Special - E3 – Messe der Ahnungslosen : Kommentar: Angst essen Pläne auf
Ach, was hätte das alles schön und aufregend sein können. Nintendo stellt die Wii U im Detail vor, nennt Preis und Datum und präsentiert ein Line-up, das alle Spieler voller Vorfreude mit den Ohren schlackern lässt. Wave Race U wird angekündigt, neben Zelda U und derbem Drittherstelleraufgebot der System-Seller der Konsole. An die kann man vier Wii-U-Pads ohne Perfomance-Verlust anschließen. Weitere Kracher: Erste Spielszenen von GTA V und ein kurzer Teaser zur Xbox 8. Wir kommen glücklich verstrahlt zurück nach Deutschland und freuen uns auf die kommenden Jahre. Das wäre wirklich schön gewesen. Die Realität der E3 2012 sah aber etwas anders aus.
Meine Gewinner der Messe heißen Crytek, CCP, Gaikai und OnLive. Ich bedanke mich auf diesem Wege bei diesen Unternehmen dafür, dass sie den etablierten Konsolenherstellern demonstrieren, wohin die Reise in der Spiele-Industrie geht. Titel wie Dust 514 oder Warface zeigen eindrucksvoll, wie Free-to-play-Spiele heute aussehen können. Es gibt Hersteller, die verlangen für Spiele dieser Qualität immer noch 60 Euro im Handel. Gaikai und OnLive geben uns einen Ausblick darauf, wie wir alle in zwei bis drei Jahren spielen werden.
Cloud-Gaming und free to play sind die Konzepte, die zukünftig über Erfolg und Misserfolg der nächsten Konsolengeneration entscheiden. Es geht nicht mehr einfach nur darum, mehr Rechen-Power und einen besseren Grafik-Chip in ein neues, zeitgemäßes Gehäuse zu packen und vier Controller-Steckplätze zu platzieren. Es geht darum, sich von verkrusteten Geschäftsmodellen zu trennen und wirklich neue Modelle von Grund auf zu entwickeln. Es geht darum, aus dem Verhalten der Musik- und Filmindustrie zu lernen und nicht dieselben Fehler zu machen. Vor allem nicht den Fehler, so lange an diesen altbackenen und überholten Konzepten festzuhalten, bis eine gesamte Branche am Abgrund steht.
Meiner Meinung nach werden in der nächsten Konsolengeneration Datenträger keine Rolle mehr spielen. Spieler werden Spiele konsumieren, wie sie Musik oder Filme konsumieren: via Download oder Stream. Sei es im Rahmen eines monatlichen Abos oder via Einzelzahlung für ausgewählte Titel. Und hier liegt meiner Meinung nach auch genau der Grund, warum sich sowohl Sony als auch Microsoft so viel Zeit mit der Ankündigung ihrer neuen Konsolen lassen: Weil es nie schwieriger war, einen neue Konsole auf den Markt zu bringen. Verlässt man sich auf die guten alten Datenträger, könnte die Konsole in drei Jahren ein technisch hoffnungslos veraltetes Auslaufmodell sein. Leistet man sich bei der Streaming-Technologie Patzer oder setzt man bei der Wahl des strategischen Partners aufs falsche Pferd, ist die Konsole ebenfalls zum Scheitern verurteilt. Hier lauern enorme Risiken für Sony und Microsoft. Jeder Fehler kann fatal sein.
Den Publishern geht die Muffe, weil sie neues, unbekanntes Terrain betreten. Und dann gibt es da ja auch noch den traditionellen Handel, mit dem man sich herumschlagen muss. Der hat viel Macht und ein vitales Interesse daran, dass auch zukünftig noch schön verpackte Datenträger in den Regalen stehen. Daher die ungewöhnlich lange Zeit bis zur nächsten Generation. Deswegen die Mauern des Schweigens. Ich befürchte, es herrscht nicht nur Unwissenheit, sondern auch ein Stück weit Planlosigkeit. In solch unsicheren Zeiten besinnt man sich gern auf Bewährtes. Deswegen die vor Ideenlosigkeit und Innovationsarmut geradezu sprühenden Pressekonferenzen. Deswegen wird uns und euch als große Neuheit verkauft, dass man sich bei FIFA 13 nun via Kinect über den Abseitspfiff des Schiris beschweren kann.
Dabei stecken in der neuen Technologie auch enorme Chancen. Sony und Microsoft liefern sich mit dem PSN beziehngsweise dem Xbox-Live-Marktplatz die besten Argumente praktisch selbst. Download-Titel wie I Am Alive, Trials: Evolution oder auch The Walking Dead zeigen zum einen, welche Qualität in diesem Bereich inzwischen möglich ist, und zum anderen, dass Spiele dieser Güteklasse auch kommerziell erfolgreich sind. Die innovativen Spielkonzepte findet man inzwischen ausschließlich in den Download-Marktplätzen, weil nur noch dort Wagnisse und Experimente möglich sind. Durch die geringeren Kosten bei der Produktion und das neue Distributionsmodell sind kommerzielle Misserfolge leichter verkraftbar. Und wenn Innovationen möglich sind, werden wir auch wieder mehr wirklich neue Spiele sehen und nicht nur anders verpackte und unbenannte Kopien von Brutalo-Ego-Shootern, die wirtschaftlich erfolgreich waren.
Bis dies aber so weit ist, müssen wir mit Messen leben, die so sind wie die E3 2012: bis auf wenige Lichtblicke langweilig, mit Spielserien, die ihrer Wurzeln beraubt und in den großen, überfüllten Action-Blumentopf verpflanzt werden. Ach so, dann gab es ja noch die Wii U. Bei der hat mich nicht nur das schwächste Nintendo-Line-up überhaupt für eine neue Konsole entsetzt. Auch die von Nintendo indirekt bestätigen Performance-Einbrüche bei mehr als einem verbunden Wii-U-Pad erhöhen die Erfolgs-Chancen nicht gerade. So begeistert ich letztes Jahr von der Ankündigung der Wii U war, so ernüchtert bin ich über das, was Nintendo dieses Jahr an Infos herausgegeben hat. Dabei hätte ich dem ehemaligen Spielkartenhersteller gewünscht, dass er diese E3 dominiert und für sein neues Konsolenkonzept gefeiert wird. Einfach schon deshalb, weil Nintendo etwas gewagt hat und nicht wie die beiden Konsolenkonkurrenten in Schockstarre verharrt und hofft, dass wir den faden, geschmacklosen Software-Brei aus Ego-Shootern und Action-Gemetzel auch dieses Jahr wieder ohne Murren runterwürgen.
Diese Industrie steht vor einem entscheidenden Wandel. Die Gegenwart der Videospielindustrie mag langweilig sein wie selten, ihre Zukunft wird spannend wie nie zuvor.
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