Test - Mirror's Edge : Und ewig lockt der Abgrund
- PS3
- X360
Liebe kleine Faith, was hast du mir angetan? Das Herz hast du mir gebrochen, weil ich so viel Spaß und mindestens ebenso viel Frust mit dir erleben durfte. Dieser Testbericht ist absichtlich in der Ich-Form geschrieben, weil ich es für unmöglich halte, objektiv zu bleiben. Auch in der Redaktion waren die Meinungen extrem gespalten. Während ich mich immer wieder an die Konsole setzte, den Controller in die Hand nahm und wirklich viel Freude beim Spielen empfand, gab es doch regelmäßig Momente, in denen ich dich am liebsten gepackt und gegen die Wand gefeuert hätte. Chefredakteur Andreas konnte meine Faszination für dich irgendwann gar nicht mehr verstehen. Tatsache ist, dass es in jeder Beziehung einmal kriselt. Die große Aufgabe besteht dann darin, immer wieder zueinander zu finden.
Geniales Spielkonzept
Konzeptionell hat Entwickler Dice bei Mirror's Edge recht wenig falsch gemacht. Aus der Ich-Perspektive eine Mischung aus Jump'n'Run- und Action-Spiel zu erleben, hat etwas für sich. Alles wirkt intensiver und versetzt euch quasi in einen Adrenalinrausch. Ich steuere nicht einfach nur eine Figur, sondern bin selbst ein Teil des Ganzen, werde in die Handlung vollkommen eingebunden und in das Geschehen eingesaugt. Selbst in Zwischensequenzen - wenn nicht gerade die Comicszenen verwendet werden - bekomme ich die süße Faith nicht zu Gesicht. Denn ich bin ja selbst die Runnerin.
Unserer Sportskanone wird übel mitgespielt. Runner transportieren Waren und Informationen, von denen die Staatsgewalt möglichst nichts mitbekommen soll. Alle anderen Transportwege werden kontrolliert - und die Runner natürlich gejagt. Eines Tages geschieht ein Mord an einem prominenten Politiker und Faiths Schwester, einer Polizistin, soll die Tat angehängt werden. Eine atemlose Hatz nach dem oder den Tätern beginnt und Faith deckt etwas noch viel Gewaltigeres auf. Was? Das sollt ihr natürlich selbst herausfinden.
Am Rande der Gesellschaft
Als Ort des Geschehens dient eine Stadt, die fast schon steril sauber wirkt. In den Glasfassaden spiegeln sich die Bauten wieder. Müll, Graffiti oder wilde Plakatkleberei bekommt man nicht zu Gesicht. Weiß ist die vorherrschende Farbe, die immer mal wieder von warmen Orange- oder Grüntönen unterstützt wird. Die Optik lässt Redakteursaugen glänzen. Schade, dass man sich nicht völlig frei bewegen kann, sondern einem engen Levelkorsett folgen muss. Linearität beherrscht das Leveldesign, auch wenn es immer wieder mal optionale Wege zu finden gilt.
Frei fühlt man sich trotzdem in der Haut von Faith. Blinkende Icons oder Balken verunstalten den Bildschirm nie. Nur ab und zu blinkt kurz das Speichersymbol auf. Etwas ärgerlich sind die Ladepausen, die manchmal mitten in der Laufbewegung für Standbilder sorgen. Deutlich eleganter finde ich die Lösung, Fahrstühle einzusetzen, auch wenn es ein wenig blöde ist, für einige Zeit in dem kleinen Raum zu stehen und nichts machen zu können. Etwas größere Levels wären wünschenswert gewesen, dann müsste Mirror's Edge auch nicht so häufig laden.
Richtig Laune hat mir Mirror's Edge immer dann gemacht, wenn ich kräftig Fahrt aufnehmen konnte. Anlauf nehmen, Geschwindigkeit aufbauen und mit einem ordentlichen Satz von einem Wolkenkratzer zum nächsten springen, kurz abrollen und schon geht es wieder weiter. Kleinere Mauern überspringen, unter Rohren hindurchrutschen, an Wänden entlanglaufen, um das nächste Rohr zu erreichen, an dem ich ein Stockwerk tiefer rutsche. In diesen Momenten steigt das Adrenalin in ungeahnte Höhen. Wenn das Spiel mir doch nur ein wenig mehr verzeihen würde. Oft muss innerhalb von Millisekunden reagiert oder supergenau gezielt werden, ansonsten lockt der Abgrund. Das sind dann wieder die Momente, in denen ich fast verzweifle, weil auch nach 30 Versuchen noch kein Erfolg in Sicht ist.
Frust, ick hör' dir trapsen
Weiteres Frustpotential entfaltet Mirror's Edge immer dann, wenn die Polizei in Erscheinung tritt. Faith ist an sich Pazifistin und möchte mit Waffen so gut wie gar nichts zu tun haben. Doch das heißt nicht, dass sie sich nicht wehren kann. Durch gutes Timing greift sie die Waffe des Gegners und entreißt sie ihm. Steht dann noch ein Kollege in der Nähe, kann er mit der nun erbeuteten Wumme aus den Stiefeln geschossen werden. Theoretisch jedenfalls. Faith kann leider nicht besonders viel ab. Drei bis vier Geschosse reichen, um wieder von vorne beginnen zu müssen. Da muss jeder Angriff sitzen. Und gerade das ist oft unter Zeitdruck eben nicht so schnell zu bewerkstelligen. In einen Nahkampf mit mehr als zwei Gegnern solltet ihr sowieso nie gehen.
Wie ein roter Faden werden auch die nächsten Wegpunkte rot markiert. Allerdings nicht sofort und auch nicht immer so, dass die Lösung, wie man jetzt an die nächste Stange oder in den nächsten Luftschacht kommt, ersichtlich ist. Ein bisschen Grips ist schon vonnöten. Kombinationen aus An-der-Wand-Entlanglaufen und Sprüngen sind keine Seltenheit. Mirror's Edge wird dadurch nie wirklich langweilig oder eintönig. Besonders spannend wird es zudem, wenn ich auf Züge springe, um zu entkommen, oder einen Kranausleger entlangeile, um von der Spitze auf eine weit entfernte Matte zu springen. Das Herz pocht dann immer lauter und ich halte den Atem vor Spannung an.
Wenn das Spiel nun so viele scheinbar unfaire Stellen und einen so knackigen Schwierigkeitsgrad hat, warum tue ich es mir dann an? Ganz einfach: Es fordert mich heraus. Unmöglich gibt es nicht, und deswegen ist die Freude, eine Passage schlussendlich doch geschafft zu haben, umso größer. Mir ist bewusst, dass nicht jeder Spieler so denkt. Die meisten wollen einfach nur auf der Couch sitzen und genießen, sich nicht anstrengen. Zwar fluche ich wie ein Rohrspatz, kann aber dann doch nicht vom Spiel lassen, weil es eben ungemein motivierend ist - für mich.
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