Special - Kolumne: Die Strategie der Gewalt - Gewalt in Strategie-Spielen : Special
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Wir sind tagtäglich von dermaßen viel Gewalt umgeben, dass es kaum ein Wunder ist, wie diese auch in sämtlichen Bereichen unseres kulturellen (und subkulturellen) Lebens präsent ist. Nein, kein weiterer Erguss zum Thema „Killerspiel-Diskussion“, nur ein paar Gedanken zum Thema Gewalt.
Es gibt Dinge, die sind so alltäglich, dass sie einem nur auffallen, wenn man mit dem Holzhammer darauf hingewiesen wird. Manchmal ist dies der Holzhammer der Dummheit und Ignoranz. So geschehen bei der von den Herren Beckstein und Schünemann losgetretenen, unsäglichen Diskussion um "Killerspiele" – meine Open-Office-Rechtschreibprüfung kennt dieses Wort nicht, und das bleibt hoffentlich auch so! Egal, wie dumm diese Diskussion auch sein mag (und das ist sie), berührt sie doch einen Punkt (und zwar einen wunden), in dem sie zum einen herumbohrt und von dem sie andererseits auf perfide Weise abzulenken versucht: Gewalt!
Wir sind tagtäglich von dermaßen viel Gewalt umgeben, dass es kaum ein Wunder ist, wie diese auch in sämtlichen Bereichen unseres kulturellen (und subkulturellen) Lebens präsent ist. Und als Spiegelbild dieses Lebens sind selbstverständlich auch alle Medien durchtränkt von Gewalt. Ob nun Musik, Bücher, Filme oder Spiele, die Bandbreite reicht vom kritischen Umgang damit bis zum reinen Zelebrieren. Doch wie schon Roger Myers jr., der Produzent der extrem gewalttätigen 'Itchy and Scratchy'-Cartoons bei den 'Simpsons' erstaunt festgestellt hat: "Gewalt gab es schon in der Vergangenheit, lange bevor der Trickfilm erfunden wurde!"
Richtig, die menschliche Geschichtsschreibung trieft geradezu vor Blut! Aber auch Gewalt in Verbindung mit Unterhaltung hat eine lange Tradition. Eins der bekanntesten Beispiele hierfür sind die berüchtigten Zirkus-Spiele im alten Rom. Doch nicht alle gewalttätigen Spiele sind zwangsweise so tödlich. Häufig kommt die Gewalt eher subtil daher, wie zum Beispiel beim Cowboy-und-Indianer-Spiel (oder was immer die Kids auch heute – wahrscheinlich politisch korrekter – spielen) oder dem guten, alten Brettspiel 'Risiko'.
'Risiko' ist ein gutes Beispiel, weil es zum einen weniger offensichtlich mit Gewalt zu tun hat – vor allem seit das "Erobern" anderer Länder im Regelwerk durch deren "Befreiung" ersetzt wurde – und auf der anderen Seite spielerisch ein Thema aufbereitet, welches den Gipfel sinnloser Gewalt darstellt: den Krieg! Die Perversität dieses Widerspruchs bringt der Film 'Wargames' (sic) am besten und kritischsten auf den Punkt: Die spielerische Theorie von Strategie und Taktik fordert in der Praxis ganz reale Menschenleben.
Denn das war auch immer Sinn und Zweck des virtuellen Kriegspielens: das Erlernen bestimmter Regeln und Verhaltensweisen, um letztendlich der Gewinner zu sein. Auf die Spitze getrieben wurde dieses Prinzip in der so genannten MAD-Doktrin (ein wirklich guter Wortwitz, oder?) des Kalten Krieges, der "mutual assured destruction" (wechselseitig zugesicherte Zerstörung), die darauf aufbaut, dass, selbst wenn der Gegner zuerst angreift, man immer noch in der Lage ist, diesen auch komplett zu vernichten. Diese Theorie hat, soweit ich weiß, interessanterweise nie Eingang in irgendwelche Strategiespiele gefunden.
Ein Grund dafür ist wahrscheinlich einfach der, dass aktuelle Strategiespiele tatsächlich weit von unserer erlebten Realität entfernt sind. Denn in der Wirklichkeit der allermeisten von uns gibt es keinen Krieg. Wenn dem so wäre, hätten wir wohl kaum die Muße, unsere Zeit mit Spielen zu verbringen (obwohl Kinder genau das wohl zu allen Zeiten getan haben, aber das sind natürlich ganz andere Spiele).
Spiegeln Strategiespiele also nicht unsere Wirklichkeit wider? Oh doch, das tun sie sehr wohl! Aber in den meisten Fällen handelt es sich um – mehr oder weniger akkurat wiedergegebene – geschichtliche Realität ('Civilization') oder um Fiktion ('Command & Conquer'), die zumindest erzählerische Kernelemente der Realität enthält. Und in dieser Form sind Strategiespiele das, was sie schon seit dem Klassiker Schach sind: Spiele, die Intelligenz und Phantasie fordern und fördern.
Besonders bemerkenswert bei den meisten komplexen Strategietiteln ist die Tatsache, dass Gewalt und Vernichtung zwar ein Teil der Strategie sein können, aber nicht müssen. Vor allem Optionen wie Kooperation und Diplomatie führen häufig eher zum Ziel als rein kriegerisches Handeln. Damit sind diese Spiele zwar nicht unbedingt pazifistisch, bieten aber Alternativen, Gewalt zumindest weitgehend zu vermeiden.
Das gilt natürlich nicht für alle Strategiespiele. Eine ganze Menge Spiele setzen immer noch auf rein kriegerische Lösungen. Meistens einfacher gestrickt, schneller zu erlernen und vor allem wesentlich massenkompatibler. Die Industrie freut es, denn das große Geld lässt sich, neben den unglaublich lukrativen Waffenverkäufen an Krieg führende Länder, zunehmend auch mit der Vermarktung unterhaltsamer Formen von Gewalt verdienen.
Zudem hat sich im Laufe der Jahre aus den rein kriegerischen Strategietiteln fast zwangsläufig ein Sub-Genre entwickelt, das wie kein zweites für Gewalt in Computerspielen steht: der Ego-Shooter. Woher er kommt, wohin er geht und warum er so erfolgreich ist, beleuchten wir im nächsten Teil der Kolumne zum Dauerbrennerthema Gewalt etwas genauer. In diesem Sinne:
Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein, wenn sie Doktor Bob sagen hören: "Friss Blei, du verdammter Zombie!"
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