Test - Beyond a Steel Sky : Test: Das Cyberpunk-Adventure jetzt für PS4 und PS5
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Es war 1994, die goldene Ära der VGA-Point-n-Click-Adventures, als Beneath a Steel Sky erschien. Trotz positiver Kritiken erfuhr das Cyberpunk-Abenteuerspiel nur unter eingefleischten Genre-Fans Beachtung. Entwickler Revolution Software sollte erst ein paar Jahre später mit Baphomets Fluch seinen Durchbruch feiern. Dass letztes Jahr mit Beyond a Steel Sky ein Nachfolger für PC veröffentlicht wurde, darf daher als kleines Wunder gewertet werden. Jetzt, 25 Jahre nach dem Vorgänger, erscheint dieser auch für PS4 und PS5.
Es war 1994, als Beneath a Steel Sky erschien. Um einen Eindruck zu vermitteln, was das für eine Zeit war und dass diese Zeit eine ganz andere war als heute, möchte ich mit einer persönlichen Anekdote beginnen: Ich hatte mir das Spiel damals bestellt – wie es seinerzeit üblich war bei einem der zahlreichen Spieleversender, wie Wial, Joysoft oder CPS, die monatlich ihre Preislisten ganzseitig in den Print-Spielemagazinen inserierten. Wenn man dort bestellte, dann in der Regel gleich drei oder vier Spiele auf einmal, um auf den Mindestbestellwert von 200 Deutschen Mark zu kommen und so die Versandkosten zu sparen. (Auf dem Foto: Das Original-Handbuch mit Widmung von Entwickler Charles Cecil)
Die Spiele wurden damals noch auf Disketten ausgeliefert – Beneath a Steel Sky umfasste sage und schreibe 15 (!!) davon – und obwohl die Pakete von besagten Spieleversandhändlern bis oben hin mit Styroporkügelchen (noch keine Luftpolsterfolie) ausgestopft waren, kam es häufig vor, dass irgendeine der zahlreichen Disketten beschädigt beim Kunden ankam und sich das Spiel daher nicht installieren ließ. So auch meine Version von Beneath a Steel Sky. Erst Jahre später, als ich es vergünstigt auf CD-ROM ein zweites Mal kaufte, holte ich es nach. Denn mein Versuch, die defekte Diskette umzutauschen, scheiterte, weil das Spiel nicht mehr verfügbar war und auch nicht mehr nachproduziert wurde. Auf meine Frage, warum nicht, antwortete mir der Servicemitarbeit am Telefon (schnurgebunden natürlich, mit Wählscheibe): „War halt ein Flop.“
Die Aussage „War halt ein Flop“ hallt bis heute in meinen Ohren nach und lässt die Produktion eines Nachfolgers 25 Jahre später umso unglaublicher klingen. Dass dieser tatsächlich Realität wurde, hat in erster Linie mit einem Faktor zu tun, den die Entwickler im (übrigens höchst interessanten) Audio-Kommentar des Nachfolgers Beyond a Steel Sky erklären: ScummVM. Nachdem sich Mitte der 90er Windows als Betriebssystem durchgesetzt hatte, liefen viele alte MS-DOS-Spiele auf den neuen Computern nicht mehr. Doch die emsige Community leidenschaftlicher Adventure-Fans programmierte mit ScummVM eine Schnittstelle, die die alten Spiele auch auf moderner Hardware lauffähig machte.
Mit viel Enthusiasmus konvertierten sie auch Beneath a Steel Sky und stellten den Klassiker schließlich kostenlos zur Verfügung. Was zunächst wie eine finanziell ziemlich idiotische Entscheidung für seine Entwickler aussehen mag, entpuppte sich als Glücksgriff: Denn auf diese Weise - und mit der Popularität der mittlerweile zum Kult gewordenen Baphomets-Fluch-Reihe als Rückenwind - erschloss sich das schon fast in Vergessenheit geratene Adventure zahlreiche Fans – was schließlich die Produktion eines Nachfolgers zur lohnenswerten Angelegenheit machte …
Nachfolger oder Reboot?
Beyond a Steel Sky ist ein Nachfolger durch und durch. Es erzählt die Geschichte von Foster, seinem Roboter-Sidekick Joey und den düsteren Machenschaften in der Cyberpunk-Stadt Union City zehn Jahre nach den Ereignissen des ersten Teils fort. Doch, wie die Entwickler ebenfalls im erwähnten Audio-Kommentar verraten, war ihnen von Anfang an bewusst, dass sie den Nachfolger mit dem Gedanken im Hinterkopf entwickeln mussten, gleichzeitig als Reboot wahrgenommen werden zu werden für alle, die das Original nicht kannten. Und selbst, wer das Original seinerzeit gespielt hat - wie ich -, wird sich nach 25 Jahren wohl an kaum mehr als ganz grobe Eckdaten und Schlüsselmomente erinnern können, wenn überhaupt.
Beyond a Steel Sky nimmt sich daher zwischendurch immer wieder viel Zeit, die Vorgeschichte für all jene zu erklären, die den ersten Teil nicht gespielt haben oder ihn nur noch schemenhaft in der Erinnerung präsent haben. Auch wenn es selbstverständlich von Vorteil ist, müsst ihr ihn also nicht kennen, ja, möglicherweise erfährt das Spiel sogar eine ganz eigene Faszination, wenn man sich die Vorgeschichte erst selbst durch die erzählerisch recht geschickt gesetzten Hinweise zusammenreimen muss, ähnlich wie in den Star-Wars-Filmen, bevor es die Prequel-Trilogie gab und sich lediglich die Ahnung einer Vorzeitigkeit des Geschehens einstellte, die Einzelheiten aber der Fantasie überlassen wurden. Bei einem Besuch im Museum etwa nach einem Drittel des Spiels erfahren Neulinge anschaulich und ohne langatmige Erklär-Bär-Vorträge alles, was sie wissen müssen, wohingegen die Szene für alle Eingeweihten nur so vor Anspielungen und Easter-Eggs strotzt, nicht nur auf den Vorgänger, sondern auch auf andere Adventurespiele oder filmische Vorbilder aus dem Sci-Fi- und Cyberpunk-Genre.
Jenseits der Donnerkuppel
In der post-apokalyptischen Welt des ersten Teils Beneath a Steel Sky lebt die eine Hälfte der Menschheit in abgeschotteten Megastädten, die andere führt ein nomadenhaftes Leben in der strahlungsverseuchten Einöde. Als unser Held Robert Foster bei einem Hubschrauber-Absturz von der Wüste in eine der Städte gelangt, deckt er die dort herrschenden gesellschaftlichen Missstände und die Machenschaften einer außer Kontrolle geratenen KI auf.
Der erste Teil von Beneath a Steel Sky war ein Kind seiner Zeit und behandelt zwischen den Zeilen seiner recht konventionellen Cyberpunk-Geschichte politische und philosophische Fragen des Zeitgeists der frühen 90er Jahre. Es war die Zeit, als die Welt nach dem Ende des Kalten Krieges für einen Moment aufatmete und der Hoffnung einer friedlicheren Zukunft entgegenblickte. Doch gleichzeitig zeichneten sich bereits neue Probleme und Konflikte am Horizont ab: Wirtschaftliche Umwälzungen im beginnenden Zeitalter der Globalisierung hatten massive Arbeitslosigkeit zur Folge und schürten die Angst vor einem unkontrollierten Auseinanderdriften der Schere zwischen Arm und Reich. Neue technologische Entwicklungen wie das Internet weckten das Schreckgespenst einer totalitären Überwachung durch künstliche Intelligenz.
Beneath a Steel Sky projizierte die sozialen Veränderungen seiner Zeit in eine dystopische Zukunftsvision, die an eine Mischung aus Aldous Huxleys Schöne Neue Welt, George Orwells 1984, Blade Runner und Mad Max erinnerte. Die Gesellschaft von Union City war entlang einer strengen Hierarchie entworfen, die sich architektonisch in den Stockwerken der monströsen Wolkenkratzer spiegelte: Während die armen Bevölkerungsschichten in den oberen Regionen vor sich hin vegetieren (weil dort der Smog aus den Industrie-Schornsteinen hinaufsteigt), führen die Reichen ein Luxusleben in den prunkvollen Gärten an der Erdoberfläche.
Viele der Themen, die Beneath a Steel Sky anspricht und diskutiert, muten aus heutiger Sicht zweifellos nach reichlich ausgetretenen Sci-Fi-Klischees an, wie man sie mittlerweile schon dutzendfach nicht nur in sehr ähnlicher Form, sondern auch deutlich vielschichtiger ausgearbeitet gesehen hat. Für Videospiele jedoch dürfen sie zu jener Zeit geradezu als visionär gelten: Die Geschichten von Action- und Rollenspielen beschränkten sich damals auf eindimensionale Gut-Böse-Muster (sofern sie überhaupt eine Geschichte erzählten), und Adventurespiele, das seinerzeit vorherrschende narrative Genre, wurde von Comedy à la Monkey Island und märchenhafter Fantasy à la King’s Quest dominiert. Adventures, die erwachsene Themen behandelten, taten sich schwer, ein Publikum zu finden, was zumindest anteilig auch den anfänglichen Misserfolg von Beneath a Steel Sky erklärt.
Schöne Neue Welt
Der Nachfolger Beyond a Steel Sky ist nun wiederum durch und durch ein Kind seiner - der heutigen - Zeit. Vieles hat sich verändert in den letzten Jahrzehnten: globale Vernetzung, das Aufkommen der sozialen Medien mit all ihren Begleiterscheinungen positiver und negativer Natur und die Herausforderungen einer Gesellschaft, die sich im gesteigerten Wunsch nach Sicherheit bei der Abwägung zwischen sinnvollen Einschränkungen ihrer eigenen Rechte und der totalen Überwachung in einer ideologischen Zwickmühle wiederfindet.
Beyond a Steel Sky spielt circa zehn Jahre nach dem ersten Teil und wirft einen Blick durchs Brennglas auf diese Welt, die der Spieler damals als Happy-End erschaffen und hinterlassen hat: Nach dem Sturz des bösen Regimes in Beneath a Steel Sky schuf der Held von einst eine Gesellschaft nach paradiesischen Vorstellungen: Hunger und Mangel wurde beseitigt, Gleichheit zwischen den Bevölkerungsschichten hergestellt, und wenn sie nicht gestorben sind, leben alle glücklich bis an ihr Ende …
Erneut spielen wir Foster, den Helden des Vorgängers, der nach dem Ende von Teil Eins in die Wüste gezogen war und nun das erste Mal wieder nach Union City zurückkehrt, auf der Suche nach einem entführten Jungen. Union City blühte in der Zwischenzeit unter der Herrschaft seines Roboter-Freundes Joey auf, der dort heute als Messias verehrt wird, und scheint tatsächlich das Ideal einer Gesellschaft verwirklicht zu haben, in dem es niemandem an etwas mangelt und herzliches Miteinander der gesellschaftlichen Spaltung gewichen ist. Das Maximum an Bürgerpflicht, das Union City seinen Einwohnern abverlangt, ist die Teilnahme an der Wahl einer neuen Geschmacksrichtung für den beliebten Softdrink. Doch es dauert nicht lange, bis sich die Frage aufdrängt, zu welchem Preis diese aufoktroyierte Glückseligkeit erkauft wurde.
Die Autoren bei Revolution Software entwerfen das Union City von Beyond a Steel Sky als eine glaubwürdige Projektion aktueller Themen des Zeitgeistes. Anhand eines gamifizierten Punktesystems werden die Bewohner etwa zu sozialem Verhalten erzogen, ähnlich wie es in China schon bedenkliche Realität ist, und wie sie in der Science-Fiction unter anderem auch schon die Serie Black Mirror oder der Kinofilm Hyperland in sehr ähnlicher Weise thematisierten. Wer nicht nach den Regeln „spielt“, im wahrsten Sinne des Wortes, dem werden gesellschaftliche Privilegien entzogen und Freiheiten eingeschränkt. Doch die Fröhlichkeit, die allerorts vorherrscht, ist nicht allein Ausdruck der Lebensfreude in einem System, das jedem ehrliche Voraussetzungen für ein glückliches Leben anbietet, sondern gleichzeitig Fassade einer Gesellschaft, die um die fatalen Konsequenzen eines Regelbruchs weiß.
Beyond a Steel Sky gelingt es glücklicherweise auf subtile Weise, der Vielschichtigkeit dieser Ambivalenzen Rechnung zu tragen. Statt lediglich Missstände anzuprangern, was angesichts des überstrapazierten Themas schnell platt und trivial hätte ausfallen können, legt es den Finger in die Wunde, die der schizophrene Zwiespalt, in dem sich die Gesellschaft befindet, ihr zugefügt hat. Das zeigt sich ganz besonders gut in Szenen, die manch einer wahrscheinlich für „unlogisch“ befinden wird, weil sich die Personen völlig unglaubwürdig verhalten, aber eben nur, weil sie nach den Regeln einer Gesellschaft spielen, die uns vollkommen fremd sind: Als Foster etwa die Identität einer toten Person annimmt und plötzlich dessen Ehefrau begegnet, gerät sie nicht in Panik, bezichtigt ihn auch nicht des Mordes an ihrem Mann oder lässt seine Charade auffliegen, sondern spielt sein falsches Spielchen wie selbstverständlich sofort mit, weil sie ansonsten mit „Punkteabzug“ beim sozialen Meta-Game zu rechnen hätte.
Konvention trifft Innovation
Beyond a Steel Sky entwirft das janusköpfige Zerrbild einer Gesellschaft, die stets im besten Willen für das Wohlergehen aller handelt, dabei aber irgendwann aus dem Blick verloren hat, dass dieser Wille schon längst kein freier mehr ist. Die eigentliche Abenteuergeschichte hingegen fällt im Vergleich dazu leider recht schematisch und über weite Strecken regelrecht banal aus: Die meiste Zeit des Spiels seid ihr einfach nur auf der Suche nach Person X, von der ihr euch die Enthüllung des großen Mysteriums erhofft. Um diese zu finden, schickt euch Person A zu Person B, wofür ihr aber erst den Umweg über Ort D nehmen müsst, um Zugang zu Ort C zu erhalten. Unterwegs sülzt euch jeder NPC, dem ihr begegnet, minutenlang mit redseligen Belanglosigkeiten voll. Einen Großteil des Spiels verbringt ihr in Dialogen.
Denn trotz seiner nach Außen hin erfreulich zeitgemäßen Inszenierung in einer dreidimensional begehbaren Spielwelt fällt Beyond a Steel Sky in seinem spielerischen Kern zutiefst klassisch aus: Dialoge durchklicken, Gegenstände an Ort A einsammeln, um sie an Ort B einzusetzen. Das mag in voller Absicht der Tradition des 25 Jahre alten Vorgängers geschuldet sein, an der einen oder anderen Stelle hätte ich mir aber noch einen Tick mehr Elan und Mut von den Entwicklern gewünscht, das Genre vom Staub zu befreien, der sich in der Zwischenzeit auf seiner Oberfläche angesammelt hat. Denn wenngleich die moderne Inszenierung auf den ersten Blick anderes nahelegt, so sind die Entwicklungen im Genre der letzten Jahre weitgehend spurlos an dem Spiel vorübergegangen: Es müssen keine Entscheidungen getroffen werden, die sich auf den Spielverlauf auswirkten, die Abläufe folgen weitgehend dem Muster, dem Adventures seit ihren Anfängen nacheifern, und auch die Spielwelt ist keine nach Vorbild einer Open-World, sondern eine der in sich geschlossenen Örtlichkeiten, zwischen denen ihr hin und her reist.
An anderer Stelle demonstrieren die Entwickler wiederum vorzüglich, dass sie durchaus gewillt sind, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue Ufer zu beschreiten. Etwa beim Puzzledesign: Abseits konventioneller Kombinationsrätsel müsst ihr regelmäßig Gerätschaften hacken, indem ihr in deren Logiken eingreift. Um beispielsweise für Ablenkung in einem Café zu sorgen, vertauscht ihr die Easy-Listening-Playlist der Musikanlage mit der eines Heavy-Metal-Liebhabers und sorgt so für Aufruhr. Oder ihr überschreibt das Persönlichkeitsprofil des Wachroboters mit dem des Putzdroiden, damit er mehr Interesse an der Sauberkeit des Fußbodens an den Tag legt als daran, euch den Zugang zu einem abgesperrten Bereich zu verwehren. Wenngleich diese Art von Spielmechanik nicht immer hundertprozentig geglückt weil mitunter etwas undurchsichtig umgesetzt wurde, bewirkt sie doch einen angenehmen Facettenreichtum im Geschehen, wodurch der Spielfluss stets leichtfüßig mäandert, statt sich wie häufig im Genre nach stop-and-go anzufühlen.
Virtuelles Theater
Die offensichtlichste Modernisierungsmaßnahme im ansonsten auffallend klassischen Adventurespiel besteht selbstverständlich in seiner Spielwelt und deren Ausgestaltung – und die ist außerordentlich gelungen: Union City ist nicht die düstere Neonstadt, wie sie seit Blade Runner zum Klischee dystopischer Cyberpunk-Szenarien geronnen ist, sondern ein farbenfrohes Abbild davon, dessen Schattenseiten auf den ersten Blick nicht sofort erkennbar sind. Mit den technischen Möglichkeiten aktueller 3D-Engines (Unreal) konnten Charles Cecil und sein Team von Revolution Software gar erstmals eine Vision verwirklichen, die ihnen schon seit ihrem allerersten Spiel Lure of the Temptress aus dem Jahr 1991 vorschwebte: die einer lebendigen Welt, deren Bewohner nicht bloß aus strammstehenden NPCs am Wegesrand bestehen, sondern einer simulierten Existenz nachgehen. Virtual Theatre nannten die Entwickler dies seinerzeit, konnten es aber mit den damaligen technischen Mitteln nicht mal ansatzweise so umsetzen, wie es dann Gothic einige Jahre später als erstem Spiel halbwegs gelingen sollte.
Spielerisch hat das zwar weitgehend keinerlei Auswirkung. Doch indem die Passanten der Stadt auf den Straßen und Plätzen flanieren und nicht bloß herumstehen, scheinen sie zumindest in der oberflächlichen Illusion einem Eigenleben nachzugehen, statt nur Zierde zu sein. Wo andere Adventures den Spieler lediglich Kulissen abschreiten lassen, vermittelt Beyond a Steel Sky zumindest ansatzweise das glaubhafte Gefühl, Teil einer Welt zu sein, die auch ohne ihn existieren würde. Das läuft technisch nicht immer ganz einwandfrei ab und ist natürlich meilenweit von dem Aufwand vergleichbarer Blockbuster-Produktionen wie Cyberpunk 2077 entfernt, doch allein mit welcher Entschlossenheit die Entwickler den dafür notwendigen Aufwand nicht scheuen, hat an dieser Stelle etwas Bewunderung verdient.
Denn obwohl die einzelnen Locations zwar durchaus geräumig, aber doch in sich geschlossen ausfallen – ein geschäftiger Marktplatz, eine Fabrik, eine Wohnsiedlung – verwandten die Entwickler auffällig viel Mühe darauf, sie als Teil einer grenzenlosen Welt zu modellieren, deren Sichtradius nicht an der Tür zum nächsten Spielabschnitt endet. Stattdessen gewähren sie zu nahezu jedem Zeitpunkt einen beeindruckenden Blick über die gesamte Stadt, ihre majestätischen Hochhäuser, die sich bis zum Horizont erstrecken, die Gärten und Parks am Boden und die Schienen der Hochbahnen dazwischen. Selbst im eigenen kleinen Apartment wählen die Entwickler nicht den leichten Weg und zeigen beim Blick durchs Fenster die vollständig in 3D erstellte Stadt - und nicht bloß deren Fototapete.
Zur Lebendigkeit der Spielwelt trägt auch der einzigartige Comic-Look des Spiels bei, der auf den Screenshots vielleicht noch wie der Versuch jedes anderen x-beliebigen Spiels anmuten mag, mit Cel-Shading-Optik einfach nur von den billigen Produktionskosten abzulenken, bei näherer Betrachtung aber ungewöhnlich detailliert und plastisch ausfällt. Statt die Objekte lediglich mit konturierenden Linien zu zeichnen und die Flächen darin farbig auszumalen, überzogen die Entwickler sie mit hochaufgelösten Texturen, auf denen selbst kleine Kratzer und Unebenheit zu erkennen sind und die mit reflektierendem Licht und Schattenwurf geradezu greifbar werden.
Dampf steigt aus den Gullis auf, die Sprinkleranlagen der Gärten sprühen Wasserfontänen in die Luft, und die Neonlichter werfen durch die Blätter rotierender Lüftungsventilatoren bunte Muster an die Wände. Das Geschehen wirkt durch viele kleine solcher Details weniger wie ein animiertes Comicbuch als vielmehr ein eigenwillig stilisierter Animationsfilm, der die Spielwelt realistisch erdet, diesen Eindruck aber gleichzeitig unwirklich verfremdet.
Beyond a Steel Sky eifert damit nicht einer aktuellen Mode im Indiespiele-Bereich nach, sondern führt die eigene Tradition fort. Bereits für die visuelle Gestaltung des ersten Teils zeichnete niemand Geringeres als Comiczeichner Dave Gibbons verantwortlich, der vor 25 Jahren noch allenfalls eingeschworenen Nerds ein Begriff war, heutzutage jedoch als Mitschöpfer der Watchmen auch außerhalb seiner Subkultur Legendenstatus genießt.
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War Gibbons beim ersten Teil noch sichtlich eingeschränkt, seiner Vision in der pixeligen 320x200-VGA-Auflösung Ausdruck zu verleihen, was dazu führte, dass es sich visuell, abgesehen vom schick inszenierten Intro, kaum nennenswert von anderen Adventures der damaligen Zeit abhob, erschuf er für den Nachfolger einen einzigartigen, kohärenten Stil, der verschiedenste Techniken von Comic, Animationsfilm und semirealistischer 3D-Grafik miteinander zu einer Melange verbindet, die eigentümlich vertraut und doch neuartig wirkt und dabei sogar die markante Farbgebung alter VGA-Malereien aufgreift und einarbeitet. Nur schade, dass dies selbst in der PS5-Version lediglich in 30 fps zu genießen ist. Den alternativen Performance-Modus in 60 fps solltet ihr unter allen Umständen meiden, wegen hässlich.
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