Test - The Plucky Squire – Der kühne Knappe : Test: Fast so schön und kreativ wie Astro Bot
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Genau in die Lücke zwischen Astro Bot und dem demnächst erscheinenden The Legend of Zelda: Echoes of Wisdom fällt nun The Plucky Squire und vereint das Beste aus beiden Welten zu einem durch und durch liebenswerten, einfallsreichen und furiosen Mix: die übersprudelnde kindliche Kreativität des Sony-Plattformers und das zeitlose Spielprinzip der Nintendo-Erfolgsreihe. Kein Wunder, The Plucky Squire ist ja auch von den Indie-Rebellen bei Devolver.
Jot ist der kühne Knappe. Als strahlender Held rettet er regelmäßig das Märchen-Königreich Artia vor dem bösen Zauberer Grummweil. So auch heuer. Doch diesmal verläuft das Abenteuer anders als sonst. Denn Grummweil hat herausgefunden, dass alle Bewohner Artias nur Figuren in einem Bilderbuch sind. Und so dreht er den Spieß um. Er verbannt Jot kurzerhand aus der Märchenwelt in die Realität und reißt die Herrschaft über das Land an sich. Für Jot und seine Freunde beginnt eine abenteuerliche Reise im ständigen Wechsel zwischen der Wirklichkeit im kunterbunten Kinderzimmer und der flachen Welt der Bilderbuchseiten.
Zauberhafte Hommage an das Medium Videospiele
The Plucky Squire ist eine bezaubernde und überschäumend kreative Reminiszenz ans Kindsein, an die Spiele, die man damals gespielt hat, und die Geschichten, die man vorgelesen bekam oder sich selbst ausdachte. Es ist aber auch eine Hommage ans gesamte Medium Videospiele, vor allem die klassischen Ausgaben von The Legend of Zelda, denen es in seinem Spielablauf über weite Strecken nacheifert.
Gleichzeitig wirkt es in etlichen Momenten wie ein charmantes Best-of zahlreicher Indie-Hits der letzten Jahre. In seinen Abschnitten im Kinderzimmer etwa erinnert The Plucky Squire an das herzerwärmende Tinykin mit seinem Helden in Däumlingsgröße, vor allem aber auch an das geniale It Takes Two, in dem man ebenfalls in einer zauberhaften Miniaturwelt ein riesenhaft erscheinendes Haus erkundete und alle Naselang mit neuen kreativen Einfällen überrascht wurde. Aber auch der Indie-Geheimtipp RPG Time: The Legend of Wright stand augenscheinlich Pate für den Kühnen Knappen, da beide im gleichen Maße vom Abenteuer eines jungen Helden in einem gemalten Buch erzählen und sich damit vor dem Einfallsreichtum und der puren Lust am Spielen im Kindesalter verbeugen.
Auf den ersten Blick fügt sich The Plucky Squire ein in die Reihe gelungener Huldigungen der klassischen 2D-Zeldas, vor allem etwa das zum Niederknien niedliche Chicory: A Colorful Tale, etwas weiter entfernt auch Tunic. Mit ihnen teilt der kühne Knappe auch die Kämpfe, die mit ihrer leicht stumpfen Beschaffenheit zu den Schwachpunkten des Spiels zählen - aber gut, so waren sie in Zelda halt schon immer.
Aber auch für seine Rätselmechaniken ließen sich die Entwickler von den Klassikern des Genres inspirieren, setzten dabei aber auf die gnadenlose Kreativität ihrer Prämisse vom Reisen zwischen den Realitäten. Denn Jot verfügt nicht nur über die Fähigkeit, sein Zuhause im Bilderbuch zu verlassen und die Welt im turbulenten Durcheinander des Kinderzimmers zu erkunden, er ist auch in der Lage von außen dezenten Einfluss auf die Märchenwelt zu nehmen.
So kann er etwa im Buch zurück blättern, um vorherige Seiten wieder aufzusuchen und von dort Gegenstände zu holen, die er später benötigt. Mit einem magischen Stempel lassen sich bewegliche Objekte festtackern, sodass etwa eine tödliche Kreissäge still steht. Und schließlich ist es sogar möglich, das Buch zu kippen, um derartig Kisten und Blöcke ins Rollen zu bringen und dadurch Schieberätsel mal auf eine völlig neuartige Weise zu lösen.
Eine bunt gefüllte Wundertüte der Kreativität
Wie im Indie-Meisterwerk Baba is You kann Jot sogar ganze Wörter im Buch nehmen und vertauschen, um den Sinn der Sätze zu verändern und so den Verlauf der Geschichte zu ändern. Wenn der Erzähler beispielsweise davon berichtet, dass ein massives Tor den Weg versperrt und eine kaputte Brücke daneben nicht weiter führt, so vertauscht ihr einfach deren Adjektive und schon ist das Tor kaputt und die Brücke wieder ganz. Für die garstige Maus besorgt ihr das Wort „Käse“ aus der Küche und verwandelt damit den Felsblock vor ihr in einen Käseblock, um sie mit ihrem Lieblingsessen abzulenken.
In fast jedem einzelnen Moment ist The Plucky Squire eine stets bis zum Bersten gefüllte Wundertüte an Kreativität, die allenthalben einen neuen hübschen Einfall daraus hervorzaubert und nebenbei unterschiedlichsten Traditionen des Mediums Videospiel Reverenz erweist: Einen Bosskampf bestreitet ihr in Form eines Match-3-Games à la Candy Crush, einen anderen als Rhythmusspiel nach Art von Guitar Hero. Ein Schleichabschnitt spielt sich wie Crypt of the Necrodancer, selbst der Spiele-Oldie Snake von alten Nokia-Handys gibt einen kurzen Gastauftritt, und dann wechselt das Spiel auch immer mal wieder in die Seitenperspektive wie in einem klassischen Super-Mario-Jump-n-Run.
Im Kinderzimmer erlebt ihr Abenteuer quer durch eine ganze Kindheit und allem, wofür im entsprechenden Alter die Leidenschaft brennt: In einem Dinosaurier-Abschnitt weicht ihr herabstürzenden Meteoriten aus und flüchtet vor einem hungrigen T-Rex. Und in einem Weltraum-Level meistert ihr mit einem Raketenrucksack tollkühne Sprünge und ballert euch wie in einem Shoot-em-up durch anfliegende UFO-Formationen – auf der gemalten Oberfläche einer Kaffeetasse!
Kunterbunt und wundervoll
Letzteres Beispiel demonstriert stellvertretend und eindrücklich: The Plucky Squire sprüht nicht nur vor Fantasie und spielerischen Einfällen, es verpackt sie auch visuell stets maximal außergewöhnlich. Einmal hüpft und knobelt ihr euch durchs Innere eines Puppenhauses, besucht den Zeitreisenden in einem befreundeten Kinderbuch, und seinen magischen Bogen erhält Jot, indem er ihn von einer Elfen-Kriegerin aus einer Magic-Karte mopst.
Diese „Wirklichkeit“ des Kinderzimmers erstrahlt in einem ganz bewusst von den Entwicklern optisch stark gesetzten Kontrast zur simpel gezeichneten Welt des Märchenbuchs in atemberaubend plastischer und verschwenderisch detaillierter Pracht. Zu einem der größten Geniestreiche des Spiels gehört, dass es keine klar definierten Übergänge zwischen den beiden Realitäten gibt, sondern die eine immer auch Teil der anderen ist. Befindet sich Jot in der 2D-Umgebung des Buches, so ist die reale Welt des Schreibtischs, auf dem es liegt, an deren Rändern stets erkennbar.
Die Entwickler heben den gewollten Stilbruch sogar gezielt hervor: Wenn Jot die gemalte Welt des Buchs verlässt und plötzlich auf den Seiten steht, von denen er eben noch selbst ein Teil war, dann ist diese zwar immer noch vollständig sichtbar, wird aber grafisch ein Bestandteil der äußeren Welt, reflektiert etwa technisch aufwändig deren Lichtquellen und lässt dadurch gar die einzelnen Poren des Papiers erkennen, aus denen sie besteht. Überhaupt fällt die grafische Qualität mit all ihren Details und hübschen Effekten außerordentlich hoch für ein derartiges Indiespiel aus.
Es macht allein schon pure Freude, die Fantasie zu bestaunen, mit der sie erstellt wurde. Da liegen allenthalben Scheren, Spitzer und Radiergummi als Hindernisse im Weg und wurden ganze Dschungellandschaften aus Bauklötzen und Holzspielsachen gebaut. Geradezu magisch ist auch der Moment, als Jot vor einer Pausenbrotdose mit seinem eigenen Abbild als Merchandise-Artikel steht.
Die Entwickler scheuten nicht einmal die Mühe, nicht bloß das Kinderzimmer selbst als Schauplatz zu modellieren, sondern auch seine komplette Nachbarschaft mit Häusern und Gärten, die immer mal wieder andeutungsweise durchs Fenster in der Ferne zu sehen ist und dergestalt von beinahe schon philosophischer Tragkraft gewahr macht, dass dieses wirkliche Universum so unendlich größer ist, als sie sich ein Wicht wie Jot auch nur annähernd vorzustellen vermag.
In solcherlei Momenten ruft The Plucky Squire regelmäßig Erinnerungen an It Takes Two wach, an dessen überragende Qualität es allerdings nicht ganz heranreicht. Dafür sind dann in der Fülle an spielerischen Ideen nicht alle ganz bis zum Ende durchdacht und ausgefeilt, fühlen sich die Kämpfe auf Dauer zu plump und einförmig an und hätten die Entwickler der einen oder anderen pfiffigen Idee noch das letzte genialische i-Tüpfelchen aufsetzen dürfen. Mancher Moment kann zwischendurch auch schon mal nerven.
Auch bei seiner anvisierten Zielgruppe wirkt The Plucky Squire stellenweise merkwürdig wankelmütig. Ganz eindeutig richtet sich das Spiel an Jung und Alt gleichermaßen, was nicht nur an der eigenwilligen Eindeutschung des Titels als Der kühne Knappe erkennbar ist, sondern auch an den mitunter verschrobenen Dialogtexten, die ganz offensichtlich den legendär verwegenen Übersetzungen manches Nintendo-Klassikers nachempfunden sind. Wenn dann aber plötzlich die Panzer auffahren und der Bösewicht seine Soldatenarmee in die Schlacht ums Schloss schickt, wirkt der martialische Tonfall des kühnen Knappens nur noch bedingt kindgerecht.
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