, braune oder rosa Hautfarbe hat, durfte ich selbst bestimmen. Das lässt sich zudem jederzeit ändern, was in gewisser Weise unterstreicht, dass sich die Handlung weniger um persönliche Schicksale, sondern mehr um das große Ganze schert. Aufhänger für den Start ist Fenyx‘ Bruder. Er ist ein Kriegsheld, der sein Dasein als Steinfigur fristet, ebenso wie alle anderen nicht-göttlichen und nicht-monsterhaften Lebewesen, die auf der magischen Insel verweilen.
Schuld daran ist Typhon, der tödlichste Titan der griechischen Sagenlandschaft. Er beraubte Götter wie Aphrodite oder Hephaistos ihrer Kräfte und machte sie durch eine Verwandlung unkenntlich. Klingt für euch wie griechische Dörfer? Kein Problem, ihr lernt Götter und Schurken gut kennen, denn Ubisoft schaufelt mit der großen Kelle viel Material in die Handlung.
Dazu gehört fast alles, was bei den antiken Astral-Hoheiten und Monstern Rang und Namen hat. Woher kommen sie, wer ist mit wem verwandt und welche persönlichen Macken, ähm, Merkmale pflegen sie? Nichts wird ausgelassen, obwohl es keineswegs um eine Nacherzählung der Sagen geht, im Gegenteil. Immortals: Fenyx Rising entfaltet eine ganz neue Geschichte mit einem Augenzwinkern.
Aber vielleicht sollte ich lieber sagen, mit der dreckigen Lache der Toilettenfrau aus dem nächstbesten Puff. Der komplette Ablauf wird als süffisantes Seemannsgarn ausgewalzt, das Prometheus dem Göttervater Zeus auftischt. Während des Spielens hört man immer wieder kleine Erzählhappen aus dem Off, die Zeus und Prometheus zu Zankereien, witzigen Sprüchen und vielen anderen humorgeschwängerten Anekdoten verführen. Allerdings meist auf eine rotzehrliche, unverblümte Art. Da bleibt kein Auge trocken. Wenn ihr nur wüsstet, was für ein Arsch Zeus ist! Von wegen Göttervater. Ihr werdet Augen machen und die Ohren spitzen, versprochen!
Bevor ich dieses Spiel in Angriff nahm, kannte ich die teils tragische Hintergrundgeschichte vieler Figuren nur aus Filmen wie Jason und die Argonauten, Kampf der Titanen oder den Abenteuern des Odysseus. Ihr glaubt gar nicht, wie viel ich von dem Zeug inzwischen im Netz nachgelesen habe, weil viele der angerissenen Handlungsfetzen entweder einen spannenden oder komischen Schmöker versprachen.
Mundgerechte Entdeckerportionen
Aber zurück zum Spiel: Fenyx muss die verwandelten Götter retten, um ihren Segen zu verdienen und hinter das Geheimnis der Versteinerung zu kommen. Götterbote Hermes – der einzige Unversehrte unter den Mächtigen – gibt dafür die wichtigsten Eckpunkte vor, überlässt euch allerdings die Arbeit. Es ist ein Pfad gepflastert mit etlichen Quests. Sobald Fenyx die drei benötigten Primärwaffen Schwert, Axt und Bogen gefunden hat, fallen alle Hinweise auf des Rätsels Lösung in Reihe.
Bildet euch trotzdem nicht ein, ihr würdet schnurstracks durch das Abenteuer marschieren. Ich konnte keine zehn Meter laufen, ohne abgelenkt zu werden. Kein Wunder, dass rund 80 bis 100 Spielstunden zusammenkommen, wenn man an jeder Ecke bewachte Schatztruhen plündern oder legendäre Zyklopen verprügeln kann.
Das sieht folgendermaßen aus: Ich will zu Aufgabe X, habe meine Waffen verbessert sowie Heil- und Buff-Tränke gebraut. Ich starte bestens vorbereitet beim Göttertempel. Aber Moment mal, hier kann ich Blumen und Granatäpfel für den Tränke-Nachschub sammeln. Warum lege ich also keinen Zwischenstopp ein? Schau mal, zehn Meter weiter schläft ein legendärer Höllenhund! Na, dem zeig ich, wer das Herrchen ist. Huch, der hat ja einen kleinen Kerker bewacht, in dem ein Stück Ambrosia eingezäunt liegt. Das Zeug steigert die Lebenskraft. Dann muss ich wohl fix herausfinden, wie ich da herankomme. Stopp, wo wollte ich eben noch hin? Selten war das Verlieren des Fadens so frustfrei, ja sogar belohnend wie bei Immortals.
Vielleicht lag es daran, dass ich mir meine Entdecker-Portionen mundgerecht zuschneiden konnte. Ihr kennt sie sicher, die obligatorischen Ubisoft-Türme, die beim Besteigen einen neuen Spielabschnitt offenlegen. Bei Immortals sind es Götterstatuen. Der Unterschied: Euer Appetit bestimmt, wie viel ihr euch aufhalsen wollt, denn mögliche Ziele wie Dungeons oder Upgrade-Zutaten müsst ihr in einer Fernsicht-Funktion selbst erspähen. Fenyx‘ Blick wandert aus der Ego-Perspektive über das Land. Vibriert das Joypad, genügt ein Knopfdruck zum Offenlegen und Markieren des gefundenen Ziels. Sollen es nur fünf sein, dann sind es eben nur fünf, den Rest entdeckt ihr später oder lasst euch beim Wandern überraschen.
Für Nachschub ist gesorgt, denn die riesige Insel wurde vollgestopft mit Sammelkram. Für ordnungsliebende Erbsenzähler womöglich ein Grund zum Haare raufen, für mich aber der Quell anhalten Amüsements. Herrlich, man hat ständig was zu tun, verspürt aber nie Druck. Olé, olé, viva la superknuffige Beschäftigungstherapie. Manchmal musste ich mich regelrecht zwingen, geradewegs jenen Hinweisen zu folgen, die mir mein neunmalkluger, wenn auch feiger Gehilfe Hermes für das Auffinden der Hauptquest-Anlaufpunkte mit auf den Weg gab. Unnütz waren meine Umwege aber nie.
Brotkrumen auflesen und ihnen folgen oder vom Pfad abweichen? Unterm Strich ist es egal. Alle Wege führen nach Rom. Entschuldigung, natürlich Athen. Wenn ich nicht wie ein Esel hinter der Karotte herschlurfen wollte, um den Handlungs-Karren zu ziehen, verwandelte ich mich eben kurzerhand in den Kutscher. Es war ein fließender Übergang, denn egal, was ich mir vornahm, ich kam doch nicht dazu, mein Vorhaben ohne Umschweife umzusetzen.
Breath of the Ancient Greece
Womöglich kann man das Spiel auch in 20 Stunden knacken, wenn man direkt der zentralen Handlung folgt, sämtliche Nebenquests ignoriert, auf Upgrades verzichtet und mit aller Gewalt Scheuklappen aufsetzt. Doch warum sollte man der Versuchung all der wunderbaren Örtlichkeiten widerstehen? Warum nur das Fleisch vom Hamburger nehmen, wenn er doppelt und dreifach mit allerlei Köstlichkeiten belegt wurde?
Die Zutatenliste liest sich wie eine unmögliche Angeber-Parade. Aber Fenyx lügt nicht. Dieses Spiel hat wirklich alles, was ein Action-Adventure genial macht und den Spielspaß fördert. Das fängt an bei seinem ausgeklügelten Kombo-Kampfsystem, das entfernt an das klassische God of War erinnert und reicht bis zu einer riesigen, verschwenderisch schönen Welt, die mit monumentalen Schauplätzen, aufreibenden Kerkern, mächtigen Herausforderungen und spannenden Puzzles angereichert ist. All das wurde verpackt in ein Potpourri der beliebtesten Geschichten aus der altgriechischen Mythologie.
Ist es angesichts dieser erschlagend hochwertigen Argumente ein Verbrechen, dass sich alles wie ein Remix aus Zelda: Breath of the Wild anfühlt? Vielleicht ist Remix auch das falsche Wort. Immortals: Fenyx Rising verwendet viele Elemente, die Breath of the Wild anno 2017 aus der Masse der Open-World Abenteuer heraushoben, verbessert aber auch einige davon.
Beispielhaft wäre die beinahe komplette Narrenfreiheit beim Erforschen der Gebiete und der Reihenfolge der Aufgaben zu nennen. Sieben thematisch separierte Bundesländer umfasst die Insel, auf der unsere Hauptfigur Fenyx ihre Abenteuer erlebt. Doch abseits des kleinen Einsteiger-Landes und der zentralen Heimat des obersten Bösewichts lässt euch das Spiel freie Hand beim Auskundschaften und Schnetzeln. Trotzdem ist man nicht ziellos unterwegs. Ich hatte in der gesamten Spielzeit nie das Gefühl, hilflos umher zu irren, was mitunter an den Talenten der Hauptfigur lag.
Fenyx kann genauso gut klettern wie Link, kommt aber dank wirksamer Tränke und besserer Upgrade-Möglichkeiten nicht so schnell aus der Puste. Fenyx darf Reittiere wie etwa Pferde, Hirsche und Einhörner zähmen, ist aber keineswegs so sehr von ihnen abhängig wie Nintendos spitzohriger Kapuzenbengel. Links Paraglider? Pah! Dank eines Satzes starker Flügel vollzieht Fenyx Doppelsprünge und segelt viel weiter durch die Lüfte. Überhaupt macht Reisen hier mehr Spaß, weil es schneller und unkomplizierter abläuft. In erkenntnisreichen Momenten saß ich nicht selten verdutzt da und murmelte: „Ha, da hat sich aber jemand ganz genau angeschaut, was in Breath of the Wild einst nervte.“
Es gibt noch weitere Parallelen: Was in Zelda die Schreine sind, nennt sich hier Tartarus-Gewölbe. Diese Mini-Dungeons betritt man über eine lavagefüllte Erdspalte. Auch hier stehen entweder kleine Puzzles mit schweren Kugeln und verschiebbaren Blöcken oder knifflige Geschicklichkeitsaufgaben auf dem Plan. In seltenen Fällen gehört auch ein Arenakampf dazu. Als Belohnung winken neue Ausrüstung sowie ein Blitz von Zeus. Ab einer gewissen Menge dürfen diese in verbesserte Ausdauerwerte verwandelt werden. Das kommt euch bekannt vor? Tja, es wird nicht das letzte Mal sein.
"Nur" die Silbermedaille
Ihr merkt vielleicht ein klitzekleines bisschen, wie begeistert ich von Immortals: Fenyx Rising bin, und ich stelle mir vor, wie bei Ubisoft schon die Korken knallen: „Yeah, wir nehmen es mit Nintendo auf. Polonäse von Québec bis Paris!“ Lasst euch nicht beim Feiern stören, aber es wird am Ende nur die Silbermedaille, sorry!
Es gibt nämlich auch Dinge, die mir gehörig gegen den Strich gehen. Bei aller Liebe und Begeisterung für ein breites Publikum, etwa beim Thema Grafikkompatibilität: Ganz so massenkompatibel hätte es nicht sein müssen, wenn es um den Schwierigkeitsgrad geht. Ich lasse mich nämlich ungern für dumm verkaufen. Schon gar nicht mit Puzzles, für deren Lösung ich nicht eine Sekunde nachdenken muss.
Grundsätzlich ist es schön, dass ich die Stärke der Monster wie auch die gelegentlich aufgebürdeten Zeitlimits bei Geschicklichkeitsaufgaben anhand einer Voreinstellung im Menü bestimmen kann. Nur ändert das nichts am Rätseldesign auf Kindergarten-Niveau. Eine Kugel von A nach B rollen oder Steine auf Trittschalter zu legen stellt wirklich keinerlei Herausforderung dar.
Versteht mich nicht falsch: Der Geschicklichkeitsanteil der Puzzles, von denen ein Großteil in den Mini-Dungeons zu finden ist, bereitet durchaus Vergnügen und es ist auch nicht so, als ob man jedes Puzzle auf Anhieb knacken könnte. Das liegt aber eher an der mangelnden Übersicht. Den Dungeons fehlt es an eindeutigen Merkmalen zur Orientierung und die nötigen Kugeln und Blöcke sind manchmal gut versteckt. Alternativ setzt die Aufdeckung ihres Fundortes die Aneinanderreihung mehrerer Mechaniken voraus. Dabei kann man durchaus ein paar Minuten grübelnd vor der Glotze sitzen.
In einigen wenigen Ausnahmefällen übersieht man Markierungen, läuft an gut kaschierten Bruchstellen vorbei oder geht ein Puzzle von der falschen Seite an. Auch das verzögert die Lösung. Doch am Ende war ich regelmäßig enttäuscht: „Wie, das war‘s schon?“ Darum überkam mich auch bei den extralangen Obermotz-Dungeons regelmäßig das große Gähnen. Statt drei simpler Puzzles warteten dort zehn, die untereinander verzahnt wurden. Das streckte die ganze Prozedur auf eine halbe Stunde, bevor ich dem Endgegner eines Abschnitts gegenübertreten konnte. Ja, auch hier kann man mal durcheinandergeraten. Zum regelrechten Nachdenken regt aber nichts davon an.
Das mag bei früheren Zelda-Abenteuern ähnlich gewesen sein, aber Breath of the Wild brach aufgrund der starken Einflussnahme einer Echtzeit-Physik mit diesen alten Gewohnheiten. Ich erinnere mich nur zu gerne an Elektrizitäts-Puzzles, die ich löste, indem ich Waffen aneinanderlegte und damit kleine handgemachte Stromleitungen fertigte.
Immortals: Fenyx Rising erfordert nicht ansatzweise solche Aktionen. Okay, es gibt drei oder vier Puzzles mit schlauem Ansatz, aber ich hatte nach dem Heimwerker-Inferno in Breath of the Wild mehr von Ubisoft erwartet. Das gilt übrigens für alles, was mit der Physik zu tun hat. Sie wirkt oft unglaubwürdig, etwa wenn eine Holzkugel von einem Windkanal getragen wird oder ähnlich gut von einer Wand abprallt wie ein Basketball.
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