Test - Brothers: A Tale of Two Sons Remake : Dieses Frühwerk der Macher von It Takes Two sollte jetzt jeder gespielt haben
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Mit It Takes Two gelang den schwedischen Entwicklern von Hazelight vor drei Jahren der schon lange überfällige Durchbruch: gnadenlos kreativ, stilistisch berauschend und emotional berührend – die Auszeichnungen zum Spiel des Jahres gaben sich die Klinke in die Hand, unter anderem auch bei den „Spiele-Oscars“ The Game Awards. Doch schon mit ihrem noch deutlich bescheideneren Erstling Brothers: A Tale of Two Sons demonstrierten sie eindrücklich ihre Ausnahmeklasse. 11 Jahre nach der Erstveröffentlichung erscheint das Spiel nun als vorzügliches Remake.
Auf der Suche nach einem Heilmittel für den sterbenskranken Vater machen sich zwei Brüder auf den beschwerlichen Weg zum Baum des Lebens und bereisen dafür eine mittelalterliche Märchenwelt der nordischen Folklore. Das ist eigentlich schon alles, was man über die Geschichte von Brothers: A Tale of Two Sons erzählen kann. Denn auch wenn das Spiel über eines der berührendsten Enden der gesamten Spielegeschichte verfügt (siehe auch unsere Top 10: Spiele, die zu Tränen rühren), steht bei ihm nicht die Handlung im Vordergrund, sondern das pure Gameplay.
Und das fußt auf einer ebenso simplen wie genialen Prämisse: Ihr steuert nämlich die beiden Brüder gleichzeitig, mit ein und demselben Controller. Mit dem linken Analogstick bewegt ihr den großen Bruder, mit dem rechten Analogstick den kleinen. Nur gemeinsam können sie die vielen kleinen Rätsel und Situationen lösen.
Gnadenlos kreative Spielidee
Das beginnt noch mit Aufgaben, wie man sie von dieser Art von Spielidee zunächst erwarten würde und sich vermutlich jeder noch irgendwie ausdenken könnte: Während der eine Bruder einen Hebel betätigt, um ein Tor aufzuhalten, gelangt der andere hindurch auf die andere Seite. Oder der große Bruder hilft dem kleinen per Räuberleiter aufs Dach, damit dieser von dort ein Seil herablassen kann. Doch schon bald schrauben sich die gewitzten Ideen, die den Entwicklern eingefallen sind, in kreative Höhen, vor denen man als Spielekritiker nur ehrfurchtsvoll niederknien kann und die bereits die volle Genialität erahnen lassen, die Hazelight dann mit It Takes Two zur vollen Entfaltung bringen sollte.
Während der eine Bruder einen bissigen Hund auf einem Bauernhof ablenkt, schleicht sich der andere heimlich an ihm vorbei. Um einen riesigen Balken an seinen Bestimmungsort zu tragen, müsst ihr die beiden geschickt um die Hindernisse im Weg manövrieren. An einem hölzernen Fluggerät wie von Leonardo Da Vinci müssen die baumelnden Brüder unablässig den Schwerpunkt austarieren, um durch eine riesige Schlucht zu schweben. Auf der rasanten Flucht vor der Lawine gilt es, die rennenden Brüder stets im Blick zu haben, um rechtzeitig fallendem Geröll auszuweichen. Und im Bosskampf gegen einen garstigen Höhlen-Troll muss der eine die Aufmerksamkeit des Gegners wie ein Stierkämpfer auf sich lenken, damit der andere unterdessen die Falle für ihn vorbereiten kann.
Spätestens dann zurrt Brothers: A Tale of Two Sons einen Knoten in euer Gehirn, der sich wie der gordische anfühlt. Denn darin besteht die eigentliche Herausforderung des Spiels: zwei Spielfiguren gleichzeitig und unabhängig voneinander zu steuern. Das erfordert Fähigkeiten, wie sie etwa auch ein Klavierspieler erst mühsam erlernen muss, indem die linke Hand andere Dinge tut und anderen Überlegungen folgt als die rechte, man sich regelmäßig wünscht, schielen zu können, um unterschiedliche Orte auf dem Bildschirm simultan zu betrachten, und dabei unablässig feststellt, dass das menschliche Gehirn für nichts davon geschaffen ist.
Brothers zu spielen fühlt sich in jedem Augenblick so an, als stünde die eine Gehirnhälfte gerade auf dem Schnürsenkel der anderen. Zwar versucht man sich zu behelfen, indem man beispielsweise die beiden Brüder räumlich nach Möglichkeit so anordnet, dass sie in ihrer Ausrichtung der Belegung auf dem Controller entsprechen. Doch spätestens in der herrlichen Szene, in der die beiden wie zwei Bergsteiger mit einem Seil aneinandergebunden die Mauern einer Burg erklimmen, dabei ständig an ferne Haltepunkte schwingen und dadurch die Position zueinander verändern, weiß man nicht mehr, ob man über die eigene Unfähigkeit johlen oder heulen soll.
Doch bevor der Eindruck entstehen könnte, Brothers sei schwer oder sperrig zu spielen, sei an dieser Stelle Entwarnung gegeben. Nichts davon ist der Fall, im Gegenteil geht das Spiel unvergleichlich geschickt darin vor, euch behutsam in die Eigenarten der Steuerung einzuführen und euch Schritt für Schritt durch ihre Tücken zu geleiten.
Und dabei stets Neues erleben zu lassen. Durchquert ihr anfangs ein beschauliches Mittelalter-Dorf führt euch das Spiel anschließend in ein riesiges Bergwerk, einen finsteren Wald voller blutrünstiger Wölfe, auf ein blutiges Schlachtfeld der Riesen und eine majestätische Burg auf einem Berggipfel, die höchstwahrscheinlich von ihrem Pendant im ebenso atmosphärisch verwunschenen Knobelklassiker Ico inspiriert wurde.
Was ist neu im Remake?
Auch wenn Brothers: A Tale of Two Sons ein reines Singleplayer-Game war, hatte es bereits die Anmutung eines Koop-Spiels – das man nur eben gemeinsam mit sich selbst spielte. Viele der Ideen, die den Entwicklern dazu einfielen, mündeten ganz offenkundig in ihre späteren Koop-Meisterwerke A Way Out (Test) und eben It Takes Two (Test).
Folgerichtig enthält das Remake nun auch einen optionalen Koop-Modus – was Spielern des Originals zweifellos zunächst befremdlich scheinen mag, weil es das eigentliche Prinzip des Spiels außer Kraft setzt. Wie oben beschrieben entstehen viele seiner Herausforderungen ja eben genau darin, dass man beide Spielfiguren gleichzeitig steuert und dabei über die eigene Tolpatschigkeit lacht, weil sich die eigenen Denkprozesse und motorischen Fähigkeiten dabei stets gegenseitig in die Quere kommen.
Doch warum nicht? Brothers: A Tale of Two Sons wird gemeinsam mit einem Mitspieler in vielen Situationen deutlich, deutlich einfacher, weil viele der Hemmnisse wegfallen, und dadurch eine gänzlich andere Art von Spiel, weil es nun stärker um die gegenseitige Absprache geht. Man sollte Brothers in jedem Fall einmal so erlebt haben, wie es ursprünglich gedacht war, doch auch zu zweit ist es zweifellos eine vergnügliche Erfahrung. Leider nur lokal und nicht online.
Aber braucht es deshalb wirklich ein Remake? Immerhin hat das Original spielerisch nichts von seiner Klasse eingebüßt und auch der Grafikstil fällt in seiner minimalistischen Ausprägung in die Indie-Kategorie der Zeitlosigkeit. Umso erstaunlicher fällt auf, mit welchem Aufwand das Remake nun mit den Mitteln der aktuellen Unreal Engine erstrahlt.
Zunächst war ich skeptisch, ob sich ein derart bescheidenes Indie-Spiel mit einem derart modernen, realistisch orientierten Anstrich womöglich nicht eher beißt. Doch im Gegenteil: Die zeitgemäße Technik gereicht dem Spiel immer wieder zu erhabenen Momenten und malerischen Anblicken, die in dem alten Look nicht zu vermitteln waren: das atemberaubende Panorama vom Berg ins nebelverhangene Tal, das prächtige Gefieder des riesenhaften Uhus, das magische Funkeln der Mitternachtssonne auf dem Gletschereis, der grässliche Anblick des garstigen Spinnenmonsters. Apropos: Auch wenn es ob seiner Herzigkeit auf den ersten Anblick nicht so scheint, aber für jüngere Kinder ist Brothers: A Tale of Two Sons zu gruselig und stellenweise regelrecht brutal und trostlos.
Verantwortlich für das Remake zeichnen im Übrigen nicht Hazelight selbst, sondern die italienischen Indie-Entwickler von Avantgarden, die in Feinschmeckerkreisen für das zauberhafte Zeitschleifen-Adventure Last Day of June bekannt sind.
Bleibt die Frage, ob man das Remake auch als Spieler des Originals nochmal braucht. Nun, inhaltlich handelt es sich natürlich, bis auf den neuen Koopmodus, um exakt dasselbe Spiel. Allerdings ist die Erstveröffentlichung mittlerweile schon so lange her, dass ich für meinen Teil in der Zwischenzeit schon wieder so viel vergessen hatte, sodass ich so manche Szene wie zum ersten Mal neu erlebte. Andere wiederum kannte ich noch so gut, dass sich die ohnehin schon nicht allzu langen sechs Stunden Spielzeit im erneuten Durchlauf auf vier reduzierten.
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Allein aber im Umfeld derzeit höchst halbherziger und liebloser Remaster-Veröffentlichungen wie Tomb Raider I-III Remastered, Gothic oder der desaströsen GTA Trilogy sticht diese höchst löbliche und liebevolle Neuinterpretation wie der sprichwörtliche strahlende Leuchtturm heraus und hat jede Fan-Unterstützung verdient. Zumal sie nur 20 Euro kostet und ohnehin in jede gut sortierte Sammlung gehört.
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