Test - Catherine: Full Body : Test: So clever kann Erotik sein
- PS4
Würde Obelix heute noch leben, würde er vermutlich öfters mal den Kopf schütteln und vor sich hinmurmeln: „Die spinnen, die Japaner.“ Hierzulande mutete es jedenfalls höchst merkwürdig an, als sich 2012 das an und für sich recht clevere und anspruchsvolle Knobelspiel Catherine auf PS3 und Xbox 360 in eine hochgradig krude Rahmenhandlung im Stile einer Anime-Erotik-Fantasie über fremdgehende Männer, verführerische Sexbomben und pubertäre Saufgelage kleidete.
Doch auch wenn hier zusammenwuchs, was auf den ersten Blick eigentlich so gar nicht zusammengehörte, offenbarte Catherine auf den zweiten Blick eine sowohl spielerische als auch vor allem inhaltliche Tiefe, die weit über ähnlich geartetes spielgewordene Schaulaufen der Riesenbrüste und Miniröckchen wie Senran Kagura oder Dead or Alive Xtreme hinausgeht. Auch in der stark überarbeiteten Neuauflage Catherine: Full Body für PS4.
Männer sind Schweine
Es gibt eine Szene in der großartigen britischen Sitcom „Coupling“, in der einer der Protagonisten den heikelsten Moment im Leben eines Mannes als denjenigen beschreibt, in dem er von seiner Freundin die fünf magischen Worte zu hören bekommt: „Wo. Führt. Diese. Beziehung. Hin?“ Der 32-Jährige Vincent befindet sich in genau jener Situation: Seine langjährige Freundin Katherine erwartet von ihm den nächsten Schritt in ihrer Beziehung. Außerdem ist sie seit Kurzem von ihm schwanger. Es ist an der Zeit für Vincent, dem Ernst des Lebens ins Gesicht zu sehen und Verantwortung zu übernehmen.
Doch ist sich Vincent unsicher, ob er dazu bereit ist. Statt erwachsen zu werden, hängt er lieber jeden Abend mit seinen Kumpels in der Kneipe ab und kippt sich ein Bier nach dem anderen rein, bis er sich am nächsten Tag nicht mehr daran erinnern kann, wie er nach Hause gekommen ist. Oder mit wem. Denn just in dieser Phase seines Lebens lernt er die verführerische Catherine kennen, die zu seiner Femme fatale wird: blond, großbusig und ziemlich spitz auf seinen Lumpi. Ohne zu wissen, wie ihm geschieht, stürzt sich Vincent Hals über Kopf in eine Affäre, die ihm sehr schnell über selbigen wächst.
In regelmäßigen Abständen müsst ihr Entscheidungen treffen, etwa Vincents Antworten auf die SMS-Nachrichten seiner Gespielinnen auswählen oder Fangfragen wie aus einem Persönlichkeitstest seichter Lifestyle-Magazine beantworten, z.B. „Würdest du deine Freundin betrügen, wenn garantiert wäre, dass sie es nie herausfindet?“ Catherine legt damit die Verantwortung über die Frage, ob alle Männer Schweine sind, wie sie Die Ärzte einst in ihrem Song als These formulierten, voll und ganz in die Hände des Spielers, der seine persönliche Antwort darauf in einem von sieben unterschiedlichen Enden erhält.
Die Szenen, in denen Vincent seine Affäre vor seiner Freundin verheimlichen muss und umgekehrt - als ihn etwa die eine zu Hause aufsucht, um ihn zur Rede zu stellen, während die andere gerade nebenan unter der Dusche steht - entwickeln mitunter eine Dynamik, die ihn ihrer Turbulenz fast schon an die klassischen Verwechslungskomödien wie etwa „Ernst sein ist alles“ von Oscar Wilde erinnert. Nur eben unverkennbar japanisch: mit regelmäßig schamlosem Blick auf aufreizende Super-Dekolletés und viel zu kurze Röckchen aus wenig statthaften Perspektiven. Und eingebettet in die obskure Legende von einem Fluch, der alle fremdgehenden Männer heimsuchen soll und sie dazu verdammt, Nacht für Nacht in Schafe verwandelt in einem Albtraum ums (nicht nur sprichwörtlich) nackte Überleben zu kämpfen. Was uns schließlich zum Gameplay führt …
Gameplay: Blockchain mal anders
Warum sich irgendjemand eine solche Rahmenhandlung ausdenkt für ein ansonsten abstrakt-nüchternes Puzzlespiel, das entfernt an eine Mischung aus Sokoban und Tetris erinnert, weiß vermutlich nur der Entwickler selbst. Es wirkt fast so, als betreibe er mit seinem Spiel Aufarbeitung oder leiste Buße für einen eigenen Seitensprung. Ist aber im Grunde ja auch genauso egal wie bizarr.
Nacht für Nacht müsst ihr als Vincent jedenfalls in einer Albtraumwelt eine Art Turm aus unzähligen einzelnen Quadern erklimmen. Um Stück für Stück bis zur Spitze zu klettern, lassen sich die Quader herausziehen und verschieben, damit sie schließlich einen Weg nach oben bilden. Doch nicht alle Quader lassen sich bewegen, manche zerbröckeln, wenn ihr darauf gestiegen seid, andere beherbergen tödliche Fallen und wieder andere verwandeln die Blöcke in ihrer Nachbarschaft. Catherine basiert auf einer dieser Spielmechaniken, deren Prinzip relativ simpel gedacht ist, aber ziemlich knifflige Rätsel ermöglicht. Wer sich gerne auf diese Weise Knoten ins Gehirn bindet, der wird mit Catherine garantiert seinen Spaß haben.
Zumal das Spiel viele zusätzliche Herausforderungen bietet für all jene, die bereit sind, sie anzunehmen. Wer besonders schlau vorgeht, kann sich auf dem Weg zum Gipfel wertvolle Bonusgegenstände oder -punkte sichern, wer besonders schnell ist, erhält eine bessere Wertung für den (Online-)Highscore, im Rätselmodus erwarten euch kleine, aber besonders vertrackte Aufgabenstellungen, und Profis wählen den schweren Schwierigkeitsgrad oder messen sich mit anderen Spielern im Online-Multiplayer.
Wer hingegen lediglich an der Geschichte interessiert ist, der findet in der Neuauflage Catherine: Full Body nun auch die Schwierigkeit in Schwerelosigkeit vor, in dem sich das Spiel von selbst spielt. Und damit zu den Neuheiten im Remaster. Oder doch Nachfolger?
Das unterscheidet Catherine: Full Body vom Original
Um diesen Punkt von vornherein klarzustellen: Nein, Catherine: Full Body ist kein Nachfolger zum Original. Es setzt seine Geschichte nicht fort, sondern erzählt über weite Strecken die gleiche. Die neuen Inhalte von Full Body sind also wie ein großer Story-DLC oder ein umfangreicher Director's Cut aufzufassen, der die Geschichte des „Hauptspiels“ erweitert und an einigen Stellen umschreibt. Denn die Ménage-à-trois des Originals wurde für das Remaster auf ein Tetra-Pack ausgedehnt.
Neben Katherine und Catherine sieht sich Vincent nämlich nun auch noch mit einer dritten Frau fast gleichen Namens konfrontiert: Qatherine, die der Einfachheit halber meist nur bei ihrer Endsilbe „Rin“ genannt wird. Zwischen der modern-selbstbewussten Katherine und dem verführerischen Bimbo-Vamp Catherine, repräsentiert Rin einen gänzlich anderen Frauentypus: den der zaghaft-zurückhaltenden, fast schon introvertiert-scheuen Kindfrau, wie sie vor allem im japanischen Kulturkreis häufig als Ideal angesehen wird.
Rin lebt in ihrer Wohnung wie in einem Kinderzimmer voller Plüschtiere, Spielsachen und kunterbuntem Tinnef. Wie wir erfahren, wurde sie vor Kurzem erst von Vincent vor einem Überfall gerettet, was sie nicht nur für seinen männlichen Beschützerinstinkt zum Objekt der Begierde macht, sondern mit ihrer kindlich-unschuldigen Aura eventuell die weitaus passendere Frau für seinen unreifen Kindskopf darstellen könnte. Nun ja, sofern man eben von „unschuldig“ sprechen kann, wenn sie sich ihm bei ihrer ersten Begegnung (aus Versehen) direkt mit ihrem Schlüpfer auf sein Gesicht setzt. Die spinnen halt, die Japaner …
Der Untertitel „Full Body“ trägt seine sexuelle Konnotation natürlich mit voller Absicht im Namen, kommt aber, wie einem das Spiel im Rahmen „wissenswerter“ Alkoholika-Trivia erklärt, aus der Sprache der Weinkunde. Im Gegensatz zu Weißwein wird Rotwein nämlich nicht mit Attributen wie „lieblich“ und „herb“ beschrieben, sondern in Analogie zu Frauenkörpern von leicht bis voll oder vollmundig klassifiziert. Wieder was gelernt.
Es ist dem Entwicklerstudio bei Atlus - im Übrigen dasselbe, das auch für die Persona-Reihe verantwortlich zeichnet - jedenfalls hoch anzurechnen, dass sie ihr Remaster nicht einfach lustlos 1:1 auf die aktuelle Konsolen konvertieren, wie es so viele andere Entwickler des schnellen Geldes wegen tun. Stattdessen wurde Catherine sogar spielerisch einer Überarbeitung unterzogen: So bietet Full Body einen alternativen, „Remix“ genannten Spielmodus, der zusätzliche Quader mit neuen Eigenschaften in die Rätsel einführt, die über unterschiedliche Größen verfügen und dadurch für ganz neue Knoten im Gehirn auch derjenigen sorgen werden, die das Original seinerzeit schon durchgespielt haben.
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