Test - Iron Danger : Das Rollenspiel mit der Zeit
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Ein hoher Schwierigkeitsgrad in einem Videospiel wäre oft eine willkommene Herausforderung, wenn er nicht den langen Rattenschwanz des Neuversuchs mitbrächte. Man kämpft, trifft eine falsche Entscheidung, stirbt und muss von Neuem beginnen. Nicht so bei Iron Danger. In diesem knackigen Action-Rollenspiel mit strategischem Einschlag ist kein Tod endgültig, denn man darf nach jedem Spielzug die Zeit ein Stück zurückdrehen, um Fehler auszubügeln. Klingt nach Mogelei, ist aber viel kniffliger, als man es sich zunächst vorstellt.
Stellt euch vor, ihr könntet die Zeit nach Lust und Laune zurückspulen. Immer nur ein kurzes Stück, aber gerade genug, um die letzte blödsinnige Aktion rückgängig zu machen: Ihr könntet einen doofen Anmachspruch bei eurer Herzensdame in eloquentes Süßholzraspeln verwandeln, die Bananenschale umgehen, auf der ihr ausgerutscht seid, oder den Elfmeterschuss, den ihr gerade in die Arme des Torwarts getreten habt, in die leere Ecke des Tores bugsieren.
Fantasy-Stoff, den das Action-RPG Iron Danger zum Programm macht. Nie mehr dem Game-over-Schriftzug begegnen? Nah, ganz so komfortabel ist es nicht, wäre ja sonst witzlos. Maximal zehn Sekunden, unterteilt in zwanzig Herzschläge, darf man zurückspulen, um Fehler zu korrigieren, was oft genug ist, um kritische Entscheidungen zu revidieren und die eigene Strategie zu überdenken.
Wer jetzt an trockenes Stellungsspiel wie beim Schach denkt, liegt aber falsch. Iron Danger ist ein Action-Rollenspiel mit Maussteuerung, bei dem man gleich zwei Spielfiguren dirigiert und Angriffe in Echtzeit ablaufen. Das lässt sich gut mit einem gedrosselten Diablo vergleichen, nur ohne Loot-Massen und ohne drohendes Karpaltunnelsyndrom.
Dafür aber mit einem merklichen Batzen gesteigerter Strategie. Da gewaltige Aktionen wie etwa Zaubersprüche gerne mal drei Herzschläge verbraten, landet man nach dem Zurückspulen nicht selten inmitten einer Kampfhandlung. In dem Fall kommt es auf kleinste Nuancen an: Wo kann man noch im letzten Moment ausweichen? Wo wäre Angriff die beste Verteidigung gewesen und umgekehrt? Kommt man überhaupt noch lebend aus der Schlacht heraus? Das ist doch mal ein interessantes Spielprinzip!
Ein gutes Team
Nun, vielleicht sollten wir zuerst klären, worum es überhaupt geht. Vor langer Zeit in einem nordischen Land ist das Schicksal einer jungen Frau namens Kipuna nicht sehr wohlgesonnen. Ein blutrünstiger Stamm macht ihre Heimat dem Erdboden gleich, was ihrem Tod gleichgekommen wäre, wenn ein muskelbepackter Schmied namens Topi sie nicht vor dem Schlimmsten bewahrt hätte. Doch die schreckliche Geschichte erfährt eine mystische Wendung, als die beiden auf der Flucht doch noch dem Tod begegnen. Kipuna fällt in eine Grube, in der eine spitze Scherbe sie durchbohrt. Das arme Mädel scheidet dahin. Oder doch nicht?
Kipuna soll nicht sterben, wenn es nach dem Willen einer spirituellen Erscheinung namens Aurolith geht, die der tödlichen Scherbe entspringt. Aurolith verleiht ihr die Macht, die Zeit für einige Herzschläge zurückzudrehen, damit sie einer wichtigen Aufgabe nachkommen kann. Sie soll sämtliche Scherben des Aurolith, die in alle Winde verstreut wurden, zusammensetzen, um ihre neue Kraft zu vervollständigen und das Land von der Tyrannei einer Hexe zu befreien.
Kipuna und Topi begeben sich auf eine lange Reise, die über das Meer zu verschiedenen Stationen führt. Ein schnuckliges Segelschiff dient ihnen dabei als Transportmittel und als Basis. Doch der Schutz des Gefährts ist begrenzt. Auf dem Weg zu den Tempeln der Scherben laufen sie mal auf Grund oder segeln in eine Blockade, sodass sie immer wieder Banditen, mürrischen Nordländern oder sogar seltsamen Roboterwesen gegenüberstehen. Daher der Name Iron Danger.
Da ist es doch eine glückliche Gegebenheit, dass Kipuna und Topi sich im Kampf so wunderbar ergänzen. Der muskelbepackte Schmied ist ein Spezialist fürs Grobe. Mit seiner riesigen Axt mäht er nicht nur Widersacher in einem großen Radius um, er nutzt sein Werkzeug auch als Schild gegen Schwerter und Pfeile. Ist Not am Mann, stellt er sich schlicht vor seine Begleiterin, sodass ihr kein Leid geschieht.
Das ist aber nicht immer nötig, denn Kipuna kann sich prima selbst verteidigen, auch wenn ihre physische Angriffskraft keineswegs so viel Wumms hat wie Topis. Sie vertraut lieber auf ihre magischen Fähigkeiten, die ihr eingangs die Kontrolle über das Feuer gewähren, später aber auch Verteidigungsmechanismen und kontrollierte Angriffskombinationen einschließt.
Der Einstieg mit dem Feuer ist als Einleitung geschickt gewählt, weil übersichtlich gestaltet. Sie schießt magische Feuerbälle oder nutzt einen Zauberspruch, der Schwerter (von Freund oder Feind) in Flammen hüllt. Kipuna erweist sich zudem als sehr flink. Auf Kommando spurtet sie zwei Schritte zur Seite und entkommt auf diese Weise Wurfgeschossen und Pfeilen, sofern sie diese früh genug entdeckt.
Zurückspulen, bitte
Kipuna, Topi und einige andere sekundäre Spielfiguren, die Kipuna auf Teilen ihrer Reise temporär begleiten, erlernen nach jeder Schlacht neue Fähigkeiten und bekommen auch mal unverhofft ein komplett anderes Skillset vorgesetzt. Doch im Großen und Ganzen lässt sich der Ablauf einer Schlacht auf wenige, markante Abläufe reduzieren: Ein mächtiger Begleiter schafft Platz, Kipuna nutzt ihn – meist mit flächendeckenden Distanzattacken. Man steuert einen der beiden Figuren eines Szenarios so lange, bis man sich gezwungen sieht, die andere zu übernehmen, um sie vor Schaden zu bewahren.
Da keine der Figuren automatisch reagiert und sie in der Regel einer Überzahl an Gegnern gegenüberstehen, die nur wenige Treffer landen müssen, um ihnen das Lichtlein auszublasen, gibt es kein strategisches Patentrezept. Im Gegenteil: Normalerweise versucht man erst auf gut Glück so viele Gegner wie möglich umzuhauen, was aufgrund des Echtzeit-Schlachtgeschehens nur selten von Erfolg gekrönt ist. Segnet einer von beiden Helden das Zeitliche, so friert der Spielablauf ein und signalisiert, dass ein theoretisches Game Over bevorsteht. Kipunas Talent, die Zeit zurückzudrehen, ist dann noch immer kein Garant für einen Erfolg, erhöht aber die Chance, das Blatt zu wenden.
Zumal die volle Ausreizung der zehn Herzschläge nicht unbedingt nötig ist. Manchmal genügen zwei oder drei revidierte Einheiten aus, um einem anfliegenden Pfeil zu entgehen oder einen versemmelten Axtschwung einen Moment später zu starten. Jedes Zurückspulen friert die Schlacht ein, bis man die nächste Aktion ausführt. So bleibt genug Zeit zum Denken. Dabei ist es hilfreich, den Mauscursor kurz über das Schlachtfeld zu führen, um vom Spiel zu erfahren, wie viele Herzschläge eine Bewegung in Anspruch nimmt.
Leider erfährt man das nicht, wenn es um Aktionen der Gegner geht, daher enden gewisse Rückspulaktionen in einer fortlaufenden Versuch-und-Fehlschlag-Endlosschleife, bis man endlich die Lücke in der feindlichen Strategie entdeckt. Gibt es wider jede Hoffnung doch kein Entrinnen, hilft nur der Neustart des Szenarios.
Das kommt relativ selten vor, ist dann aber umso frustrierender, zumal man nicht nach Belieben speichern darf. Das Spiel legt selbstständig Quicksaves an, die in manchen Szenarien so grob verteilt wurden, dass im schlimmsten Fall fünfzehn bis zwanzig Minuten Spielzeit verlorengehen. Kein Beinbruch, aber eine manuelle Speicherfunktion, die man vor großen Schlachten nutzen könnte, wäre willkommen gewesen.
Futter für den Denkapparat
Nicht zuletzt, weil einige Schlachten ohne Vorwarnung starten. Ein pechschwarzer „Nebel des Kriegs“ verhindert allzu weite Voraussicht auf die Umgebung, während geskriptete Ereignisse das vorzeitige Verlassen des Schlachtfeldes verhindern - etwa wenn ein Baum umfällt, der den Fluchtweg abschneidet. Dann heißt es: Kämpf oder stirb! Heilende Nahrung liegt zwar gelegentlich in der Gegend herum, lässt sich im Kampfgetümmel aber nur selten sinnvoll einsetzen, da auch das einige Herzschläge verbrät, in denen die Spielfigur Angriffen ausgeliefert ist.
Temporäre Heilung ist gut, ausgeklügelte Strategie, die die Umgebung mit einbezieht, ist besser. Ölfässer in Brand stecken, Bärenfallen verteilen, im hohen Gras schleichen, um unentdeckt zu bleiben … Etliche anfangs nebensächlich wirkende Utensilien erweisen sich im Laufe des Spiels als nützliche Helferlein, mit denen man Überraschungsattacken einleiten oder Gebiete des Schlachtfeldes voneinander trennen kann.
Je früher man den Nutzen dieser Hilfsmittel verinnerlicht, desto besser, denn spätestens bei Endgegnern, deren Widerstandskraft normale Waffen zu Spielzeugen degradieren, kommt man um deren Einsatz nicht herum. Kurz bevor man den Splitter eines Tempels erreicht, geht es richtig derbe zur Sache.
Schade nur, dass der rote Faden des Spiels viel weniger Abwechslung bietet als das Schlachtgeschehen. Der Ablauf wiederholt sich strickt nach Schema F: Es gibt eine Vorquest, dann sucht man die nächste Scherbe, durchlebt eine Traumsequenz und sucht anschließend den Weg zurück zum Schiff. Rinse and Repeat. Da wäre mehr drin gewesen.
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