Test - Dünnes Eis : Hussa! Ein neues Adventure vom Deponia-Macher ist da
- PC
Vor drei Jahren zog sich Deponia-Schöpfer Jan „Poki“ Baumann aus der Spieleentwicklung zurück, um sich voll und ganz seiner zweiten großen Leidenschaft zu widmen: der Musik. Sein letztes Spiel, Deponia Doomsday, erschien bereits 2016. Jetzt meldet er sich überraschend aus der Versenkung zurück. Mit einem höchst ungewöhnlichen Projekt: dem Adventure-Game Dünnes Eis, das Spiel zum gleichnamigen Song seiner Band Baumann Bergmann Pokinsson.
Mit seinem Studentenprojekt „Edna bricht aus“ (Test) legte Jan Müller-Michaelis, heute Baumann, Adventure-Fans aber ohnehin besser bekannt unter seinem Spitznamen Poki, den Grundstein für Spiele-Entwickler und -Publisher Daedalic. Später wurde er vor allem für sein Opus Magnum, die vierteilige Deponia-Reihe, bekannt, für die er auch die markanten Songs während der Kapitel-Intermezzi einspielte. „Hussa!“, ihr erinnert euch sicher, und wenn nicht, dann seid ihr in diesem Artikel ohnehin falsch, denn sein neues Spiel richtet sich vor allem an die Fans von damals, die allein beim Zitat dieses einen Wortes verträumte Augen bekommen.
An Tagen wie diesen
Auch der Ohrwurm-Blues „Nadel und Faden“ aus dem Intro zum Edna-Nachfolger „Harveys neue Augen“ stammte aus seiner Feder. Kurz gesagt: Schon damals war klar (und manch einem vielleicht auch schon bei der skurrilen Aktion „Befreit Edna aus dem Kinderspielregal“, erinnert sich noch jemand?), dass sein Herz für die Musik mindestens ebenso sehr schlägt wie für die Spieleentwicklung. Zehn Jahre steht er immerhin schon als Sänger und Gitarrist der Band Baumann Bergmann Pokinsson vor, in der er zusammen mit seiner (mittlerweile) Ehefrau Anne Baumann und dem Schlagzeuger Gunnar Bergmann durch kleine Clubs tourt, zwei Alben aufgenommen und 2023 in der schrägen Aktion „Jede Woche ein neuer Song“ ganze 52 Songs veröffentlicht hat.
Schaff ich’s nicht einmal
Sein letztes Spiel Deponia Doomsday erschien 2016, ein weiteres, das sich danach noch in Entwicklung befand und für das extra ein eigenes Studio am Standort München aufgebaut wurde, wurde noch vor der offiziellen Ankündigung eingestellt. 2021 verließ er Daedalic, übrigens schon vor und daher unabhängig von dem Debakel um Gollum, das dazu führte, dass der Publisher seine Entwicklungsabteilung schließen musste. Letztes Jahr kündigte er dann offiziell an, die Spieleentwicklung endgültig an den Nagel zu hängen und sich künftig ausschließlich der Musik widmen zu wollen.
Den Kaffee zu genießen
Umso überraschender kommt die Meldung, dass er plötzlich wieder zurück ist. Am 16. Mai erscheint auf Steam sein neues Spiel „Dünnes Eis“, das er nahezu in Personalunion entwickelte. Entsprechend handelt es sich dabei nicht um vollwertiges Adventure-Spiel vom Ausmaß der Deponia-Teile, kostet auch nur 3,99 Euro und dauert lediglich ein bis maximal zwei Stunden.
Ob mit Zucker oder schwarz
Dünnes Eis ist vielmehr eine Art „playable Trailer“ oder interaktives Musikvideo zum gleichnamigen Song seiner Band, weist aber nichtsdestotrotz all die Markenzeichen auf, die Fans mit einem Poki-Spiel verbinden: der charmant-handgemachte Zeichenstil der Edna-Adventures, klassische Point-n-Click-Rätsel, die aber immer mal wieder neue spielerische Horizonte ausloten, und vor allem eine Geschichte, die zwischen ihren treffsicheren Pointen auch stets eine melancholisch sehnsüchtige Ernsthaftigkeit durchschimmern lässt.
Nichts will mir mehr schmecken
Ihr spielt den Polarforscher Cliffi, der allein in einer Forschungsstation am Südpol seinen täglichen Routinen nachgeht: die Messgerätschaften warten, Frühstück richten, die Werkstatt aufräumen und das Treiben der Pinguine auf dem Eisfeld protokollieren. Doch allmählich dämmert, dass die scheinbare Banalität dieses Alltags lediglich die Spitze eines ganzen Eisbergs darunter bildet. Denn hinter der Oberfläche stoischer Gelassenheit lässt Cliffi die Narben einer geschundenen Seele erkennen, deren Einsamkeit an diesem trostlosen Ort auch Spiegel seiner inneren Verfasstheit ist.
Dann erinner’ ich mich mehr
Eine ausschweifende Geschichte ist in den kurzen anderthalb Stunden Spielzeit freilich nicht zu erwarten. Dünnes Eis wirkt eher wie der Prolog zu einem Spiel, das nicht existiert und stattdessen in die Stimmung und die Thematik von Pokis Musik überleitet. Als eine Allegorie greift es die Motive des gleichnamigen Songs auf und bildet sie in Cliffis Gefühls- und Gedankenwelt ab.
Wenn ich echt Zucker genommen hab’
„Ohne dich zu sein ist jetzt für mich wie dünnes Eis, das zu brechen droht“, singt Poki im Refrain des Songs mit seiner sonoren Stimme, die ein wenig an Bela B von den Ärzten erinnert. Es geht also ums Vermissen einer geliebten Person und den Abgrund, in den man angesichts der Trauer starrt und der ständig droht, dass man von seiner Schwermut verschlungen wird.
Warum zum Teufel ist das Knoblauchpulver wieder leer
So wie es Cliffi ergeht, der schon bald die Isolation seiner Polarstation verlassen und sich buchstäbdlich auf dünnes Eis begeben muss, um der Ursache für seine Einsamkeit auf den Grund zu gehen, die kein Zufall zu sein scheint, wie wir erfahren, sondern mit einem tragischen Verlust zusammenhängt, der ihn allmählich um den Verstand bringt. Denn auf einmal geschehen sonderbare Dinge: Geräusche halten ihn des Nachts wach, ein Fenster steht plötzlich offen und Fußspuren im Schnee deuten an, dass er entweder langsam verrückt wird oder doch nicht so alleine ist, wie es scheint. Dem Spiel gelingt es dadurch sogar noch geschickt, Motive aus John Carpenters Horrorklassiker Das Ding aus einer anderen Welt in sein melancholisches Polarmeer-Kammerspiel zu verflechten.
Dünnes Eis – das Spiel zum Song erscheint am 16. Mai auf Steam.
Kommentarezum Artikel