Test - GRID : Arcade-Flitzer ohne Schnörkel
- PC
- PS4
- One
Laut Codemasters soll Grid alle Arten von Rennspielfans begeistern, egal ob Arcade-Piloten oder Sim-Veteranen. Das kommt trotz mannigfaltiger Optionen für Schwierigkeitsgrad und Fahrzeugverhalten nicht hin. Das neue Grid ist ein Arcade-Rennspiel, wie es im Buche steht, mit einfach auszuführenden Drifts, federleichter Fahrzeugträgheit und jeder Menge Knatsch mit den Kontrahenten der Künstlichen Intelligenz. Grund zum Meckern ist das aber nicht. Grid bedient ein Genre, das in den letzten Jahren zu kurz kam.
Gab es denn in dieser Hardwaregeneration irgendein Rennspiel, in dem man nach Herzenslust driften konnte? So richtig vollgasmäßig, ohne Rücksicht auf Verluste? Ich kann mich jedenfalls an keines erinnern, das Eindruck hinterlassen hätte. Selbst das Xbox-exklusive Forza Horizon, das unstrittig als hervorragendes Open-World-Arcade-Rennspiel gilt, fußt viel zu stark auf realistischer Physik, um in die Fußstapfen eines Ridge Racer oder eines klassischen Need for Speed treten zu können.
Auch das neue Grid erfüllt diese Anforderungen nicht, weil die DNA der DTM-Race-Driver-Serie noch immer hintergründig Fäden zieht, aber es ist trotzdem kein weiter Sprung zu einem spritzigen, geradlinigen Arcade-Vergnügen. Ich konnte schon lange nicht mehr so sorglos durch Kurven schlittern wie in Codemasters jüngstem Werk.
Ein Heidenspaß
Ob mit einem Joypad oder einem Lenkrad spielt keine Rolle. Wenn ich ehrlich bin, gelangen mir halsbrecherische Drifts mit meinem Fanatec-Wheel sogar noch besser als mit dem Analogstick des Xbox-Controllers. Einschlagen, seitwärts legen, gegenlenken – alles ein flüssiger Vorgang, der mir in einer waschechten Simulation literweise Schweißperlen aus der Stirn pressen würde, aber in Grid gelingt mir jeder Anlauf spielend. Mit einem Muscle-Car sowieso, aber selbst mit einem Kompaktwagen wie einem Mini ist das gar kein Problem.
Ich gebe zu, in manchen Momenten war mir das ein wenig zu leichtgängig. Ich fummelte anschließend im Menü herum, verringerte Traktions- und Stabilitätskontrolle, nur um festzustellen, dass die Wagen dadurch schwieriger zu kontrollieren waren, sich aber nicht realistischer anfühlten. Um einer Simulation gerecht zu werden, fehlt es Grid einfach am richtigen Gefühl für träge Masse und für schwergängige Beschleunigung.
In Konsequenz dessen stellte ich zwei Rennen später alles wieder auf die Grundwerte zurück. Aber ganz ehrlich: so schlimm ist das gar nicht. Wenn man sich mal an die Leichtgängigkeit gewöhnt hat, flutscht es richtig. Qualifikationsrennen ohne Gegner auf der Piste mutierten zu wahren Drift-Experimenten, in denen ich ausknobelte, in welcher Kurve ich am spektakulärsten durchkommen konnte. Ein Heidenspaß! Auch weil man dafür belohnt wird. Gute Platzierungen, Überholmanöver, Drifts oder das Einhalten der Ideallinie quittiert das Spiel augenblicklich durch Punkte für das eigene Konto. Viel zu erwerben gibt es aber nicht. Ein wenig optischer Firlefanz und neue Wagen sind das Höchste der Gefühle.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken, sei jedoch erwähnt, dass die Wettbewerbe in Grid keine Schaurennen sind. Wer ineffizient fährt, wird gnadenlos überholt. Wer an falscher Stelle driftet und dabei Kontrahenten rammt, muss sogar mit nachtragenden Widersachern rechnen, die einen bei der nächstbesten Gelegenheit in die Bande drängen - nicht subtil mit einem kleinen Schubser, sondern mit Schmackes!
Die Künstliche Intelligenz in Drift ist auch nur eine Rechenroutine, ganz klar, aber das Vortäuschen eines verärgerten Echtweltpiloten hat sie allemal drauf. Es gab da ein Rennen, bei dem ich es wirklich übertrieben und mir durch einen völlig unnötigen Crash in der ersten Runde einen Nemesis-Fahrer (so die offizielle Bezeichnung) herangezüchtet hatte. Dieser hartnäckige Geselle verhinderte dreimal hintereinander, dass ich an ihm vorbeiziehe, und zwar mit Manövern, die man sonst nur in Destruction Derby erwarten würde.
Der Schrecken hält nicht lange an. Das Original-Grid auf PS3 und Xbox 360 war anno dazumal das Spiel, das die heute fast schon standardmäßige Rückspulfunktion in Rennspielen einführte, darum ist es keine Überraschung, dass sie ebenfalls in der Neuauflage enthalten ist. Frust ist hier ein Fremdwort, sofern man keine puristische Ader pflegt und auf das Feature verzichtet. Wer will, kann es sogar in den Menüs deaktivieren oder die Anzahl verfügbarer „Flashbacks“ reduzieren. Allerdings funktioniert das Feature nicht immer tadellos. Manchmal werden Aufstellung und Formation der Wagen nicht korrekt wiederhergestellt. Hier sollte Codemasters unbedingt noch nachbessern.
Endlich schließt einer diese Lücke
Grid füllt mit seinem leichtgängigen Fahrverhalten eine Lücke, die in dieser Konsolengeneration längst hätte geschlossen werden sollen, nämlich die der locker-flockigen Arcade-Renner. Nur wenige Aspekte sprechen gegen diese Einschätzung. Darunter das Team-System. Ein Druck auf das Steuerkreuz genügt, um dem Rennstall ein Signal für taktische Änderungen zu geben. Etwa, dass der Teamkollege sich fallen lassen soll. Ob er reagiert oder nicht, ist dank des Nemesis-Systems aber nicht immer gegeben. Auch einem Teamkollegen könnt ihr gehörig auf den Sack gehen.
Der grafische Anstrich unterstreicht hingegen diese Kategorisierung durch satte Farben mit HDR-Kontrasten, viele Effekte wie Farb-Overlays, Blendenflecke und einige Kurse mit überaus spektakulärer Streckenführung, die teils so extrem sind, dass sie in einer Sim keinen Platz hätten. Siehe etwa die buckligen Hügel von San Francisco. Da ächzt die Federung!
Insgesamt macht Grid nicht zuletzt dank seiner superflüssigen Bildrate einen guten Eindruck. Auf den aufgebohrten Konsolen Xbox One X und PS4 Pro kommt die höhere Auflösung (in 4K-Nähe) gut zur Geltung, auch wenn dadurch leider das Mip-Mapping der Texturen etwas stärker auffällt als es wünschenswert wäre. Regeneffekte, griffige Oberflächen im Cockpit und viele andere Details stechen in hoher Auflösung angenehm hervor, ebenso wie das zahlreich vorhandene Publikum am Streckenrand, das sogar zurückschreckt, wenn man an die Bande knallt.
Wenige Schauplätze, trockene Karriere
Die Grafik von Grid begeistert aber nicht an jeder Stelle. Während Nachtrennen im neongefluteten Shanghai dazu einladen, Replays in Dauerschleife zu begaffen, und einige der Profikurse wie Brands Hatch und Silverstone sehr originalgetreu wirken, schießen manche Grafikeffekte über das Ziel hinaus oder wirken unbefriedigend. Je nach Kurs schalten Lackreflexionen und Rückspiegel öfter sichtbar einen Gang zurück, sodass sie unschön vor sich hin ruckeln. Die blendende Sonne ist bei Sonnenuntergang zudem einfach zu grell und der orangene Farbfilter zu stark. Das Orange wirkt nicht nobel und stimmungsvoll, sondern überlagernd und aufdringlich.
Wie sehr solche Effekte einem auf den Senkel gehen können, hängt mitunter von der Strecke ab. In den vier Stadtkursen Barcelona, Shanghai, San Francisco und Havanna liefern hohe Gebäude oft den nötigen Schatten. Auf Profikursen ist man dagegen allen äußerlichen Bedingungen gnadenlos ausgeliefert.
Wie auffällig das ist, merkt man erst durch die ständigen Wiederholungen in der Karriere. Denn es gibt insgesamt nur 13 Schauplätze. Zwar verfügen deren Pisten über so viele Verzweigungen, dass inklusive umgekehrter Streckenführung 80 Kursvarianten zur Verfügung stehen, doch das ändert nichts an der thematischen Wiederholung. Erst recht nicht, weil die Kariere nichts dafür tut, ein erzählerisches Element oder einen roten Faden einzuflechten.
Man sucht sich die nächstbeste Veranstaltung aus einer nach Fahrzeugklassen sortierten Liste aus und schon geht es los. Zur Wahl stehen etwa Wettbewerbe für Touring-Autos, die GT-Klasse oder Rennen, in denen Racing-Veteran Fernando Alonso den schärfsten Konkurrenten abgibt. Das alles klingt nicht nur trocken, es ist auf Dauer auch ermüdend. Wenn überhaupt irgendein Element ein wenig Rennfahrerstimmung versprüht, dann sind es die Kommentatoren an der Startlinie, die versuchen, das virtuelle Publikum anzuheizen, aber auch die lassen immer nur dieselben Sprüche aus der Beschallungsanlage ertönen.
Grid hätte ein sekundäres Beschäftigungsfeld gutgetan. Tuning, Gymkhana oder irgendetwas anderes eben, das vom Abklappern der Veranstaltungsliste ablenkt.
Kommentarezum Artikel