Test - ARMS : Wow! Wer hätte gedacht, dass es so gut ist ...
- NSw
Softwareseitig mag Nintendos Switch noch immer einige Lücken aufweisen, die hoffentlich nach der diesjährigen E3 gestopft werden. Trotzdem geht die Strategie der Japaner blendend auf. Statt dem Hardwareprimus PlayStation nachzueifern, kreiert Nintendo einzigartige Softwareperlen, die ihre Genres neu definieren und somit stetig neue Must-haves auf die Spielewunschliste setzen. Auf PS4, Xbox One und PC gibt es keinen Titel, der auch nur entfernt an das Spielprinzip von Arms heranreicht. Perfekt ist das Endprodukt trotzdem noch nicht.
Stil vor Technik. Dieser Satz fällt hier auf Gameswelt nicht zum ersten Mal in diesem Jahr und vermutlich wird er noch ein paar Mal Erwähnung finden. Er begleitete Bayonettas PC-Auftritt ebenso gerechtfertigt wie die Vorschau von Splatoon 2, die Neuauflage von Mario Kart 8 und nun das absurde Boxspiel Arms.
Das ist eine positive Entwicklung, denn sie zeigt, wie fortschrittlich Echtzeitgrafik heutzutage ist. Wenn man mit der Lupe hinschauen muss, um optische Schwächen zu analysieren, wenn man sich selbst zum kleinkarierten Korinthenkacker degradiert, weil man unbedingt einen Schwachpunkt in der Darstellung finden möchte, dann haben Spielgrafiken ein Niveau erreicht, das die Technik dahinter zweitrangig macht. Wir bewegen uns in einem Renderzeitalter, das die 8-Bit-Höhlenmalereien eines Commodore 64 oder eines NES weit hinter sich lässt. Nun endlich können wir uns darauf konzentrieren, was die Grafik zeigt, und vergessen, mit welchem Pinsel sie gemalt wurde.
Genau das ist bei Arms der Fall. Wer den Korinthenkacker geben möchte, kann die fehlende Kantenglättung anführen, findet aber sonst nichts im überaus stylischen, rundum sehenswerten Comicstil dieses Boxspektakels, das in vollen 1080p bei 60 Bildern pro Sekunde über den Bildschirm huscht. Nun ja, zumindest im Einzelspielermodus. Sobald eine Splitscreen-Sitzung angesetzt wird, die Platz für bis zu vier Spieler auf einem Bildschirm schafft, sinkt die Auflösung auf 900p und ab drei Spielern wird die Bildrate halbiert.
Hat das irgendeine Auswirkung auf den stilistischen Betrachtungswert? Nein, kein Stück!. Arms sieht stets genial aus, besticht durch hochgradig detailliert ausgearbeitete Protagonisten, schöne Kampfarenen und lebhafte Szenarien voller ausflippender Zuschauer. Arms ist das PunchOut! unserer Zeit. Es versprüht Witz und Charme und bereitet ungemein viel Spaß, obwohl der Spielablauf gar nicht mal so komplex ist.
Vereinfacht gesprochen geht es um ein Boxspiel mit besonders freakigen Sportlern, deren Arme elastisch sind und bei jedem Schlag mehrere Meter nach vorne katapultiert werden. Die Fäuste der zehn Hauptdarsteller sind bei jedem Schlag rund eine Sekunde unterwegs, wodurch strategisches Ausweichen, Decken und Springen weniger reaktionsabhängig ist als im realistischen Boxsport.
Einfach erlernt, schwer zu meistern
Bei Arms geht es stets um Stellung, um Vorausdenken, um Strategie, die man ohne Umschweife in die Praxis umsetzt. Und natürlich um einen meterhohen Berg gequirlten Arcade-Blödsinns mit der typischen Formel „Leicht zu lernen, schwer zu meistern“ eines Nintendo-Inhouse-Produkts. Draufhauen, eine einstecken, zu Boden gehen – und wieder etwas Neues lernen.
Nur wenige Feinheiten verstecken sich hinter der Fassade der lustigen Keilerei. So dürft ihr euch vor dem Start eines Kampfes aussuchen, welchen von drei möglichen Boxhandschuhen euer Held links oder rechts am Arm trägt. Wobei „Handschuh“ in manchen Fällen die falsche Bezeichnung ist. Das Arsenal reicht von Eisenkeulen über Miniraketen bis hin zu sich selbsttätig öffnenden Regenschirmen. Jeder der zehn Helden hat ein eigenes "Handschuhsortiment", doch dürft ihr die Handschuhe jedes Sportlers durch das Knacken von Minispielen auf andere Avatare umverteilen.
Ein strategisch nicht zu unterschätzender Faktor, denn das Arsenal bestimmt die Durchschlagskraft normaler Schläge genauso wie die Wirksamkeit der Spezialattacken, auf die euer Boxer zugreift, sobald eine gewisse Anzahl an Schlägen ihr Ziel getroffen hat. Die Minispiele sind von einfacher Natur und beinhalten nicht mehr als das Umhauen diverser stillstehender oder sich bewegender Holzziele, doch muss man für das Freischalten der Minispiele erst Summen einer spielinternen Währung zusammenkratzen, die man sich in gewonnen Kämpfen verdient.
Bewegungssteuerung mit Mehrwert
Die zweite spielbestimmende, aber eher hintergründige Feinheit des Kampfsystems hängt mit der Steuerung zusammen. Ihr habt nämlich die Wahl, ob ihr mit Controller-Knöpfen und Analogsticks spielt oder die Bewegungssensoren der Joy-Con-Hälften nutzt. Letzteres macht mehr Spaß, ist dafür aber weniger genau.
Entscheidet ihr euch für Letzteres, so nehmt ihr je eine Joy-Con-Hälfte in jede Hand und führt damit Schlagbewegungen aus, die denen eines Boxers ähneln. Wollt ihr euren Avatar bewegen, so haltet ihr die Controller-Hälften schräg in die jeweilige Richtung, während Deckung und Sprung auf die Schulterknöpfe verlagert werden.
Die Bewegungssteuerung ist aber nicht immer weniger genau. Den Flugweg der Fäuste, könnt ihr nämlich jederzeit bestimmen, auch dann, wenn sie längst unterwegs sind. Genau das klappt mit der Bewegungssteuerung erheblich leichter und präziser als mit dem Analogstick, da man den Bogen, den eine Faust fliegen soll, analog mit der eigenen Handbewegung beschreibt. Wer glaubt, es ginge hier nur um eine andere Form eines Hakens, irrt gewaltig. Das Umlenken der Fäuste ist von entscheidender Bedeutung, wenn euer Gegner sehr flink ist oder sich entscheidet, besonders oft seine Deckung hochzunehmen.
Wer ständig die Deckung bemüht, wird oft Opfer der doppelfäustigen Heranholattacke, bei der man nur zu gerne „Come over here“ brüllt wie einst Scorpion in Mortal Kombat. Eine Angriffsvariante, die im zentralen Turniermodus des Spiels mehr Gewicht erhält, wenn man sich der Basketballschlacht widmet, die ein wenig Abwechslung in den Boxalltag bringen soll. Denn hier gewinnt nicht derjenige, der die heftigsten Jabs austeilt, sondern der geschickteste Greifer, der sich den Kontrahenten mit beiden Fäusten schnappt und ihn in einen Basketballkorb bugsiert. Dagegen wirkt das andere Subspiel, das üblichen Volleyballregeln folgt, geradezu langweilig.
Vierfachkeilerei
Ein Schlagabtausch in Arms reicht je nach Talent der Kontrahenten vom völligen Chaos bis zu einem extrem kontrollierten, strategisch messerscharfen Stellungsspiel. Von Letzterem bleibt allerdings so gut wie nichts übrig, sobald sich mehr als zwei Spieler gegenüberstehen. Ob lokal im Splitscreen oder online spielt keine Rolle, wobei jede erdenkliche Teamkombination möglich ist – also auch drei gegen einen. Vierer-Matches enden in reinem Chaos, begleitet von Gelächter und wildem Geschrei. Dass die Bildrate im Vierer-Splitscreen auf 30 fps fällt, interessiert keine Sau. Ist ja nicht so, als würde man auf dem zugeteilten Viertel des Bildschirms überhaupt viel erkennen .
Selbstverständlich ist das in einer Online-Partie ganz anders. Hier tauscht ihr Übersicht gegen Gejohle, denn wie üblich fehlt es in Nintendo-Online-Modi an einem Sprachchat, der hitzige Stimmung garantieren könnte. Witzig ist dafür der Aufbau der Lobbys. Anhand kreisförmiger Symbole inklusive kleiner Avatar-Buttons könnt ihr nachverfolgen, wer gerade gegen wen boxt und wer wann eine auf die Nase bekommt. Witzig!
Kommentarezum Artikel