Test - The First Descendant : Die Konkurrenz für Destiny, Division und Co.?
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In einer fernen Zukunft kämpft die Menschheit auf dem Planeten Ingris mit letzter Kraft gegen die außerirdischen Invasoren namens Vulgus, die unter ihrem Anführer Karel alles platt machen wollen. Der Plot kommt einem irgendwie bekannt vor. Das Design der Kreaturen wirkt auf mich, als hätten Destiny und Gears of War ein paar echt hässliche Kinder in die Welt gesetzt. Natürlich schwingen sie alle dicke Wummen, die entweder Laserstrahlen, Raketen oder Granaten verschießen. Ihnen gegenüber steht die letzte Hoffnung der menschlichen Rasse, die namensgebenden Descendants: Als Nachfahren uralter Krieger schlagen sie mit Schusswaffen und mächtigen Spezialkräften zurück, die beispielsweise auf Eis oder Feuer basieren.
Das futuristisch-militaristische Design von The First Descendant erinnert an einen Mix aus Destiny und Warframe. Gerade die Hub-Stadt Albion könnte direkt aus einem der beiden Titel stammen. Die eigentliche Spielwelt besteht aus mehreren Gebieten, die im Rahmen der Kampagne schrittweise freigeschaltet werden. Waldgebiet, Sumpfland, Ödnis und mehr bieten diverse Haupt-, Neben- und Sammelmissionen, die mal in Gebäuden, mal in Höhlen und häufig unter freiem Himmel stattfinden. Inhaltlich gibt es kaum Unterschiede: Entweder müssen Daten geborgen, Bereiche verteidigt oder schlicht Gegner abgeknallt werden. Auf eine Handvoll dieser Aufgaben folgt in der Regel ein Dungeon samt Boss. Danach geht alles von vorne los.
Nein, das Grundprinzip des Looter-Shooters ist alles andere als neu. Entwickler Nexon Games vertraut auf praktisch alle Mechaniken und Systeme, die Destiny, The Division und Co. bereits vor Jahren im Genre etabliert haben. So ziemlich jeder Gegner lässt nach seinem Ableben Loot in unterschiedlichen Farben fallen, der sich in Waffen und die Attribute stärkende Module unterteilt. Parallel dazu hagelt es jede Menge Erfahrungspunkte und Stufenaufstiege. Der Grind ist stark in diesem Spiel, sogar sehr. Aber dazu später mehr.
Ballern, sammeln, verbessern
Eingebettet ist die Jagd nach Beute in eine Story, die sich um mächtige Artefakte namens Eisenherzen dreht. In den Händen der Menschen könnten sie die Portale schließen, durch welche die Vulgus nach Ingris kommen – und damit den Krieg beenden. Bekämen allerdings Karel und seine Leute die Teile in ihre Finger, würden sie das genaue Gegenteil anstellen und noch mehr Truppen entsenden.
Drumherum passiert noch einiges mehr, doch wird das bereits früh im Spiel durch zu viele Charaktere und halbgare Handlungsbögen unübersichtlich gemacht. Quasi jede Mission der Kampagne ist mit (teils langen) Gesprächen verknüpft, die ich bereits nach kurzer Zeit lediglich überfliege. Wieder fühle mich an Destiny erinnert, das seine Geschichte seit Jahren zu ausufernd rüberbringt und damit allein erreicht, dass ich vor lauter Namen und Ereignissen längst nicht mehr durchblicke. The First Descendant geht einen ähnlichen Weg, weil es mir in zu kurzer Zeit zu viel an den Kopf wirft.
Was leider nicht dazugehört, ist eine solide Einführung in die Spielmechaniken. Klar, wie ich schieße, springe und laufe, kriege ich ohne Hilfe raus. Waffen und ihre Wirkungen, die konkreten Effekte der vier Descendant-Spezialfähigkeiten oder das Pro und Contra der Zusatzmodule zu erklären, wäre jedoch sinnvoll gewesen. Selbst ich, der sehr viel Zeit in den Welten von The Division und Destiny verbracht hat, braucht eine Weile, um die Stärken und Schwächen meines Tanks Ajax zu verstehen und den Kerl entsprechend sinnvoll einzusetzen. Mit Energieschild, schützender Kuppel, Stoßangriff und Bodenstampfer steht die Verteidigung im Mittelpunkt. Passend dazu fallen bereits die Grundwerte im Bereich Schild- und Lebensenergie relativ hoch aus.
Schnell merke ich, dass Ajax' Widerstandskraft sehr hilfreich ist. Die Feinde überzeugen nicht durch Cleverness, sondern durch schiere Masse. Ausgefeilte Taktiken braucht es nicht, sondern hauptsächlich das Schießen auf Schwachpunkte wie Körpermitte oder Kopf. Oftmals reicht eine Salve aus dem Sturmgewehr oder ein Treffer mit der wuchtigen Pistole, schon zerlegt es das Monster oder den Roboter in seine Bestandteile. Größere Kaliber verfügen über Schilde, die erst heruntergeschossen werden wollen. Aber auch das klappt in den ersten Stunden flott.
Kein Kampf für Solisten
Ziemlich bald zieht der Schwierigkeitsgrad jedoch an. Besser gepanzerte Gegner, Scharfschützen mit satter Durchschlagskraft und anderes Pack setzen mir teils kräftig zu. Im Solo-Modus geht es nach dem Ableben zurück zum letzten Checkpoint, der meist nicht weit entfernt liegt. Dennoch scheitern einige Missionen, weil die Respawns begrenzt sind oder das Zeitlimit abläuft. Manche besonders lohnenswerte Einsätze kriege ich allein nur mit Mühe und Not geschafft, zumal Gegner häufig direkt neben meinem Kämpfer spawnen – fair ist anders.
Richtig zäh gestalten sich schließlich die Bosskämpfe: Wenn nach knapp 20 Minuten Dauergeballer mein Krieger am Boden liegt und damit jeglicher Fortschritt futsch ist, schießt nur noch eins: mein Frustpegel nach oben. Ab dem dritten Dungeon wirkt das wie eine Art Stoppschild, auf dem steht: Ab hier geht’s nur im Team weiter! Dank Cross-Play über alle Plattformen hinweg und einer schnellen Spielersuche ist das zum Glück kein Problem. Allerdings verkehrt sich die Situation damit ins Gegenteil.
Zu viert nehmen wir die vermeintlichen Brocken entspannt auseinander. Dabei läuft nicht viel anders als im sonstigen Spiel. Wir müssen zwischendurch lediglich einen Schild durch Angriffe auf seine Schwachstellen zerstören, danach darf der Boss wieder nach Herzenslust mit Blei vollgepumpt werden. Nebenher strömt reichlich Kanonenfutter ins Kampfgebiet, mit dem unsere Maschinenpistolen, Gewehre und Granatwerfer leichtes Spiel haben.
Wie es anspruchsvoller geht, zeigen die Auseinandersetzungen mit den Kolossen. In speziellen Arenen warten die turmhohen, stark gepanzerten und schwer bewaffneten Kreaturen. Allein habe ich nahezu keine Chance gegen diese Giganten, also gehe ich direkt mit Unterstützung rein. Im Team lassen sich gezielt Teile der Panzerung abschießen und danach die offenen Schwachstellen bearbeiten. Per Enterhaken geht es sogar auf Tuchfühlung mit den dicken Brocken, um ihnen im Nahkampf weh zu tun. Auch visuell gefallen die Kreaturen: Vom futuristischen Kampfläufer über eine Frau aus Metall bis hin zum Ritter mit Riesenschwert reicht das Angebot.
Eine Technik, die nicht recht begeistert
Das Waffenhandling und die Trefferrückmeldung in The First Descendant sind insgesamt ordentlich. Ich kriege somit alles klein, was kleinzukriegen ist. Aber die Action fühlt sich längst nicht so präzise und wuchtig an wie in The Division 2, ganz zu schweigen vom Gunplay-König Destiny 2. Gerade Präzisionsgewehre verziehen mitunter kräftig und machen es schwer, punktgenaue Treffer zu landen. Auf der PS5 kam in den ersten Tagen noch eine höchst instabile Bildrate dazu. Im Modus “Leistung” schaffte das Spiel die angepeilten 60 FPS nur, wenn nichts passierte. Sobald mehrere Gegner oder Gebäude auftauchten, fiel alles auf 30 Bilder pro Sekunde oder darunter ab. Inzwischen läuft der Shooter im genannten Modus besser, jedoch selten flüssig über den Bildschirm.
Auf dem PC macht The First Descendant auf den ersten Blick eine gute Figur und ist mit einigen Schmankerln ausgestattet. Ray-Tracing ist ebenso vorhanden wie NVIDIA Ray Reconstruction und auch bei den Upscaling-Technologien haben die Entwickler nicht gespart. AMD FSR steht ebenso zur Auswahl wie Intel XeSS und NVIDIA DLSS mit Frame Generation. Genug Optionen, um die Framerates ordentlich anzukurbeln. Das funktioniert aber nicht immer gut: In einigen Abschnitten der Areale traten immer wieder massive Einbrüche der Bildrate auf, selbst mit einer RTX 4090. Vermutlich liegt der Fehler beim Ray-Tracing, das bereits bei der PS5-Beta ein Garant für Abstürze war. Auf der Sony-Konsole existiert die Option aktuell zwar noch, kann allerdings nicht aktiviert werden.
Dank 4K-Auflösung und HDR-Unterstützung sehen Welten, Nachfahren und Vulgus über alle Plattformen hinweg gut aus. Besonders die Gebiete machen dank ihrer Architektur und Größe etwas her, auch wenn abseits der eigentlichen Missionen wenig los ist. Nachladende Texturen und Schwächen in Sachen Detailauflösung machen sich jedoch häufig bemerkbar, ebenso hakelige Animationen oder kurze "Hänger" bei manchen Kollisionen mit Gegnern und Objekten. Zusammenfassend lässt sich sagen: Wer nicht allzu genau hinschaut, dürfte zufrieden mit der Grafik sein.
Der Shop hat geöffnet
Lediglich zehn Stunden Spielzeit braucht es, bis ich den ersten Anflug von Müdigkeit verspüre. Ja, das Grundprinzip funktioniert: Praktisch jeder Abschuss und jede abgeschlossene Mission bringt meinen Charakter einem weiteren Stufenaufstieg näher. Neben vielen kleinen Wertverbesserungen gehören dazu auch zusätzliche Plätze für Module, die den kritischen Schaden erhöhen, die Schildkapazität steigern oder schlicht mehr Munition im Magazin erlauben. Grundsätzlich kann ich meinen Tank in verschiedene Richtungen entwickeln und bereits während der Kampagne viel Zeit mit Feintuning verbringen. Allerdings trüben einige Faktoren die Lust aufs Anpassen und Ausprobieren erheblich.
Obwohl ich andauernd neue Waffen und Gegenstände erhalte, verändert sich mein Krieger äußerlich kein Stück. Schießprügel unterscheiden sich hauptsächlich in ihren Werten voneinander. Die Anzahl der Modelle bleibt dagegen überschaubar und optisch unspektakulär. Während sich die Waffen in Destiny 2 sichtbar voneinander abgrenzen, kann ich bei The First Descendant nur mit Mühe erkennen, ob meine Figur die Maschinenpistole “Blaue Blüte” oder das Sturmgewehr “Unheilvoller Hund” in den Händen hält. Dabei schreien solche illustren Namen geradezu nach einer ausgeflippten Aufmachung!
Dass es so wenig zu sehen gibt, hängt maßgeblich mit dem Finanzierungsmodell des Looter-Shooters zusammen: Neue Skins, Abzeichen oder Emotes erhalte ich fast ausschließlich über den kostenpflichtigen Pfad des Battle Pass (knapp 10 Euro) oder per direktem Kauf im Shop. Mit etwa 2,50 Euro für einen Helm und rund 15 Euro pro Premium-Charakter-Skin fallen die Preise alles andere als billig aus. Wer den Grind beschleunigen möchte, darf außerdem verschiedene Boosts für Erfahrungspunkte erwerben. Zum Glück existiert (aktuell) kein PvP-Modus, bei dem das für unfaire Vorteile sorgen könnte.
Ebenfalls gegen Euro zu haben sind weitere spielbare Descendants wie Heiler oder Unterstützer – damit erspart man sich das zeitaufwendige Crafting der Figuren im Spiel. Waffen und Module im Inventar dürfen alle Nachfahren benutzen. Jedoch müssen Kernattribute wie Lebensenergie und Schild pro Charakter aufgelevelt werden, was erneut reichlich Zeit frisst. Ungleich flotter geht das selbstverständlich, wenn ich meinem neuen Nachfahren einen kräftigen EP-Boost aus dem Shop verpasse. Und für ein paar Euro zusätzlich lässt sich gleich noch die Zeit verkürzen, die für das Erforschen (oder Herstellen) einer besonders starken Ultimate-Waffe benötigt wird.
Nexon hat frühzeitig und offensichtlich meine Geldbörse im Visier, und das stößt mir sauer auf. Damit werden nämlich Faktoren blockiert, die für wenigstens etwas spielerische Abwechslung sorgen. Bis ich einen zweiten oder gar dritten Charakter auf spielerischem Weg "hergestellt" und hochgestuft habe, vergehen viele Stunden, wenn nicht gar Tage. Zudem dient es als dreiste Streckung der Spielzeit, denn bis auf den puren Grind hat The First Descendant aktuell wenig anzubieten.
Tanz mit dem Koloss
Eine Weile spiele ich eine Kampagnenmission nach der anderen und komme problemlos voran. In der offenen Welt nehme ich automatisch an laufenden Missionen teil, sobald andere Descendants in der Nähe sie bereits gestartet haben. Das erleichtert den Fortschritt, weil auch schwierige Aufgaben in der Regel rasch erledigt sind. Teilweise rauscht meine Truppe im Affenzahn durch Dungeons und legt den Boss, als wäre es irgendein Hampelmann aus dem Startgebiet.
Das Zusammenspiel unterschiedlicher Descendants macht dabei viel aus: Wenn einer mit seinen Eiskräften die Gegner bewegungsunfähig macht und der nächste sie per Granatwerfer abräumt, kommt durchaus Freude auf. Das Potenzial für einige spaßige Stunden ist auf jeden Fall vorhanden, sofern man primär mit Freunden im Team unterwegs ist und verschiedene Klassen spielt – sofern man sie denn zur Verfügung hat.
Nach etwa 15 Stunden folgt der erste echte Härtetest fürs Teamplay. Es wartet ein Koloss, der rund 14 Level über meinem Ajax liegt. Anfangs zerlegt uns die “Leichenbraut” innerhalb kürzester Zeit. Letztere ist auf zehn Minuten begrenzt, noch knapper fallen die Respawns aus – lediglich drei stehen der ganzen Truppe zur Verfügung. Geht das Squad kollektiv zu Boden, ist die Mission praktisch schon erledigt.
Erst einige Fehlversuche später bemerken wir, dass unsere Truppe nicht etwa zu schwach, sondern falsch ausgestattet ist. Defensiv braucht es ausreichenden Widerstand gegen die Kälte-Kraft der “Leichenbraut”, offensiv das genaue Gegenteil, nämlich Feuerschaden. Zudem müssen wir Abstand halten und konsequent die Schwachpunkte bearbeiten, idealerweise aus sicherer Entfernung. Mit dieser Taktik rückt der Sieg langsam näher, bis die Braut endlich umfällt. Ein tolles Gefühl und eine echte Teamleistung!
Die Suche nach dem Besonderen
Abgesehen von den Kolossen mangelt es jedoch eklatant an Abwechslung und Herausforderung. Mit einer halbwegs fähigen Truppe werden normale Missionen und Bosse im Eiltempo abgefrühstückt. Dazwischen verbringe ich reichlich Zeit im Menü: Bestimmt 80 Prozent der gesammelten Beute werden schlicht entsorgt, weil die Werte Schrott sind. Einen konkreten Nutzen aus den dadurch gewonnenen Bauteilen ziehe ich nicht, weil es im Verlauf der Story wenig Sinn macht, an den Werkbänken die Ausrüstungsteile zu verbessern – spätestens fünf Minuten später habe ich bereits etwas Besseres gefunden. Zudem erfordert jedes Upgrade spezielle Materialien, die nur in ganz bestimmten Einsätzen vorkommen, noch dazu mit einer geringen Wahrscheinlichkeit.
Und sonst? Tja, das ist es eben: The First Descendant fehlt das Besondere, das gewisse Etwas, die eigene Note. Die Missionen im letzten Drittel der Kampagne ziehen in Sachen Schwierigkeitsgrad an, weil sie mich mit Gegnern konfrontieren, die via Gift oder Kälte großen Schaden verursachen – es braucht also den passenden Schutz. Spielerisch tut das jedoch nichts zur Sache, denn am Ende wird genau so stupide gerannt und geballert wie zuvor.
Im Endgame ändert sich an diesem Ablauf herzlich wenig. Es warten unter anderem höhere Schwierigkeitsgrade, neue Waffen und die Infiltrationen. Im Vorfeld dieser Einsätze kann ich beispielsweise die Lebensenergie meines Nachfahren reduzieren oder die der Vulgus erhöhen. Als Belohnungen winken hochwertige Gegenstände und Crafting-Items, um meinen Charakter fortwährend zu optimieren und auch neue Build-Optionen stehen zur Verfügung. Kurzum: Grind, Grind und nochmal Grind!
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