Test - As Dusk Falls : Interaktiver Thriller im Stile von The Quarry & Co.
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Nun hat also auch die Xbox ihr exklusives Film-Spiel (wenngleich es wie jedes Xbox-Exklusivspiel natürlich auch auf PC erscheint) nach Vorbild von Quantic Dream und Supermassive Games, nur nicht ganz so supermassiv im Produktionsaufwand wie die Referenztitel von Sony, etwa Detroit: Become Human oder Until Dawn. As Dusk Falls hat seine Wurzeln unverkennbar als tapferes Indie-Spiel, das fehlendes Budget durch einen originellen Stil, ein ungewöhnliches Szenario und zahlreiche erzählerische Überraschungen wettzumachen sucht.
Es ist geradezu unmöglich, die Faszination an As Dusk Falls darzulegen, ohne das Spiel in wichtigen Teilen zu spoilern – weswegen es umso irritierender wirkt, dass bereits die offizielle Beschreibung im Store und selbst der Announcement-Trailer vom Xbox Showcase 2022 genau das tun. Aber das ist vermutlich halb so wild, weil man die Einzelheiten eines Trailers ohnehin am nächsten Tag schon wieder vergessen hat und höchstens noch weiß, dass die Story cool und der Stil außergewöhnlich schien und es deshalb vorsorglich schonmal einen Haken auf der Wishlist bekommt. Wenn es dir damals so erging und du ohnehin den Game Pass hast, in dem das Spiel derzeit quasi kostenlos zu spielen ist, dann könnte es sinnvoll sein, wenn du das Spiel zunächst spielst und dann erst wieder hierher zurückkommst. Oder auch nicht. Ich gebe mir jedenfalls Mühe, nichts Wesentliches zu verraten.
Zu weiten Teilen weiß sowieso jeder schon, was von As Dusk Falls zu erwarten ist, wenn man im Leben schonmal ein x-beliebiges Spiel von Quantic Dream, Supermassive Games, Telltale oder Dontnod (bzw. Don’t Nod, wie sie sich neuerdings schreiben) gespielt hat: ein interaktiver Film, in dem man regelmäßig Entscheidungen fällen und zwischendurch kleinere Rangeleien per Quicktime-Events austragen muss. Nur zwischendurch frei herumlaufen wie in den genannten Vorbildern darf man nicht – As Dusk Falls ist in diesem Sinne eine reine interaktive Visual Novel.
Ähnlich wie es zum Aushängeschild der Spiele von Quantic Dream und Supermassive (kürzlich etwa erst The Quarry) gehört, sticht As Dusk Falls durch seine extrem hohe Varianz im Geschehen hervor. Jede Entscheidung hat Konsequenzen, mal mehr, meist weniger, aber in jedem Fall in irgendeiner Weise spürbar. Nicht selten münden die Entscheidungen sogar in vollkommen unterschiedliche Parallelhandlungen, sodass man sich noch sehr viel mehr als in den hochbudgetierten Vorbildern regelmäßig fragt: Wow, krass, was wäre jetzt bloß passiert, wenn ich mich anders entschieden hätte?
Deutlich stärker als etwa in den Spielen von Supermassive erwecken die Entscheidungen zudem den Eindruck einer weitreichenden Weichenstellung: Während die Konsequenzen des eigenen Handelns in The Quarry in der Regel nur geraten werden konnten und lediglich in der Hoffnung begründet waren, die Charaktere mögen doch bitte nicht sterben, so findet sich der Spieler in As Dusk Falls stets in scheinbar aussichtslosen Zwickmühlen wieder: den Bruder verraten, um die eigene Haut zu retten? Die Möglichkeit zur Flucht vor den Gangstern ergreifen, dafür aber die eigene Familie im Stich lassen? Der großen Liebe die Wahrheit über die unrühmliche Vergangenheit beichten und dabei riskieren, sie für immer zu verlieren?
Da man wie in Detroit: Become Human am Ende eines jeden Kapitels einen Handlungsbaum mit den getroffenen Entscheidungen einsieht und ähnlich wie in den Telltale-Spielen (z.B. The Walking Dead) Prozentzahlen angezeigt bekommt, wie sich andere Spieler entschieden haben, lässt sich das beeindruckend verzweigte Handlungsgeflecht stets nachverfolgen und bereits Überlegungen für spätere Durchgänge anstoßen, um bewusst andere Wege einzuschlagen.
Dog Day Afternoon
So weit, so weitgehend bekannt auch. Doch was ist daran nun neu, und sowieso: worum geht’s überhaupt? Nun, genau das ist schonmal das erste Neue an As Dusk Falls: das Szenario. Eine Geiselnahme in einem Motel, wie sie in ähnlicher Form Klassiker des Hollywood-Spannungskinos hervorgebracht haben, etwa Hundstage mit Al Pacino, Stirb langsam oder die Anfangsszene von From Dusk Till Dawn, der das hier gerade besprochene Spiel womöglich sogar in seinem Titel eine Reverenz erweist. Dass ein solches Setting in Videospielen bislang weitgehend jungfräulich auftritt, liegt sicherlich zum einen am eng abgesteckten Handlungsort, dessen Kammerspiel-Charakter mit den modernen Vorstellungen einer Spielwelt wenig gemein hat, sowie natürlich der Aktionsdynamik, die eher dramaturgisch und psychologisch motiviert ist – und weniger durchs Zielgeschick mit der Sniper-Rifle, das in solcherlei Geschichten allenfalls das Ende besiegelt.
Im Desert Dream Motel trifft eine Gruppe von Menschen zur falschen Zeit am falschen Ort zuerst ein und dann aufeinander. Die Familie Walker macht einen Zwischenhalt auf der Fahrt zu einem Neuanfang, nachdem der Vater seinen Job verloren und der Großvater eine Krebsdiagnose erhalten hat. Doch genau in diesem Moment taucht die Bande der Holt-Brüder auf: Nach einem missglückten Überfall, der anfänglich eigentlich wie ein todsicheres Ding schien, verstecken sie sich auf der Flucht vor der Polizei im selben Motel. Als sie dort nicht lange unentdeckt bleiben, nehmen die verhängnisvollen Ereignisse ihren Lauf.
Es kommt, wie es in solchen Geschichten eben kommt: Die Polizei umzingelt das Gebäude, die Entführer werden immer nervöser, fordern einen Helikopter, bekommen aber nur Pizza, und die Geiseln bangen um jeden Hoffnungsschimmer auf Flucht, der sich ihnen eröffnet, aber nicht nur Gefahr bedeutet, sondern auch die Schande, die anderen im Stich zu lassen.
Das Genre der interaktiven Film-Spiel-Hybride scheint wie gemacht für dieserlei Versuchsaufbau: der verdichtete Handlungsort, die zahlreichen unterschiedlichen Persönlichkeiten, deren Rollen man im steten Wechsel übernimmt, und die ständigen, schwerwiegenden Entscheidungen, die gegeneinander abgewägt werden müssen. Zudem geben sich die britischen Autoren von Int./Night sichtlich Mühe, das anfänglich eindeutig scheinende Schema aus guten Geiseln und bösen Entführern nach und nach in Frage zu stellen, indem sie durch ausgiebige Rückblenden Einblicke in die Motivationen und Hintergründe der Figuren gewähren und geschickt mit den aktuellen Geschehnissen kontrastieren.
Dies führt aber auch zum womöglich größten Kritikpunkt an As Dusk Falls: Denn um eine derartige Vielschichtigkeit im psychologischen Gefüge herzustellen, braucht es extremen Feinsinn und Fingerspitzengefühl seitens der Autoren, wie es nur wahre Meister beherrschen, ohne dabei ungewollt Klischees und Plattitüden zu bemühen oder in sentimentale und melodramatische Fettnäpfchen zu treten. Daran hapert es in As Dusk Falls mitunter gewaltig: Viele, besonders der Nebencharaktere sind platt wie eine Flunder und die Situationen, die sie definieren und ihren Persönlichkeiten Konturen, Tiefe und Emotionalität verleihen sollen, fallen oftmals so schematisch und offenkundig funktional aus, dass man das Gefühl nicht los wird, man schaue gerade dem Wort „cheesy“ bei seiner Entstehung zu. Zudem schlägt die Erzählung irgendwann so dermaßen viele Haken, dass man allein schon aus Schwindelgefühl nur noch mit dem Kopf schüttelt.
Dass das Spiel aber überhaupt eine derartige Tiefe anstrebt, bildet trotz allem zweifellos seine große Stärke, und ich verrate das an dieser Stelle nur, weil es bereits in der offiziellen Beschreibung des Spiels zu lesen ist und die Entwickler selbst es daher anscheinend nicht als Spoiler auffassen: Denn wenn sich die Geschichte zum großen Finale aufbäumt und man sie im Grunde schon fast zu Ende wähnt, stellt sich heraus, dass die Geiselnahme lediglich den Anfang bildete und den Anstoß liefert für die eigentliche Geschichte des Spiels, die davon handelt, was danach mit den Überlebenden dieser traumatischen Ereignisse passierte: wie sie am Verlust geliebter Menschen über die Jahre zerbrechen, sich gegen ihre Familie stellen, um das eigene Seelenheil zu bewahren, oder der eigenen Gier und Rachelust verfallen, weil eh schon nichts mehr zu verlieren ist.
Zwischen Pixelkunst und Foto-Lovestory
As Dusk Falls inszeniert diese Geschichte in einem Stil, der das zweite große Aushängeschild des Spiels bildet. Die Spielwelt ist zwar in (technisch simpler) 3D-Grafik modelliert und mitunter auch animiert, die Figuren existieren darin aber nur als regungslose Standbilder, Pappaufstellern gleich, die nur ruckartig, wie ein sehr langsames Stroboskop ihre Haltung verändern. Zwar werden die Figuren offensichtlich von fotografierten Schauspielern verkörpert (deren bekannteste Vertreter vermutlich Ryan Nolan aus 1917 und Sam Douglas sein dürften, der den abgehalfterten Detektiv in Heavy Rain spielte), doch um einen einheitlichen Look zu erzeugen, sind sämtliche Bilder wie mit grobem Pinselstrich übermalt, sodass sie wie Artworks wirken, die jemand mit der Geschwindigkeit eines Diaprojektors vorführt.
Der dadurch entstehende Wahrnehmungseffekt wirkt mitunter höchst verblüffend, weil das Bild durch seine fotografische Anmutung und die klar erkennbare Mimik der Schauspieler eine realistische Unmittelbarkeit hervorruft, sich durch den hohen Stilisierungsgrad aber stets wieder in Unwirklichkeit davon distanziert.
Auf Dauer kann der Stil seine faszinierende Wirkung jedoch leider nicht aufrecht erhalten, aus dem schlichten Grund, weil ein eingefrorener Gesichtsausdruck langfristig die menschliche Mimik nicht ersetzen kann und dramatische Szenen daher massiv an Emotionalität verlieren, weil man sich nicht mitten in der Szene, sondern als Leser eines Foto-Comics, gewissermaßen der Krimi-Variante einer Foto-Lovestory aus der Bravo, wähnt, die lediglich mit einem Hörspiel akustisch unterlegt wurde.
Ebenfalls der Immersion nicht geradezu zuträglich ist die missglückte Controller-Steuerung, die offenbar ursprünglich für PC und Maus entworfen wurde und deren Funktionen nur sehr holprig und umständlich auf Konsole überträgt. Lobend hervorgehoben werden muss jedoch, dass sich Publisher Microsoft nicht lumpen ließ und das Spiel komplett deutsch vertonte – angesichts ähnlich gearteter Spiele wie Life is Strange oder The Walking Dead, die lediglich in englischer Sprache erschienen, durchaus bemerkenswert.
Eher Single- als Multiplayer
Bleibt abschließend noch der Multiplayer-Modus zu erwähnen, der das Spiel in seiner Werbekampagne in reichlich missverständlichem Licht erscheinen lässt. As Dusk Falls wird dort als Spiel für bis zu acht Spieler beworben und erweckt derartig den Eindruck, es handle sich um ein Multiplayer-Spiel, in dem jeder in die Rolle eines der unterschiedlichen Charaktere schlüpft.
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Aber nein: As Dusk Falls ist zunächst einmal ein typisches Singleplayer-Spiel wie all seine offenkundigen Vorbilder von Telltale bis Supermassive Games. Aber ja, es kann auch online oder lokal von bis zu acht Spielern gemeinsam gespielt werden (da nur vier Controller an eine Xbox passen oder wenn nicht genug zur Verfügung stehen, können sogar Smartphones als zusätzliche Eingabegeräte verwendet werden), der Spielmodus entspricht jedoch weitgehend dem, den auch schon die Playstation-Playlink-Spiele Hidden Agenda und Planet of the Apes: Last Frontier anboten und der auch vor Kurzem erst in nahezu identischer Form per Update für The Quarry hinzugefügt wurde.
Die Spieler schauen gemeinsam das Geschehen wie einen Film und stimmen bei jeder Entscheidung ab, wie die Geschichte weitergehen soll. Also eher ein Modus für eine launige Runde unter Freunden, quasi ein Filmabend mit ein bisschen Interaktivität, weniger eine grundlegend neue Mehrspieler-Erfahrung wie z.B. der Koop-Modus in den Dark-Pictures-Spielen. Fun Fact zum Schluss: Die Idee zu diesem Spielmodus kam den Entwicklern von Supermassive Games ursprünglich übrigens, als sie eigentlich gerade ihr Spiel Until Dawn auf Twitch sperren lassen wollten, weil sie befürchteten, niemand kaufe sich mehr das Spiel, wenn man es sich auch einfach im Stream anschauen könne. Als sie dann aber feststellten, mit welcher Begeisterung etliche Streamer das Spiel sogar mit ihrer Community zusammen spielten, indem sie im Chat abstimmen ließen, wie die Geschichte weitergehen soll, beschlossen sie stattdessen, diese Funktion von vornherein in ihr nächstes Spiel Hidden Agenda einzubauen.
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