Special - Kein Ende der Magie : Sie ist noch da, Kollege Ilyass
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Als Kollege Ilyass gesern den „Verlust der Magie“ zum Thema eines Artikels machte, brachte er mich tatsächlich zum Nachdenken, unser Jungspund mit der romantischen Ader. Insbesondere, weil ich in den letzten beiden Jahren ziemliche Abnutzungserscheinungen bei meiner Begeisterung für Videospiele bemerken musste. Vielleicht hat es mir ganz gutgetan, dass ich aufgrund unseres Projektes Relaunch mal ein halbes Jahr kaum Zeit oder Energie hatte, mich vor PC oder Konsole zu hocken und zu zocken. Auf jeden Fall bin ich zu einem Ergebnis gekommen.
Ein bisschen hat er ja recht, der liebe Ilyass, mittlerweile bekommen wir wirklich unzählige Bilder und Informationen, bevor ein Spiel überhaupt auf dem Markt ist. Stört mich aber nicht. Zum einen zwingt mich niemand, mir das alles anzuschauen. Okay, ich muss es ja quasi berufsbedingt, also gehen wir für dieses Statement kurz davon aus, ich wäre ein Otto Normalzocker. Zum anderen ist mir in den meisten Fällen ohnehin recht schnell klar, was mich erwartet. Denn, mal ehrlich, viel Neues und Überraschendes hat die Spielewelt der letzten Jahre nicht zu bieten. Und ich bin lange genug im Geschäft, um recht genau zu wissen, wie die Blaupausen der Entwickler (oder besser: der Publisher) aussehen.
Das kann durchaus mal für eine gewisse Abstumpfung sorgen. Jeder, der viel und bereits lange spielt, kann das sicher nachvollziehen. Aber dass deswegen die Magie flöten gegangen ist? Ich glaube nicht. Sie ist nur woanders und man muss ein bisschen öfter danach suchen. Seit Pong, dem ersten kommerziell erfolgreichen Videospiel, sind über 40 Jahre vergangen und in der Zeit hat sich einiges getan. So wie auch in anderen, vor allem technischen Bereichen, in denen eine ganz ähnliche Entwicklung vonstattenging. Man denke an die Entwicklung vom ersten stotterigen Schwarzweißfilm hin zum High-Resolution-3-D-Film heute. Oder vom klapprigen ersten Automobil zu den Hightech-Karossen, die heutzutage über die Autobahnen düsen. Stand man anfangs noch staunend da, ist vieles zur Selbstverständlichkeit geworden und wird auch so wahrgenommen.
Früher war alles … anders
Damals, zu Zeiten der ersten Home Computer und Konsolen, war die Magie quasi alltäglich. Sie trat einem kräftig in die Fresse, man musste nicht danach suchen. Nahezu jedes neue Spiel hatte etwas Neues zu bieten. Wie denn auch nicht, vorher gab es noch keine Adventures, Rollenspiele und das alles. Immer wieder saß man mit strahlenden Augen vor seiner Neuerwerbung und erfreute sich daran, dass schwarze Klötzchen über den Monitor taumelten, Pixelmännchen durch die Gegend stiefelten. Man gab Texte in einen Parser ein und mit etwas Glück passierte dann sogar etwas. Pure Magie. Ungläubig bestaunte man, was auf einmal alles möglich war.
Die Entwicklung ging weiter, es kamen immer neue Geräte, technisch aufwendiger, leistungsfähiger. Die ersten 3-D-Karten läuteten eine Revolution ein. Jedes neue 3-D-Spiel kloppte einen vom Stuhl, es entstanden ganz neue Welten, neue Genres, neue Spielmechaniken. Noch mehr pure Magie. Die Spielebranche begann zu boomen. Aber: Werkelte in der Steinzeit der Spielentwicklung noch eine Handvoll Geeks in der heimischen Garage an den Spielen, musste jetzt mehr Personal her. Die neuen Möglichkeiten und der wachsende Zuspruch der Spieler verlangten immer aufwendigere Produktionen. Vorbei die Zeiten, als man in der Mittagspause mal schnell ein paar Sprites bastelte. Nun mussten ganze Level und Welten aus Polygonen her.
Der Zwang zum Erfolg
Damit begann natürlich auch der Zwang, Spiele kommerziell erfolgreich zu machen. Konnte ein Team aus zwei Leuten seinerzeit noch ein Spiel neben der normalen Arbeit herstellen, mussten nun 20 oder mehr Vollzeitbeschäftigte her. Und wie es so kommt: Wenn etwas kommerziell erfolgreich sein muss, schaut man sehr genau hin, was den Kunden gefällt und was nicht. Die Notwendigkeit für Erfolgsrezepte war geboren, die immer wieder von anderen Entwicklern aufgegriffen wurden. Als irgendjemand erfolgreich einen First-Person-Shooter entwickelte, stürzten sich sogleich andere auf das Genre. Als Militär-Shooter erfolgreich wurden, adaptierten und kopierten andere Studios. Abgesehen davon ist die technische Kurve abgeflacht. Über Jahre gab es nur ein Thema: mehr Leistung. Für die eigentlichen Spielmechaniken wurde sie aber kaum genutzt, nur für die Darstellung.
Mittlerweile sind es statt ein paar Tausend etliche Millionen Spieler, die sich mit unserem Lieblingshobby beschäftigen. Eine komplette Industrie ist daraus entstanden, die sogar die Multi-Millionen-Dollar-Filmindustrie blass aussehen lässt. Einzelne Entwickler beschäftigen Hunderte, ja, Tausende Mitarbeiter. Die Entwicklungskosten dieser Firmen bieten keinen Raum mehr für Experimente und kommerzielle Misserfolge. Also richtet man sich nach dem, was die breite Masse will, und adaptiert erfolgreiche Konzepte so lange, bis die Verkaufszahlen signifikant sinken. Warum auch nicht, es funktioniert ja, selbst die ausgelutschteste Serie findet immer noch genug Abnehmer. Die „Industrieware“ beherrscht die Charts.
Und wo ist sie nun, die olle Magie?
Doch ist damit die ganze Magie verloren gegangen? Nein, ich denke, sie hat sich verlagert. Ist manchmal etwas schwerer zu finden. Vielleicht weil sie sich unter der schieren Menge und dem Marketing-Tamtam versteckt. Und weil die Videospielewelt so viel umfang- und facettenreicher geworden ist. Aber sie ist noch da. Selbst Blockbuster haben ihre magischen Momente. Ich erinnere mich an mein breites Lächeln, als ich das erste Mal mit Altair das Mittelalter erleben durfte. Als Joel und Ellie sich durch eine Apokalypse wagten. Als Drachen über meinem Haupt in Skyrim schwebten und ich in der Welt versank. Als ich mit angespannten Nerven durch die Tunnel unter Moskau schlich. Oder als ich meine erste Tauchfahrt nach Rapture antrat. Wenn ich Entwickler treffe, die keine PR-Worthülsen von sich geben, sondern gar nicht aufhören können, begeistert wie ein kleines Kind von ihrem neuen Spiel zu erzählen.
Die Magie der Videospiele hat den Kampf gegen Industrie, Massenmarkt und Technik noch nicht verloren. Aber es liegt an uns, beim Konsumieren der Spiele vielleicht ab und zu mal einen Moment innezuhalten, alle Objektivität und Selbstverständlichkeit fallen zu lassen und sich einfach mal Zeit zu nehmen, zu genießen und die Magie wiederzuentdecken. Einfach, damit wir nicht abstumpfen und im besten Falle noch die rosarote Nostalgiebrille auspacken, nur um zu sagen, dass früher alles besser war. Denn das stimmt nicht. Es war nicht besser. Nur anders. Und einfacher. Denn damals stand die Magie noch mit breiter Brust vor uns. Heute müssen wir sie selbst entdecken.
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