Test - Crash Bandicoot 4: It’s about Time : Revival in Bestform
- PS4
- One
Bitte fasst euch alle bei den Händen, atmet tief ein und grummelt gemeinsam ein tiefes, festes ooooommmmmm. Wenn ihr alle mitmacht, fallen wir in eine kollektive Amnesie, in der wir vergessen, dass die Hüpfspielreihe rund um die Beutelratte Crash Bandicoot nach 1998 stetig schlechter wurde. Dass es funktioniert, beweisen Activision und das Softwarestudio Toys for Bob. Aus deren Feder stammt Crash Bandicoot 4: It’s about time, das spielerisch nahtlos an Teil 3 anknüpft und so tut, als ob es Ausreißer wie Crash of the Titans nie gegeben hätte.
Habt ihr schon mal einen Samstagmorgen-Cartoon gespielt? Ja, richtig gelesen, da steht gespielt, nicht geschaut. Wenn nicht, dann solltet ihr den Kauf von Crash Bandicoot 4 in Betracht ziehen, denn dieses Spiel vermag die Erfahrungslücke zu stopfen, und zwar mit einer interaktiven Mischung aus Looney Toons und (falls ihr sie noch kennt) den Animaniacs.
Nein, ich spreche nicht von den Intros und den Zwischensequenzen, denn die schütteln das locker aus dem Ärmel. Gemeint ist ein Spielablauf, der nicht nur schnell, spritzig und durchgeknallt rüberkommt, sondern auch in einem so universellen Stil gerendert wird, dass man sich manchmal zurücklehnt und staunt, was alles mit der Unterhaltungsform Videospiel möglich ist. Mit Crash durch abgefahrene Level zu huschen, ist eine Wonne, weil jede seiner Animationen so überzeichnet ist wie in den genannten Samstagmorgen-Zeichentrickfilmen.
Auf Knopfdruck wirbelt er seinen Körper so flink wie Taz aus Tazmania oder hüpft mit dem gleichen Elan wie ein Mitglied aus Disneys Gummibärenbande. Trifft er dabei einen Bösewicht, so wird dieser mit Karacho und einem knalligen Peng!-Klangeffekt von der Bildfläche geschleudert. Dagegen wirken viele andere Spiele mit Cartoon-Design geradezu brav und bieder.
So wie damals
Schon witzig, denn wenn man das tolle Grafik- und Sounddesign mal beiseite lässt und nur die Spielstruktur für sich betrachtet, bleibt eine ebenso brave und konservative Rückkehr zu den Wurzeln der Serie übrig, die sich so sehr auf ihre 1995er Wurzeln besinnt, dass das Spielgefühl direkt von der ersten Playstation geklont worden sein könnte. Soll heißen: Crash läuft die meiste Zeit in Verfolgerperspektive durch einen Levelschlauch, der nur wenige Meter breit ist, ganz so wie damals, bevor Tomb Raider und Super Mario 64 den Beweis antraten, dass absolute Bewegungsfreiheit in 3D-Spielen möglich ist. Retro ist in. Und wie!
Na gut, ganz so eng sieht es der (neue) Entwickler Toys for Bob dann doch nicht. Zumindest grafisch schweift das Abenteuer mal nach links und nach rechts aus, fährt große Kulissen auf oder schwenkt gar in eine scrollende Seitenansicht nach alter Jump-n-Run-Tugend. Crash darf alles tun, was ein moderner Hüpfspielheld draufhaben muss, solange die aktuelle Szene nur mit einem Blick durchschaubar bleibt.
Alles in Crash Bandicoot 4 legt Wert auf kurzweilige Unterhaltung ohne größeren Tiefgang. Damit möchte ich nicht den Anspruch kritisieren, ganz im Gegenteil. Das neue Crash-Abenteuer ist an einigen Stellen sogar verdammt schwer. Vor allem, wenn man alle herumliegenden Holzkisten und Sprengstoffboxen knacken möchte, deren vollzählige Vernichtung als optionales Levelziel ansteht. Es geht vielmehr um die Spielphilosophie. Völlig egal, wie lang und ausladend das aktuelle Level sein mag, die nächstbeste Aufgabe ist nie größer als zwei Bildschirme. Knifflige Sprünge, vertrackte Kisten-Verschachtelungen, knackige Gegner … all das ist mit einem einzigen Blick zu erkennen und zu analysieren, damit man – bei entsprechendem Geschick – in Windeseile daran vorbeikommt.
Crash Bandicoot mag nicht so schnell flitzen wie Sonic, aber er bleibt auch nie gemächlich vor einem Puzzle stehen wie Nintendos Klempner, sofern man es nicht darauf anlegt. Geschicklichkeit ist hier das A und O, ein Fernseher mit übermäßiger Latenz dagegen ein Frustgarant. Was mitunter daran liegt, das einige der ausführlichen Animationen den Übergang zwischen zwei Haltungen in die Länge ziehen. Etwa wenn Crash in Tony-Hawk-Manier an einer Stange entlangschlittert. Hindernisse zwingen ihn gelegentlich zum Hangeln, und der Übergang zwischen diesen beiden Haltungen dauert etwas länger als nur ein Fingerschnippen. Das kostet reaktionsschwache Spieler schnell ein Leben.
Stopp, halt! Leben? Die gibt es doch gar nicht mehr. Ihr könnt so oft versagen, wie ihr wollt. Missglückte Anläufe werden mitgezählt, aber wenn ihr nicht auf den optionalen Klassik-Modus umschaltet, droht euch keinerlei Konsequenz abseits des Neustarts am letzten Checkpoint. Auch das kann Nerven kosten, Frustmomente sind aber selten.
Die Kraft der Masken
Alles Gewöhnungssache, allerdings nur für eine Weile, denn Crash hat dieses Mal mehr auf dem Kasten als nur Springen und Herumwirbeln, wenn auch nur durch einen unglücklichen Zufall. Der alte Erz-Bösewicht Dr. Neo Cortex versucht, aus seinem Gefängnis auszubrechen, generiert dabei jedoch eine Schockwelle, die Raum und Zeit durcheinanderwirbelt. Überall entstehen Dimensionsrisse, welche die Stabilität der Realität in Gefahr bringen. Crash, seine Schwester Coco und die Geistermaske Aku Aku gehen dem Treiben auf den Grund und entdecken dabei Masken aus anderen Dimensionen. Mit ihrer Hilfe vermag Crash eigenhändig die Regeln der Realität zu verbiegen.
Nach und nach kommen immer mehr Fähigkeiten zusammen, die ihr temporär einsetzen könnt. Etwa das Vertauschen von Plattformen, das Verkehren der Schwerkraft, das Schweben per dunkler Materie und einiges mehr. Kaum hat man sich an eine Kraft gewöhnt, kommt auch schon die nächste und etabliert ganz neue Regeln.
Fluch und Segen zugleich, denn die Entwickler verlassen sich darauf, dass ihr angesichts fehlender Leben am Ball bleibt, selbst wenn der Geschicklichkeitstest hin und wieder ins Groteske ausartet. Die Schwerkraft gelegentlich umzudrehen, kann bereits das Hirn verknoten, aber irgendwann müsst ihr es permanent tun, damit ihr gar nicht erst irgendwo aufsetzt. Das ist abgefahren cool, aber für Genre-Einsteiger womöglich etwas stressig.
Glücklicherweise wurden alle Steuerungselemente doppelt auf dem Controller verteilt, andernfalls würden solche Akrobatikeinlagen an mancher Stelle eure Finger verknoten. Die Herausforderung ist zwar stets fair, aber manchmal doch etwas hektisch, weil Crash – wie damals auf der ersten Playstation – an einer zuweilen schwammigen Steuerung leidet. Insbesondere beim Springen. Trotz eines hell markierten Tellerschattens, der durchweg Crashs Bezugspunkt über dem Boden markiert, ist seine Position im freien Raum hin und wieder nur schwer genau einschätzbar, sodass man in unsicheren Momenten dazu neigt, panische Kurskorrekturen zu veranlassen.
Die Dunkle-Materie-Maske macht bei diesem Kritikpunkt ganz besonders von sich reden, denn ihre Kraft wirbelt Crash permanent herum und lässt ihn federleicht schweben – über Abgründe, über Seen, durch Windkanäle und was es nicht alles gibt. Das Schweben und der Doppelsprung bereiten derweil weniger Probleme als das sichere Aufsetzen auf einer Plattform. Wenn dann noch TNT-Kisten herumliegen (die durch dunkle Materie sofort zünden), gerät man schnell in Panik.
Freund und Feind
Kein Grund zum Verzweifeln, denn wie schon erwähnt halten die Phasen der einzelnen Masken nur kurz an. Jedes Mal, wenn ihr eine neue der zeitlich und örtlich thematisierten Oberwelten betretet, stellt euch das Spiel eine neue, ganz andere Kraft zur Verfügung, sodass ihr nie zu lange mit einer ungeliebten Fähigkeit umgehen müsst. Nicht einmal die Obermotze, die am Ende jeder Welt den Zugang zum nächsten Dimensionsportal versperren, verlangen zwangsläufig großes Geschick mit den Sonderfähigkeiten. Ehe ihr euch verseht, hangelt ihr euch vergnügt von Welt zu Welt und genießt die Tour durch eine prähistorische Landschaft, über schneebedeckte Berge oder durch ein Zukunftsszenario mit schwebenden Autos. Das Spiel heißt ja nicht umsonst „It’s about Time“.
An Abwechslung mangelt es jedenfalls nicht. Ihr habt keine Chance, einem Gameplay-Feature überdrüssig zu werden, allein schon, weil jede Oberwelt-Karte etliche Nebenbeschäftigungen anbietet. Angefangen bei harten Flashback-Bonusleveln, bei denen ihr auf engstem Raum sämtliche vorhandenen Kisten abhüpfen sollt, bis zu Abzweigungen mit Spezialcharakteren samt komplett neuer Steuerung.
Da wäre beispielsweise Twana, eine vermeintlich alte Bekannte von Crash und Coco. Allerdings handelt es sich bei ihr um eine Version aus einer anderen Dimension, die erheblich selbstbewusster auftritt, Karate-Kicks verteilt und große Abgründe mit einem Enterhaken überbrückt. Oder wie wäre es mit dem etwas dicklichen Krokodil namens Dingodile. Kaum des Springens fähig, aber mit einer mords Kanone ausgestattet. Leider fehlt dafür ein Fadenkreuz, was die Ballerei ein wenig umständlicher macht als nötig. Selbst Cortex hat einen Auftritt als steuerbarer Nebencharakter.
Wer schnurstracks von Level zu Level eilt, keine der versteckten Edelsteine sucht, mit denen man Skins für Crash freischaltet und alle Nebenaufgaben umgeht, steht nach etwa acht Spielstunden vor dem letzten Boss, was auf den ersten Blick etwas mager erscheint. Das täuscht jedoch, denn Crash Bandicoot 4 lebt von der Komplettierung und von diversen Neuanlauf-Features. Ihr könnt zum Beispiel gegen die Zeit spielen oder ein Level mit verrückten Grafikeffekten neu erleben. Ein Fest für Komplettisten!
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