Test - The Whispered World : Angriff auf den Adventure-Thron
- PC
Adventures aus deutschen Landen sind in den letzten Jahren ja fast schon ein Garant für Qualität geworden. Zumindest wenn es sich um Fantasy-Geschichten im Comic-Gewand handelt. The Whispered World passt genau in dieses Genre und muss sich nicht nur mit anderen Größen wie The Book of Unwritten Tales messen, sondern auch noch mit dem großen Überraschungshit des letzten Jahres Edna bricht aus, ebenfalls aus dem Hause Daedalic. Ein Geheimtipp wie Edna kann The Whispered World zwar nicht mehr werden, ob es aber zu einem laut verkündeten Tipp reicht, konnten wir für euch in Erfahrung bringen.
Life of a Clown
Das Leben kann so deprimierend sein! Der Clown Sadwick hat es nicht leicht: Er hasst seinen Beruf, bei dem er unter anderem als lebende Kanonenkugel fungiert. Sein Bruder Ben nimmt ihn nicht ernst und packt sein Leben in einen täglichen Zeitplan und sein seniler Opa kann sich häufig nicht einmal an ihn erinnern. Als wäre das nicht schon schlimm genug, wird der arme Kerl auch noch von grausigen Alpträumen geplagt, die verkünden, dass er persönlich die Welt zerstören wird. Da hilft auch kein Im-Bett-Bleiben, also tritt unser Held hinaus aus dem Zirkuswagen in eine Welt, die nur er retten - oder zerstören - kann.
Sadwick hat also allen Grund deprimiert zu sein und genauso reagiert er auch auf die Welt im Allgemeinen und ihre Bewohner im Speziellen. Doch keine Angst, Frust kommt hier nicht auf. Wenn auch Sadwicks Kommentare häufig recht melancholisch daherkommen, so sind sie doch immer gespickt mit einer ordentlichen Portion (Galgen-)Humor. Nur weil er klein, ein Clown und dazu verdammt ist, seine Welt zu zerstören, gibt er noch lange nicht auf. Somit wird aus Sadwick der klassische gebrochene Held, der den Unbilden des Lebens trotzt, so lange es möglich ist. Für ein „einfaches" Adventure besitzt der Charakter damit eine erstaunliche Tiefe.
Merkwürdige Metamorphosen
Sadwicks Sidekick hingegen, das wurmartige Wesen Spot, zeichnet sich eher durch eine erstaunliche Bandbreite an physischen Veränderungen aus. Es kann sich je nach Bedarf in eine schwere Kugel, einen Feuerball, fünf kleine Bälle oder eine platte Matte verwandeln. Das sieht nicht nur putzig aus, sondern wurde von den Entwicklern auch intelligent im Rätseldesign eingesetzt. Zu Beginn des vierten Kapitels müsst ihr sogar eine komplette Sequenz ganz allein mit Spot mithilfe seiner Fähigkeiten bestehen.
Doch auch die Nebenrollen sind gut besetzt. Da wären der senile Opa, der dem armen Sadwick Petroleumsuppe kocht, oder Bobby, ein Chaski-Krieger, deren Credo darin besteht, Auseinandersetzungen zu begegnen, indem man sich im nächstbesten Fass versteckt. Die Handschrift der Edna-Macher tragen vor allem die beiden Steinbrüder Ralv und Yngo, die wirklich einfach nur Steine sind und einen dementsprechend eingeengten Horizont besitzen, nichtsdestotrotz die Weltherrschaft anstreben. Und selbst der egomanische Anführer der schurkischen Asgil entwickelt nach einer Metamorphose am Schluss noch so etwas wie philosophische Einsichten.
Phantasie mit Charakter
Die Welt, die diese illustre Gesellschaft bevölkert, erinnert im Inneren erstaunlich wenig an unsere eigene. Statt banaler Fantasy bekommt ihr hier tatsächlich Phantasie geboten. Und das hat auch seinen Grund, denn die Geschichte von Sadwick ist inklusive des überraschenden Endes überaus vielschichtig. Nur im dritten Kapitel scheinen die Macher die Handlung für kurze Zeit aus den Augen verloren zu haben. Allerdings ist es natürlich schwierig, eine Geschichte zu erzählen, Charaktere zu entwickeln, gleichzeitig dem Spieler ständig Rätsel aufzugeben und dabei noch für Spaß und Spannung zu sorgen. Trotz kleinerer, verzeihbarer Schwächen ist dieser Balanceakt den Entwicklern von The Whispered World hervorragend gelungen.
Das ganze Abenteuer hat so gut wie keine erzähltechnischen Längen - eine reife Leistung bei ungefähr zwölf Stunden Spielzeit. Neben inhaltlicher Kontinuität und gut gesetzten Spannungsbögen sorgt aber vor allem der Humor für andauernden Spielspaß. Nicht zuletzt die ausgezeichnet gesprochenen Dialoge werden euch immer wieder zum Schmunzeln oder manchmal auch zum Lachen bringen. Dass der Holzhammer hier vor der Tür gelassen wurde, ist mehr als erfreulich, wenn man an die häufig platten Scherze eines So Blonde denkt, die zumindest die Atmosphäre eines Spiels ruinieren können. In The Whispered World hingegen wird der Humor auch zur Charakterzeichnung eingesetzt und zum Kommentieren, wenn auch nicht ganz so ausufernd und absurd wie in Edna bricht aus.
Kunst in 2D
Als ausufernd lässt sich aber durchaus die Grafik bezeichnen. Hier haben die Entwickler im Grunde besonders tief gestapelt und etwas gewagt, was seit Jahren vollkommen aus der Mode gekommen ist: ein Abenteuer komplett in 2D! Was es da in nur zwei Dimensionen zu sehen gibt, ist wirklich bemerkenswert. Die handgemalten Hintergründe sind so kunst- wie stimmungsvoll. Alles andere wäre in Verbindung mit der wunderschön erzählten Geschichte auch ein Sakrileg gewesen. Interessierten sei angeraten, sich nach dem Durchspielen im Bonusmenü das Entstehen des stimmungsvollen, mondbeschienenen Nachthimmels im zweiten Kapitel als Film anzusehen. Wow!
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