Preview - Disciples: Liberation : Die Wiederauferstehung eines Rundenstrategie-Urgesteins
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Neues aus Nevendaar! Was, ihr kennt das zersplitterte Reich aus grauer Rundenstrategie-Vorzeit nicht mehr? Macht nichts! Egal ob Serienveteran oder unbedarfter Neueinsteiger: Es lohnt sich wieder, durch die Welt von Disciples zu stiefeln, und Elfen, Untote, Dämonen und Imperiale für die eigenen mehr oder minder finsteren Zwecke zu vergenussferkeln. Wir durften die Closed-Beta anspielen.
Nachdem die Entwickler von Disciples 1 und 2 der Pleite ihres Publishers 2004 zum Opfer fielen, sicherte sich Kalypso die Rechte und brachte Disciples 3 heraus. Elf Jahre sind seitdem vergangen – und das aus gutem Grund: Denn der vorerst letzte Teil war eine ziemliche Gurke. Das Reboot mit dem Namen Disciples: Liberation gab der Wormser Publisher nun beim kanadischen Entwickler Frima Studio in Auftrag, die damit an die alten Tugenden anknüpfen, sie aber auch um frische Elemente erweitern wollen.
Lange ist’s her ...
Heutzutage ist Rundenstrategie für die meisten Spieler gleichbedeutend entweder mit klaustrophobischer Taktik à la X-COM, dem globalen Maßstab eines Civilization oder den Nachahmern des rollenspiellastigen Heroes of Might & Magic. Doch früher stand eine Spielereihe für eine spannende Mischung, die all das in einem Spiel miteinander verband: taktische Kämpfe, planerische Effizienz und rollenspielerischer Story-Erfahrung im düsteren Fantasy-Setting - und das war Disciples.
Besonders der zweite Teil der Reihe aus dem Jahr 2002 erfreute sich großer Beliebtheit. Seine Mischung aus Basenbau, rundenbasierten Kämpfen und der Erkundung einer düsteren Kampagnenkarte, dürfte noch heute bei den Fans das Nostalgie-Herz höherschlagen lassen. Disciples II war außerdem im Gegensatz zu ähnlich gearteten Spielen richtig schön dreckig, finster und gemein und fing einen Charme ein, der mit polierter Grafik heute kaum mehr zu konservieren ist.
Kampf: XCOM trifft Heroes of Might & Magic
Von alledem ist in der Closed-Beta von Disciples: Liberation erfreulich viel übriggeblieben, wurde aber darüber hinaus durch einige interessante Aspekte erweitert. Wie in Disciples II ist auch der neueste Teil spielerisch dreigeteilt. Wir bauen in einer Hub-Dimension eine Festung namens Yllian aus, entwickeln darin Einheiten aus unterschiedlichen Gebäudetypen und wagen uns daraufhin mit einer kleinen Truppe in die Schlacht um Nevendaar.
Die rundenbasierten Prügeleien finden ganz wie in X-COM und Heroes of Might & Magic instanziert auf einem Schlachtfeld statt. Wie gewohnt schieben wir unsere Spielfiguren über Hexfelder, meiden hinderliches Terrain und nutzen Flankierungsboni oder spezielle Power-ups, die auf der Kampfkarte auftauchen.
Neu in der Welt von Disciples ist das sogenannte Backline-System, mit dem wir einige unserer Kreaturen auf die Zuschauerbank setzen können. Von dort aus wirken beispielsweise die dämonischen Succubi ihre betörende Magie und unterstützen den Kampf, ohne sich selbst auf dem eigentlichen Spielfeld in Gefahr zu begeben. Das kann euch in Bedrängnis immer wieder den Hintern retten, wenn eine Übermacht droht, die dann aber glücklicherweise in letzter Sekunde von unserer Dämonenverführerin betört wird.
Schnell ergibt sich dabei ein angenehmer Spielfluss, der an erster Stelle erforderlich macht, die Bewegungsreichweite der eigenen Figuren klug zu managen und den eigenen Terrainvorteil nicht zu verspielen. Allzu viel taktische Tiefe und ein Deckungssystem wie in X-COM solltet ihr aber nicht erwarten, dafür fehlt es Disciples: Liberation momentan noch ein wenig an abwechslungsreichen taktischen Möglichkeiten. Oft genügt es, die starken magischen Attacken der Hauptfigur oder eines ihrer Gefährten zu nutzen und mit den einfachen Prügel-Kollegen kräftig nachzutreten. Da auch das Terrain derzeit noch nicht viel Abwechslung bereithält, wirkt zumindest die Beta noch eher wie Rundenstrategie-light.
Avy, die Omnipotente
In Disciples: Liberation bereisen wir die Welt Nevendaar mit der Nephalem-Dame Avyanna (kurz Avy), in deren magischen Händen das Schicksal der zerstrittenen Welt liegt. Erstmals in der Serie sind wir mit ihr im ganz titelgebenden Sinne frei von den Fraktions-Fesseln der Vorgänger. Ob wir uns mit Avy den untoten Dämonenhorden, der Elfen-Allianz, der Legion der Verdammten oder dem Imperium anschließen, ist ganz uns überlassen.
Gebäudetypen und Einheiten der jeweiligen Fraktionen stehen Avy dank ihrer Neutralität im Machtgefüge Nevendaars deshalb gleichermaßen zur Verfügung - einzig daran bemessen, wie hoch sie in der Gunst der entsprechenden Fraktionen steht. Das wiederum steuern wir über Quests in den 13 Gebieten der Weltkarte, die sich die vier Fraktionen im kriegerischen Zwist teilen.
Avy bildet auch den Dreh- und Angelpunkt der Rollenspiel-Elemente in Disciples: Liberation. Immer wieder begegnet sie auf der Oberwelt den skurrilsten Kreaturen, für die sie Aufgaben wie das Sammeln von Milzen erledigen (fragt nicht …) und boshafte Kreaturen besiegen soll. In kurzen Dialogen, die bisweilen deutlich mehr Humor durchblicken lassen, als man der düsteren Welt zumuten möchte, soll die Story über satte 80 Stunden hinweg ausgeschmückt und mit individueller Entscheidungsfreiheit vorangetrieben werden.
Die gewonnenen Erfahrungspunkte aus Quests und Kämpfen fließen direkt in Avys Charakterentwicklung. Die Nephalem ist nämlich der einzige Charakter im Spiel, der ein eigenes Inventar, ein Magiesystem mit über 80 Sprüchen und einen dreiteiligen Skilltree besitzt. Das sorgt vor allem dafür, dass Avyanna in den Kämpfen aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten deutlich mehr taktische Mittel zur Verfügung stehen als beispielsweise einfachen Fußsoldaten. Einzig die speziellen Begleiter, die sich Avy nach einigen Quests anschließen, können mit ihren Fertigkeiten einigermaßen mithalten.
Dreck, Hass und echte Patina
Disciples: Liberation ist ein modernes Spiel und wird deshalb selbstverständlich in einer modernen Engine dargestellt. Leider fehlt dem Titel derzeit das gleiche dreckige, gemeine und fast zum Greifen düstere Äußere, das vor allem dem zweiten Teil zu eigen war - und das ist im Grunde auch schon der größte Kritikpunkt, der Disciples-Veteranen am neuesten Teil auf den ersten Blick kleine, runzelige Zornesfalten auf die Stirn zaubern könnte.
Während man früher mit seinem Vampirfürsten an Burgen und Höhlen vorbeigeritten ist, die allesamt eine Patina aus Dreck, Blut und undefinierbaren Ekeleffekten präsentierten, wirken die Fassaden des modernen Nevendaar glatt, poliert und versprühen eher den Charme eines gut sanierten Toilettenflügels im zweiten Untergeschoss eines Hotels, das zufällig am Hang eines Vulkans gebaut wurde. Brennende Lavaseen und Schatten machen allein eben noch keine finstere Stimmung, Dämonen und Stachelrüstungen noch keine Dark Fantasy. Es braucht Dreck, Abnutzung und Gefühl im Detail, genau das fehlt zumindest in der Beta aber noch ein wenig.
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Dennoch fühlt sich Disciples: Liberation trotz seines Status als Closed-Beta schon erstaunlich fertig, feingeschliffen und alles in allem rund an. Der Grund dafür ist ein einfacher: Das gute Stück erscheint bereits am 21. Oktober. Wer Disciples seinerzeit mochte, der sollte sich also schon mal den Tag im Kalender markieren und bei 80 Stunden Spielzeit lieber gleich drei Wochen vorgezogenen Weihnachtrsurlaub einreichen.
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