Test - Captain Tsubasa: Rise of New Champions : Der animierte Fußball-Wahnsinn
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Fußballbegeisterte Kinder der 90er-Jahre antworten auf die Frage nach dem besten Kicker aller Zeiten vermutlich nicht mit Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo, sondern mit Tsubasa Ozora. Die Abenteuer von ihm und seiner Mannschaft Nankatsu waren damals quasi Pflicht im Nachmittagsprogramm von RTL 2. Und für genau diese treuen Fans ist Captain Tsubasa: Rise of New Champions gemacht.
Fußball-Wunderkind Ozora ist ursprünglich zwar im Manga und Anime zuhause, blickt aber dennoch bereits auf eine ganze Reihe von Konsolenspielen zurück. Bereits auf dem NES ging es los, damals noch im seltsamen Gewand einer Fußball-Rollenspiel-Mischung mit rundenbasiertem Spielablauf. Hiesige Fans bekamen davon jedoch nur am Rande etwas mit, denn die meisten Teile erschienen auch in den Folgejahren ausschließlich in Japan.
Captain Tsubasa: Rise of New Champions setzt nicht mehr auf die eingangs erwähnte RPG-Ruhe, sondern stellt Arcade-Action in den Mittelpunkt. Das passt durch und durch, schließlich drehte sich die bei uns „Die tollen Fußballstars“ getaufte Serie um Schüsse, Pässe und Paraden, bei denen sich selbst Lionel Messi oder Manuel Neuer übelste Verrenkungen zugezogen hätten. Jeder große Spieler im Tsubasa-Universum verfügt über Fähigkeiten und Aktionen, die eher an Superkräfte denn gewöhnliches Fußballvermögen erinnern. Das Angebot reicht von feurigen Torschüssen über pfeilschnelle Dribblings bis hin zu Kopfbällen, für die vom Torpfosten abgesprungen wird.
Zumindest der grundsätzliche Aufbau ist dem klassischen Rasenschach entliehen. Gespielt wird elf gegen elf in unterschiedlichen Formationen mitsamt einer Halbzeitpause. Zur Wahl stehen anfangs nur eine Handvoll Teams wie Nankatsu, Toho, Musashi oder Furano, die jeder Fan kennt. Dazu kommen zunächst die drei Nationalmannschaften England, Japan und Uruguay. Weitere Teams können in den beiden Kampagnen freigespielt werden, auf die wir später eingehen. Natürlich sind auch diese nicht mit realen Spielern bestückt, sondern vollgepackt mit "Stars" wie Karl-Heinz Schneider oder Ramon Victorino, die aus späteren Ablegern der TV-Serie stammen.
Für das schnelle Spielvergnügen stehen lokale Freundschaftsspiele für bis zu vier Leute bereit. Online wird in einem Ligaformat gekickt. In den unteren Klassen geht es noch gegen die CPU, später treten menschliche Gegner auf den Plan. Erreicht ihr eine bestimmte Anzahl von Punkten, steigt ihr in die nächste Liga auf. Klappt das nicht, drohen der Verbleib oder gar ein Abstieg. Dabei steuert ihr keines der bekannten Teams, sondern erstellt euren eigenen Club: Ihr wählt die Spieler nach Lust und Laune aus, kreiert eigene Logos sowie Trikots und legt eine Aufstellung nebst Taktik fest. Diese Mannschaft könnt ihr außerdem noch in lokalen Versus-Spielen sowie Partien gegen die CPU einsetzen.
Der krönende Abschluss
Im Zentrum stehen zwei Kampagnen, in denen sich Story und Fußball vermischen. Die Tsubasa-Episode dreht sich um die dritte Landesmeisterschaft der Junioren, die das junge Genie mit seinem Nankatsu-Team erneut gewinnen will. Zwischen den insgesamt sechs Partien des Turniers mischen sich spärlich animierte Zwischensequenzen, mit denen die Geschichte vorangetrieben wird. Es gibt ausschließlich eine japanische Sprachausgabe, daher verfolgt ihr die mitunter etwas holprig übersetzten Dialoge in klassischen Textboxen. Dabei erwartet euch eine schrecklich-schöne Seifenoper auf Grundschulniveau, der vermutlich nur Kenner der Serie etwas abgewinnen können.
Auf dem Platz geht dieses Drama weiter. Besondere Aktionen wie Zweikämpfe oder Verletzungen ereignen sich an vorgegebenen Stellen oder zu bestimmten Zeitpunkten. Mitunter kassiert ihr sogar ein Tor, ohne irgendwie eingreifen zu können. Schafft ihr es nicht, das Ergebnis noch zu drehen, beginnt das Spiel von vorne – und ihr müsst sämtliche Sequenzen erneut über euch ergehen lassen. Dadurch kann sich die eigentlich sehr kurze Geschichte etwas in die Länge ziehen. Überhaupt könnt ihr in diesem Modus kaum Einstellungen wie Wechsel oder Formationsänderungen vornehmen, sondern müsst mit festen Vorgaben leben.
Wer sich im Tsubasa-Universum etwas auskennt, bekommt in der Kampagne ein schönes Sammelsurium aus Charakteren und Ereignissen geboten. Doch das Ganze ist praktisch schon zu Ende, bevor es richtig angefangen hat. Mehr als ein ausgedehntes Tutorial stellt die Tsubasa-Episode nicht dar.
Der nächste Tsubasa
Deutlich umfangreicher fällt die zweite Episode namens Neuer Held aus, denn hier führt ihr euren eigenen Spieler zu Erfolg und Ruhm. Zu Beginn erstellt ihr euren Charakter und entscheidet, ob er für Furano, Musashi oder Toho spielen soll. Je nach Wahl kickt ihr dann mit den Mittelfeldstrategen Matsuyama und Misugi oder Stürmer-Ass Hyuga zusammen. Die drei Kapitäne spielen auch in der Geschichte eine zentrale Rolle: Als Frischling sollt ihr das bestehende Team verstärken und mit ihm ein prestigeträchtiges Turnier gewinnen. Der große Unterschied zur Tsubasa-Episode ist dabei der Einfluss, den ihr auf die Entwicklung eures Charakters und Teams nehmen könnt.
Eure Leistungen werden mit Erfahrungspunkten belohnt, dank derer ihr zunächst die Attribute eures Verteidigers, Mittelfeldspielers oder Stürmers stärkt. Nebenher verbessert ihr durch kluge Aktionen auf dem Feld die Team-Chemie. Zudem baut ihr Freundschaften zu vielen Kickern der anderen Teams auf und erlernt dadurch ihre besonderen Aktionen. Das wiederum steht in Verbindung mit einem Sammelkarten-System.
Über alle Modi hinweg erfüllt ihr Herausforderungen, die euch Punkte einbringen. Im spielinternen Shop kauft ihr davon verschiedene Pakete, in denen zufällige Karten mit Spielern oder Trainingsgegenständen stecken. Ihr könnt nur Freundschaften mit Spielern aufbauen, wenn ihr die entsprechende Karte besitzt. Wer also gerne mit Falkenschuss-Spezialist Shun Nitta auf Kumpel machen will, benötigt das entsprechende Glück. Alternativ investiert ihr die besagten Punkte in neue Frisuren, Schuhe und Logos für euren Spieler oder das selbst erstellte Dream Team.
Ist das noch Fußball?!
Euch dürfte nicht entgangen sein, dass wir bisher kein Wort über den eigentlichen Spielverlauf verloren haben. Das hat Gründe, und leider keine guten. Denn was auf dem Grün abgeht, hat mit Fußball, wie man ihn kennt, praktisch nichts zu tun. Zwar handelt es sich im Kern um einen Arcade-Titel, doch Captain Tsubasa: Rise of New Champions fällt aufgrund seiner Eigenheiten alles andere als zugänglich aus.
Einer der größten Problempunkte ist die Kameraperspektive, die in jeder der mageren drei Einstellungen viel zu nah und tief am Geschehen ist. Einzig der Blick auf das Radar am unteren Bildrand gewährt ein wenig Übersicht. Doch selbst einfachste Pässe gehen oftmals daneben, weil Richtungseingaben oder anvisierte Spieler nicht sauber erkannt werden. Ein kontrollierter Spielaufbau verkommt damit fast zur Glückssache, zumal für Zuspiele über größere Strecken die Taste sehr lang gedrückt gehalten werden muss.
Auch Flanken und Ecken spielt ihr mehr auf Verdacht und hofft, dass überhaupt einer eurer Spieler an den Ball kommt. Ist das der Fall, startet fast immer ein Quick-Time-Event, bei dem ihr auf die Tasten hämmert, um den Verteidiger zu überwinden und aufs Tor schießen zu können. Auch dabei scheint mehr der Zufall als das eigene Vermögen entscheidend zu sein.
Die nächste fragwürdige Entscheidung: Es gibt keine Fouls! Darum stehen eingesprungene Blutgrätschen und Rempler wie im Eishockey an der Tagesordnung. Den wilden Angriffen entgeht ihr nur mit rechtzeitigen Dribblings, allerdings haben auch die ihre Tücken. Über die beiden rechten Trigger setzt ihr zum Sprint an oder nutzt ein Super-Dribbling, um am Gegenspieler vorbeizukommen. Beides gelingt jedoch nur, wenn die sogenannte Willensleiste ausreichend gefüllt ist. Ohne diese Power ist es beinahe unmöglich, an einem Gegenspieler vorbei zu gelangen. Je nach Spieler füllt sich diese schnell oder langsam wieder auf.
Gelungene Aktionen steigern die sogenannte V-Leiste. Wenn sie voll ist, könnt ihr eine besonders starke Offensiv- oder Defensivtaktik auslösen. Während der eine Club mauert und lange Bälle spielt, geht der andere zum geballten Angriff über. Angesichts der generell schläfrigen Mitspieler-KI und der schlechten Kamera verpuffen diese Effekte jedoch häufig.
Sehr speziell ist auch das System zum Erzielen von Toren. Ihr müsst nämlich erst die Willensleiste des Keepers leeren, indem ihr mehrfach auf seinen Kasten schießt. Erst wenn der Torwart geschwächt ist, habt ihr die Chance, einen Treffer zu erzielen. Normale Schüsse haben jedoch so viel Druck wie geschubste Luftballons und gehen nie rein. Selbst wenn der Keeper einen Ball abprallen lässt und ihr danach auf den freien Kasten zielt, knallt die Kugel auf wundersame Weise noch an den Pfosten oder die Latte.
Soll das Runde ins Eckige, sind Superschüsse wie Tsubasas Top-Spin oder Hyugas Tigerschuss das einzig zielführende Mittel. Habt ihr die Leiste des Keepers heruntergeschossen oder ganz geleert, erzielt ein solches Spezialmanöver fast immer ein Tor. Dieser Ablauf mag dem Plot vieler TV-Episoden entsprechen, macht das Spiel jedoch eindimensional und langweilig. Außerdem wiederholen sich dabei die Animationen der Spieler und Torhüter sehr oft.
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