Test - Colossal Cave : Ein Meilenstein der Spiele-Geschichte zum Nachholen
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Colossal Cave aus dem Jahr 1975 gilt als eines der ersten Computerspiele überhaupt. Unter dem Namen Colossal Cave Adventure oder kurz einfach nur Adventure (manchmal auch nur „Advent“ genannt, weil Dateinamen damals nur maximal sechs Zeichen lang sein durften) gab das Spiel dem Genre der Adventure-Spiele sogar bis heute seinen Namen und prägte die Spielegeschichte wie nur wenige andere. Jetzt erscheint eine Neuauflage in aktueller 3D-Grafik für moderne Plattformen, um den Klassiker für die Generation von heute zu bewahren und neu aufzubereiten.
Warum macht man im Jahr 2023 ein Remake zu Colossal Cave? Diese Frage werden wir uns im Folgenden noch öfter stellen, während wir ihr nachgehen. Colossal Cave gilt als erstes Text-Adventure der Spielegeschichte, das aus heutiger Sicht ziemlich antiquiert wirkt, dessen Rätsel reichlich spröde daherkamen und das in seinem Aufbau weniger der heutigen Vorstellung von einem Puzzle-Game entspricht, sondern in erster Linie ein Labyrinth-Spiel war, das es zu kartographieren und so zu durchqueren galt. Selbst mit aufgesetzter Nostalgiebrille oder historischem Interesse an Videospielen: Kann man so etwas heute noch ernsthaft spielen? Und wie sollte man sich einem solchen Spiel überhaupt nähern, um nicht sofort kopfschüttelnd wieder Reißaus zu nehmen?
Noch kurioser als die Tatsache, dass es dieses Remake überhaupt gibt, sind die Namen derer, die es entwickelt haben: Denn hinter dem Entwickler Cygnus Entertainment verbergen sich keine schrulligen Newcomer der Indie-Szene, die mit der Neuinterpretation eines Oldies ihre ersten Gehversuche in die Spieleentwicklung versuchen. Hinter Colossal Cave stehen keine Geringeren als Roberta und Ken Williams, ebenfalls feste Größen in der Spiele-Historie: Das Ehepaar gründete einst das legendäre Entwicklerstudio Sierra On-Line (Space Quest, Leisure Suit Larry, Phantasmagoria) und schuf dort deren erfolgreiche Flaggschiff-Serie King’s Quest.
In den 80er und 90er Jahren zählte Sierra zu den erfolgreichsten Spieleentwicklern weltweit. 1996 dann verkauften die Williams das Unternehmen für weit über 1 Milliarde Dollar. Eine der letzten Amtshandlungen von Ken Williams soll die Unterzeichnung der Vertrages zum Vertrieb von Half-Life gewesen sein – eine solch gewichtige Stellung hatte das Unternehmen im Markt zu dieser Zeit. 1998, nach der Fertigstellung von King’s Quest 8: Mask of Eternity, dessen Entwicklung unter massiven Problemen gelitten hatte, hängte Roberta Williams schließlich auch ihre Tätigkeit als Entwicklerin an den Nagel. Das Ehepaar zog sich komplett aus der Spielebranche direkt in den Vorruhestand zurück. 2021, also nach über 20 Jahren in Rente, dann die überraschende Rückkehr: Ken und Roberta Williams gründeten Cygnus Entertainment, um ein Remake von Colossal Cave zu entwickeln. Nur warum?
Colossal Cave: ein Meilenstein der Spielegeschichte
Um diese Frage zu beantworten, werfen wir einen näheren Blick auf diesen Klassiker der Spielegeschichte, der, je nachdem welche Kriterien man ansetzt, als erstes, zumindest aber eines der ersten digitalen Spiele überhaupt gilt. Colossal Cave wurde 1975 von William Crowther entwickelt, ein Informatiker und Hobby-Höhlenforscher. Colossal Cave war ursprünglich noch gar nicht als Spiel gedacht, sondern als eine Art Möglichkeit für Crowther, die Mammoth-Tropfsteinhöhle in Kentucky, die er in seiner Freizeit erforschte, mithilfe eines Computers zu kartographieren und so erlebbar zu machen. Im Grunde konnte man in der ursprünglichen Version nicht viel mehr machen, als sich durch Texteingaben von Raum zu Raum zu bewegen und Beschreibungen über die Umgebung zu lesen.
Erst später fügte Crowther dem Spiel dezente Fantasy- und Märchen-Elemente wie Zwerge, Trolle und einen Drachen hinzu, um es auch für andere Personen unterhaltsam zu machen, angeblich vor allem für seine Tochter. So gelangte eine Version des Spiels ins Arpanet, einem frühen Vorläufer des Internets, das vor allem von Universitäten genutzt wurde. Dort wurde der Student Don Woods darauf aufmerksam, der das Potenzial darin erkannte und das Spiel um zusätzliche Spielelemente erweiterte wie ein Punktesystem für gelöste Rätsel und ein richtiges Spielziel (alle Schätze zu finden). Eine kommerzielle Auswertung erfuhr Colossal Cave dennoch nie. Es lief lediglich auf Großrechnern und nicht auf Heim-PCs, die seinerzeit noch zu wenig verbreitet waren. Dennoch gab es dem Adventure-Genre seinen Namen und diente als Blaupause für das sehr viel bekanntere Zork, dem endgültig offiziell ersten kommerziellen Text-Adventure der Spielegeschichte.
Colossal Cave führte bereits zahlreiche Elemente ein, die die Spielegeschichte auf Jahre hinaus prägen sollten und stellenweise bis heute nachwirken. Alle frühen Adventurespiele von Zork bis zu den Sierra-Spielen wie King’s Quest waren im Herzen Labyrinthe – selbst die LucasArts-Klassiker wie Zak McKracken und Monkey Island enthalten noch Irrgarten-Abschnitte, weil diese damals einfach zum Genre gehörten wie der Teufel zum Weihwasser. Es ging in erster Linie um das Erkunden einer riesigen Spielwelt – im Grunde war Colossal Cave bereits das erste Open-World-Spiel.
Colossal Cave enthielt bereits ein Inventar, in dem man eingesammelte Gegenstände ablegte, um sie an anderer Stelle zu verwenden. Selbst Szenen wie der Brückentroll, der erst bestochen werden muss, bevor er den Weg frei macht, gehören bis heute derart gefestigt zum Standardrepertoire von Videospielen, dass kaum mehr jemand weiß, wo dieses Klischee damals seinen Anfang nahm (der Brückentroll in Monkey Island etwa ist eine direkte Hommage an Colossal Cave). Spielmechaniken wie die Zaubersprüche, die den Spieler an den Anfang des Labyrinths zurück teleportieren, würde man heute als erste rudimentäre Schnellreise-Funktion bezeichnen, und dass man am Ende eine Abrechnung in Form eines Punktestandes und die Zahl der zurückgelegten Schritte erhielt, erfand gewissermaßen bereits das Phänomen der Speedruns, in denen man mit jedem Durchspielen seine Vorgehensweise weiter optimierte.
Warum macht man sowas?
Aber warum davon heute ein Remake? Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst verstehen, dass Roberta und Ken Williams in ihrem Schaffen seinerzeit maßgeblich von Colossal Cave beeinflusst wurden. Ken war damals noch nicht Spieleentwickler, sondern Programmierer für Buchhaltungs-Software. Als er eine Version von Colossal Cave in die Finger bekam, waren die beiden sofort begeistert davon und beschlossen: So etwas wollten sie auch machen. Dies führte zu ihrem ersten Spiel: Mystery House, ein Krimi-Adventure in der Tradition von Agatha Christie, das die reinen Textbeschreibungen erstmals durch primitive Grafiken illustrierte. Es folgten weitere kleine Abenteuerspiele, bis 1984 dann King’s Quest zu ihrem Durchbruch wurde. Der Rest ist Spielegeschichte.
Die Welt an diesem Stück Spielegeschichte teilhaben zu lassen, ist eine weitere Antwort auf die Frage, warum man davon 2023 noch ein Remake macht: der Generation von heute einen Einblick auf die Anfänge der Gameshistorie in zeitgemäßer Form zu ermöglichen und die Generation von damals auf eine nostalgische Reise in ihre eigene Vergangenheit mitzunehmen. Doch an diesen beiden Vorhaben hapert es bei Colossal Cave, wie wir noch sehen werden.
Colossal Cave: der Höhlenforscher-Simulator
Colossal Cave hält sich inhaltlich sehr eng, man könnte sogar sagen: ziemlich exakt an das beinahe 50 Jahre alte Original. Was damals noch als reiner Text auf dem Bildschirm als Beschreibung von Orten und Taten erschien, wird im Remake von einem (englischen) Sprecher vorgelesen. Vor allem aber erscheint das komplette Geschehen in „zeitgemäßer“, frei begehbarer 3D-Grafik, die leider nicht ohne die Anführungszeichen auskommen darf.
„You are standing in front of a white house.“ Dieser ikonische Satz der Spielegeschichte, mit dem Zork, der Nachfolger im Geiste, begann und der heute Teil des allgemeinen Gamer-Sprachschatzes ist, geht im Ansatz auf Colossal Cave zurück. Auch dieses beginnt vor einem Haus, einer einsamen Berghütte als Ausgangspunkt für Wanderer und Höhlenforscher. Von dort steigt ihr in die kolossale Höhle ab, die in ihrer ursprünglichen Version noch sehr viel näher an ihrem realen Vorbild, der Mammoth-Cave im US-Bundesstaat Kentucky, entworfen war.
Die Höhle gestaltet sich als wahres Labyrinth, durch das ihr den Weg finden müsst und das im Remake glücklicherweise auf Wunsch nicht mehr selbst mit Papier und Bleistift kartographiert werden muss, sondern von einer überaus komfortablen Kartenfunktion mitgezeichnet wird. Ohne diese wäre man heute aufgeschmissen. 15 Schätze gilt es dort zu finden, um das Spiel zu gewinnen, und dafür hin und wieder kleinere Rätsel zu lösen, die bis heute die Blaupause typischer Adventure-Inventar-Puzzle bilden, aber kaum noch anders als mit dem Adjektiv „sperrig“ zu beschreiben sind.
Da müsst ihr einen Vogel mit einem Käfig einfangen und ihn anschließend („Benutze Vogelkäfig mit Schlange“) verfüttern, um das giftige Kriechtier aus dem Weg zu räumen. Der Brückentroll muss mit einem wertvollen Gegenstand bestochen werden, das ihr zunächst aus der Küche des Riesen klaut, und die Art und Weise, wie ihr den Drachen besiegt, würde heute gar als Parodie auf solcherlei Spielmechanik wahrgenommen, wenn es das zugehörige Klischee damals schon gegeben hätte. Selbst Begegnungen mit Zwergen und einem Pirat, die man heute als „Random-Encounter“ bezeichnen würde, gab es bereits und nervten schon damals eigentlich nur.
Womit wir zur Frage zurückkommen, warum man davon heute ein Remake macht, und diese vorläufig damit beantworten, dass es ein wichtiges Stück Spielegeschichte für die heutige Generation bewahrt und erfahrbar macht. Um damit Spaß zu haben, dürfte vermutlich kaum eine zulässige Antwort sein. Colossal Cave kann man kaum des Vergnügens wegen, sondern vielmehr nur aus archäologischer Neugier an Videospiel-Prähistorie heraus spielen.
Doch selbst mir, der in seinem Leben einige Text-Adventure gespielt und auch ins Original vor vielen Jahren zumindest mal ein bisschen reingeschaut hat, fällt es schwer, die Faszination nachzuempfinden, die die Spieler von damals empfunden haben mögen. Gamern von heute wird sie vermutlich vollständig verschlossen bleiben.
Dafür trägt vor allem auch die beinahe schon dilettantisch zu nennende Umsetzung bei, die weniger wie das Werk erfahrener Legenden der Spieleindustrie anmutet, sondern eher wie eine Übungsarbeit angehender Spieldesign-Studenten. Die Grafik wirkt lieblos und billig, wodurch sich das Remake auf paradoxe Weise fast noch altbackener anfühlt als das pure Text-Original. Auch die Bedienung erweist sich mitunter als verstörend umständlich, ganz besonders in der befremdlichen Verwaltung des Inventars. Vielleicht mag es daran liegen, dass Roberta und Ken Williams die letzten 20 Jahre Spielegeschichte ausgelassen haben, aber mitunter macht Colossal Cave weniger den Eindruck einer modernisierten Version eines Klassikers aus den 70ern, sondern viel eher wie ein Lehrstück über Gamedesign-Sünden aus den späten 90ern. Noch dazu knapp 40 Euro für eine derartige Produktionsqualität zu verlangen, ist schon ziemlich unangemessen, zumal jedem aufrichtig spielehistorisch interessierten Gamer ohnehin zu raten wäre, lieber das Original zu spielen, um sich einen unmittelbaren Eindruck davon zu verschaffen.
Und dennoch ein wertvolles Stück Spielegeschichte
Und doch bereue ich es nicht, Colossal Cave gespielt zu haben. Denn hat man sich erstmal durch die Anfangsphase durchgebissen, die ersten spröden Rätsel gelöst (oder besser: sich dagegen mit einer Komplettlösung gewappnet), die verschachtelte Labyrinth-Struktur verstanden (die man im Übrigen auch ein bisschen mit Dark Souls vergleichen könnte) und sich an die vielen unnötig sperrigen Elemente gewöhnt (oder sie irgendwann einfach nur als gegeben hingenommen), stellt sich eine ganze andere Faszination ein, die noch lange nachwirken wird: nämlich die, froh zu sein, wie sehr sich Spiele in der Zwischenzeit weiterentwickelt haben.
Im Grunde gibt es keinen Bestandteil von Colossal Cave, den man dem Spiel nach heutigen Maßstäben noch durchgehen lassen würde bzw. der nicht als abschreckendes Beispiel für moderne Spieleentwicklung dienen könnte. Es scheint ja selbst heute noch Entwickler zu geben, die Random-Encounter oder ein limitiertes Inventar für eine gute Idee halten, das über viel zu wenig freien Platz verfügt, sodass man ständig wertvolle Gegenstände ablegen und später wieder suchen muss. Colossal Cave scheint jedem angehenden Entwickler sagen zu wollen: „Seht ihr. War damals schon scheiße. Ist immer noch scheiße. Nicht machen.“
Letzten Endes existiert Colossal Cave eigentlich vor allem für Roberta und Ken Williams selbst und ihresgleichen, die das Original seinerzeit gespielt und geliebt haben und nun die Möglichkeit erfahren, all das, was sie sich damals vor dem inneren Auge nur vorgestellt haben, durch die Fantasie eines anderen leibhaftig zum Leben erweckt bewundern dürfen. „Genau so habe ich mir die Kristallhöhle damals vorgestellt, den Canyon mit dem Wasserfall und den schwarzen Schlund unter der Brücke“, so stelle ich mir das verträumte Schwelgen in Erinnerungen vor, das Colossal Cave zu erzeugen wünscht.
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Also im Grunde ähnlich wie jede Romanverfilmung und speziell die Herr-der-Ringe-Filme von Peter Jackson, über die ja von Fans der Bücher auch regelmäßig der Satz gesagt wurde: „Es sieht genau so aus, wie ich es mir beim Lesen immer vorgestellt habe.“ Nur dass der Reiz dieser Filme nunmal genau darin bestand, das Spektakel von Szenen wie der Schlacht von Helms Klamm unmittelbar zu sehen und zu erleben. Kein Fan von Colossal Cave wird solch einen Satz beim Anblick des dürftig animierten Brückentrolls oder des müde schlurfenden Drachen sagen.
Jeder Spieler von früher kennt dieses Phänomen der Einbildungskraft, wenn das Geschehen in der Erinnerung epische Ausmaße annimmt, die mit dem tatsächlichen Pixelbrei wenig gemein hatten. Woran vor allem auch die Cover der Spielepackungen zur damaligen Zeit ihren Beitrag leisteten, die dazu anregten, sich das Geschehen als spektakuläres Abenteuer vorzustellen, während die Spiele selbst nur Strichmännchen zeichneten. Colossal Cave ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, manche Dinge einfach der Fantasie zu überlassen.
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