Test - Silent Hill 2 Remake : Test: Ein erschreckend gutes Remake
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Nach diversen Resident-Evil-Teilen ist nun mit Silent Hill die andere Grand Dame des Survival-Horrors für ein Remake fällig. Entwickler Bloober Team (Blair Witch, The Medium) hat sich der Aufgabe gewidmet, den zweiten Teil der Reihe in modernem Gewand neu aufzusetzen. Doch schon nach den ersten Bewegtbildern im Trailer hagelte es Kritik für das unpassende Design der Figuren, steife Gesichtsanimationen und den Fokus auf Action statt auf die bedrückende Atmosphäre im nebelverhangenen Silent Hill. Wie sieht es aber im fertigen Spiel aus?
Man kann es den Fans von Silent Hill 2 kaum übel nehmen, wenn sie einer Neuauflage mit einer ordentlichen Portion Misstrauen begegnen. Immerhin gab es mit dem HD-Remake 2012 bereits einen eher mäßigen Versuchen, das Spiel in die (damalige) Neuzeit zu holen. Damals machten fehlender Original-Code, vermasselte Texturen und Bugs dem Spielspaß einen Strich durch die Rechnung.
Für das Remake von Bloober Team sollte all das aber ja eigentlich keine Rolle spielen. Gehört die neueste Version von Silent Hill 2 also auf den Stapel der Remake-Schande zu Titeln wie Warcraft 3: Reforged, oder darf es sich zu den gelungenen Kollegen wie Dead Space und Final Fantasy VII stellen?
Absenderin unbekannt verzogen
Den Auftakt zur Geschichte von Silent Hill 2 macht ein Ereignis, das vielen heutzutage Angst einjagt und deswegen immer seltener vorkommt: James Sunderland bekommt Post. In diesem Falle handelt es sich aber nicht um Werbung oder eine zweite Mahnung, sondern ein eigentlich äußerst erfreuliches Schreiben seiner Frau Mary.
Sie bittet ihn um ein Treffen in der Kleinstadt, in der die beiden vor Jahren gemeinsam einen wunderschönen Urlaub verbracht haben. Problem daran ist nur, dass Mary bereits vor drei Jahren nach langer Krankheit verstorben ist und Tote ja bekanntlich eher selten Briefe schreiben.
Mit einem Funken Hoffnung, dass seine Frau vielleicht doch noch irgendwie am Leben ist, macht sich James also auf den Weg nach Silent Hill. Leider hat sich Mary nicht besonders genau ausgedrückt, wenn es um den Treffpunkt in der Stadt geht. Sie wartet auf James an ihrem “besonderen Ort”, doch James hat keine Ahnung, welchen Ort sie damit meint. Der Park am See vielleicht, an dem sie einen ganzen Tag verbracht und dabei einfach nur aufs Wasser gestarrt haben?
Bei seiner Ankunft stellt James fest, dass etwas in Silent Hill nicht mit rechten Dingen zugeht. Die Stadt ist menschenleer, die Gebäude sind verbarrikadiert, riesige Straßensperren verhindern das Vorwärtskommen und taumelnde Monster patrouillieren auf den Straßen. Und dann ist da noch dieser mysteriöse Nebel, der einen kaum weiter blicken lässt als es die Rechenleistung einer Playstation 2 zulassen würde. Doch angetrieben von seiner Liebe zu Mary bewaffnet sich James mit dem nächsten Holzbrett und macht sich auf die Suche nach seiner Frau.
Das stille, ortsansässige Böse auf dem Hügel
Die Silent-Hill-Reihe gehört zusammen mit Resident Evil zu den Spielen, die das Genre des Survival-Horrors so sehr geprägt haben wie kaum ein anderes. Bis heute finden sich in Titeln wie Alan Wake 2, Alone in the Dark oder der Dark-Pictures-Anthologie Mechaniken und Motive wieder, die seit damals fest im Genre verankert sind.
Die Gemeinsamkeiten sind offensichtlich: Die ersten Spiele beider Reihen erschienen ungefähr zur gleichen Zeit, wobei der Erfolg des älteren Resident Evil sicherlich ausschlaggebend für die Entstehung von Silent Hill war, und in beiden Fällen kämpfen wir uns in Third-Person mit Taschenlampe und Knarre durch dunkle Räume und vermöbeln dabei fiese Fleischmonster.
Tatsächlich hinkt der Vergleich mit Resident Evil allerdings so sehr wie ein Zombie, dem in die Kniescheibe geschossen wurde. Während Resi großen Wert auf Action und Kämpfe legt, die von einer teils ironisch übertriebenen Zombie-Story zusammengehalten werden, liegt die Stärke von Silent Hill eher im Ambiente und den leisen Tönen. Orientiert man sich also an der Genre-Bezeichnung “Survival-Horror”, dann verlangt Resi mehr Einsatz, um zu überleben, während der Horror in Silent Hill in der Vorstellungskraft des Spielers zu verorten ist.
Wirft man einen Blick auf die Protagonisten, dann festigt sich der Eindruck nur noch weiter. In der Resi-Reihe finden sich als spielbare Hauptcharaktere ausschließlich Polizisten, Militärs, (Elite-)Agenten oder Biowaffen mit übermenschlichen Kräften. Die einzigen beiden Ausnahmen sind Tofu (der ist halt ein riesiger Block Tofu) und Claire Redfield aus Teil 1. Letztere genoss allerdings im Vorfeld eine Spezialausbildung in allem, was ihr großer Bruder so beim Militär gelernt hat und fällt damit kaum mehr in die Kategorie “unbedarfter Zivilist”.
Anders sieht es hingegen bei den Spielen der Silent-Hill-Reihe aus. Hier sind alle Protagonisten Zivilisten ohne Kampferfahrung und Superkräfte. Der gefährlichste davon ist wahrscheinlich noch Murphy Pendleton aus Silent Hill: Downpour (Teil 5), der war wenigstens schon im Knast, wenn auch “nur” für Autodiebstahl und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Granaten oder Raketenwerfer finden sich in Silent Hill jedoch eher selten.
Unter diesem Aspekt lassen sich vielleicht sogar einige Schwachpunkte im Gameplay von Silent Hill 2 entschuldigen. Steuerung und Kampfsystem wurden zwar im Remake überarbeitet, dennoch fühlt sich James oft schwerfällig und langsam an. Gerade in engen Räumen verliert man Gegner auch gerne mal aus den Augen, vor allem, wenn sie am Boden entlang kriechen und die Kamera einfach nicht das macht, was sie eigentlich soll. Da fehlt nicht nur dem im Kampf unerfahrenen James, sondern auch uns oft der Überblick über das Geschehen. Dient also sicherlich alles nur der Immersion.
Manchmal ist ein Rohr auch einfach nur ein Rohr
Vor allem aber in der Art, wie die Geschichten erzählt werden, unterscheiden sich die beiden stilbildenden Reihen. Während die Storys bei Resident Evil zwar abgedreht und übertrieben sind, entspricht das, was man sieht, zumindest immer auch dem, was passiert. Silent Hill verfolgt dagegen eher einem psychoanalytischen Ansatz. Hier will interpretiert und diskutiert werden. Was genau vor sich geht und ob die Ereignisse (oder zumindest Teile davon) nicht ausschließlich in James’ Kopf geschehen, bleibt offen. Bis heute - 23 Jahre nach Erscheinen - gibt es bestenfalls solide Theorien über die Ereignisse im Spiel oder das Wesen von Silent Hill selbst.
Nehmen wir zum Beispiel die ersten Gegner, denen James bei seinem Besuch in der Stadt begegnet. Die taumelnden, zweibeinigen Gestalten erinnern an Menschen in Zwangsjacken und wirken ständig so, als würden sie starke Schmerzen erleiden. Auf den ersten Blick mal ein angenehm erschreckendes Monsterdesign, was sich Figurendesigner Masahiro Ito damals ausgedacht hat. Aber steckt da nicht vielleicht noch mehr dahinter?
Gängigen Theorien zufolge sind die Gestalten physische Manifestationen von James‘ Hilflosigkeit angesichts des drohenden Todes seiner Mary. Vielleicht sind sie aber auch direkt ein Symbol für das Leiden Marys in ihren letzten Tagen, die James nicht richtig verarbeiten konnte. Das Spiel selbst liefert dafür keine Antworten, und es bleibt dem Spieler überlassen zu interpretieren, welche Bedeutung aneinander genähte Frauen-Unterleibe, vollbusige, gesichtslose Krankenschwestern und natürlich der legendäre Pyramid-Head für James haben.
Doch das größte, gefährlichste und gleichzeitig undurchschaubarste Monster ist nicht der Typ mit einem überdimensionalen Schwert und einem halben Einkaufswagen auf dem Kopf, sondern Silent Hill selbst. Während in anderen Serientiteln eher menschliches Zutun die Ereignisse der Spiele auslöst, scheint vor allem in Teil 2 die nebelverhangene Geisterstadt einen eigenen Willen zu besitzen. Silent Hill reagiert auf seine Besucher, verändert sich und zieht so auch James immer tiefer in eine Spirale aus Depression, Verzweiflung und Schuldgefühlen.
Hinzu kommt, dass es nicht mal einen richtigen Antagonisten gibt. Pyramid-Head gilt zwar als Vorzeige-Bösewicht und fast schon Maskottchen von Silent Hill, ist aber weder der Endboss, noch hat er klare, eigene Motive, warum er James ans Leder will. Stattdessen kämpft dieser vielmehr gegen die Stadt an sich und (wortwörtlich) seine eigenen Dämonen. Der Rest bleibt Interpretationssache.
Gänsehaut aus der Hölle
Ganz klar ist jedoch, dass Silent Hill 2 ein verdammt gruseliges Spiel ist. In Außenbereichen sorgt der berühmte Nebel für die gewollte Angst vor dem, was man nicht sehen kann. Dabei waren die Wetterverhältnisse in Silent Hill ursprünglich ganz anders geplant, doch dann hat man festgestellt, dass die Leistung der PS2 nicht mit den gewünschten Details und der Sichtweite klarkommt. Als einfache Lösung entschied man sich schließlich für den Nebel, der begrenzt, was der Spieler sieht, und somit auch, was die Konsole berechnen muss. Beklemmung und Furcht vor dem Unbekannten waren zunächst nur ungewollte Nebenerscheinungen, die man jedoch dankend annahm und zum prägenden Stilmittel des Schreckens wurden.
Befeuert wird das Unbehagen dann noch durch die Geräuschkulisse. Permanent tippelt etwas ungesehen durch die Dunkelheit oder es stöhnt ein Monster leidklagend irgendwo in der Nähe. Hinzu kommt noch die atmosphärische Untermalung bestehend aus Herzschlägen, Atemgeräuschen oder Schritten. Da will man eigentlich fast schon die Kopfhörer absetzen und das Licht im Zimmer anschalten, aber wenn man sich dem Horror entziehen will und nicht genau hinhört, wird man eben auch schnell von Gegnern überrascht.
Plumpe Jumpscares gibt es aber nicht in Silent Hill 2, nur eine Art Gegner sorgt für ordentlich Paranoia. Die Mannequins harren nämlich vollkommen unbeweglich aus, bis wir uns nähern. Bei einem kurzen Blick in die Umgebung sind diese Monster dann nur schwer auszumachen und teilweise sind sie sogar so intelligent, sich unter Tischen oder hinter Türen zu verstecken. Dann ist es praktisch unmöglich, den Überraschungsangriffen noch rechtzeitig auszuweichen. Je nach Schwierigkeitsgrad kann das schonmal nerven und frustrieren, aber es sorgt auch dafür, dass im Kopf des Spielers irgendwann jede Ecke und jeder neue Raum potenziell tödlich sein könnte.
Spätestens, wenn James in die berühmte Höllendimension abgleitet, entspricht das auch komplett der Wahrheit. Sicherer Boden und schützende Wände weichen rostigen Eisengittern und schmutzigen Laken, auf die ein unheilvolles rotes Licht die sich windenden Schatten von schweren Industrie-Ventilatoren malt. Kalter, blutiger Stahl, halbverfallene, schimmlige Gebäude, seelenlose Maschinen - und mittendrin James Sunderland, der doch nur noch einmal seine Frau im Arm halten möchte.
Silent Hill 2 ist voll von solchen ebenso grandiosen wie verstörenden “Was zum Teufel geht denn hier ab?”-Momenten. Wo sind die Bewohner der Stadt hin? Warum sind die Gebäude allesamt verbarrikadiert und verrammelt? Wieso schlagen Krankenschwestern mit Eisenrohren nach mir? Warum pumpen da unerlässlich mechanische Kolben an der Decke? Und überhaupt: Wie in aller Welt kann eine Person einen Brief schreiben, die schon seit drei Jahren tot ist?
Nebulöse Neuerungen
All diese Fragen, der Horror und natürlich auch der Nebel sind uns auch im Remake erhalten geblieben - obwohl die PS5 sicherlich genug Leistung bringen würde, dass man nicht mehr auf dieses einst aus der Not geborene Stilmittel angewiesen wäre. Die Änderungen, die Bloober Team sich erlaubt hat, sind vorsichtig, an den richtigen Stellen und zeugen vor allem von großem Respekt vor dem Ausgangsmaterial.
Viel Gegenwind erfuhr Bloober Team ja im Vorfeld für die Grafik und das Design der Figuren. Jedoch: Die neue Mimik und Gestik stellen nichts weniger als ein wahres Highlight des Remakes dar und werten dieses gegenüber dem Original unvergleichlich auf. Kleine Zuckungen im Gesicht, ein verschmitztes Lächeln hier oder subtile Handbewegungen da geben den Figuren mehr Charakter und Leben, als es der unscharfe Pixelmatsch des Originals jemals hätte tun können. Gerade James gewinnt so noch einmal an Persönlichkeit und man erhält ein besseres Gefühl für seinen Geisteszustand. Selbst die Monster waren noch nie so detailreich und angsteinflößend wie nun im Remake.
Während die Story größtenteils unverändert geblieben ist und man sich nur an wenigen Stellen leichte Überarbeitungen gegönnt hat, wurde dankenswerterweise an einigen Rätseln geschraubt. So funktioniert das Uhren-Rätsel, bei dem wir die Zeiger einer alten Standuhr suchen müssen, um mit der eingestellten Uhrzeit dann Türen öffnen zu können, praktisch noch genauso wie vor 23 Jahren. Beim berühmten Galgenrätsel hat man sich jedoch zum Beispiel für Entschlackung entschieden. Trat dieses im Original noch reichlich spröde auf und erforderte enervierende Laufarbeit, fällt es nun geradliniger aus. Seine Essenz und Aussage blieben aber erhalten, gleichzeitig wurde eine weitere Ebene hinzugefügt. Genau so geht Modernisierung.
Zu guter Letzt verfügt Silent Hill 2 ja noch über sechs verschiedene Enden, auf die ihr durch Entscheidungen und Handlungen im Spiel Einfluss nehmen könnt. Die gute Nachricht: Alle davon haben es auch ins Remake geschafft. Die noch bessere Nachricht: Es sind zwei weitere Enden dazugekommen, die mit bestimmten neuen Sammelobjekten in Verbindung stehen. So nimmt die Geschichte des Silent Hill 2 Remakes also doch noch ein gutes Ende. Oder ein schlechtes … Oder ein mittleres … Aber auf jeden Fall ein verwirrendes.
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