Test - Assassin's Creed: Origins : Das größte und schönste Assassin's Creed. Auch das beste?
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Gameplay: Mehr Far Cry, weniger Assassin's Creed
Bei der schieren Masse an Betätigungen und Neuerungen übersieht man schnell, dass Ubisoft sein Flaggschiff an anderer Stelle stark entschlackt hat. „Zöpfe abschneiden“, nennt man das, wenn man es positiv ausdrücken möchte. Keine sinnlosen Gameplay-Anhängsel mehr wie das Bomben-Crafting in Revelations, kein Beschäftigungsballast wie die Gildenaufträge oder das Browsergame-artige Bruderschaftsverwalten in Brotherhood. Türme dürfen zwar immer noch erklettert werden, doch dienen sie lediglich als Schnellreisepunkt – die Karte deckt sich nun automatisch beim Erreichen eines neuen Gebiets auf. Keine Federn, Notenblätter, Animus-Fragmente mehr. Nur Schatztruhen, Schatztruhen gibt es immer noch. Aber die enthalten nun wertvolle neue Waffen statt unnützen Plunder.
Zudem ist Assassin's Creed: Origins erstaunlich intuitiv und selbsterklärend. Bestand etwa Assassin's Creed III noch zu zwei Dritteln gefühlt nur aus Tutorial, in dem ständig neue Spielmechaniken eingeführt und ausgiebig erklärt wurden, gibt es in Origins nicht mal eines. Es geht alles ratzfatz, erklärt sich nebenbei, ohne dass man es merkt. Selbst das Klettern fühlt sich angenehmer an, weil man nicht ständig vergeblich an Wänden zappelt und abprallt, weil man an ihnen gar nicht hochsteigen kann.
Wer die Grundprinzipien verstanden hat, versteht den Rest wie von selbst: Erst wird die Umgebung mit dem Adler ausgekundschaftet (etwas, das anfangs sehr hübsch und simpel ausfällt, aber auf Dauer müßige Routine wird), dann ins Zielgebiet schleichen (zumindest so lange, bis man entdeckt wird), und schließlich: mittendrauf auf die Zwölf. Im Grunde ähnlich wie früher, nur dass das Kämpfen nun ein Kämpfen ist, das Schleichen aber kein richtiges Schleichen mehr.
Verglichen mit den bis ins kleinste Detail hinein designten Schleich-Sandkästen der vorherigen Teile, mit ihren klug platzierten Gebüschen zum Verstecken, den Zinnen an genau den richtigen Stellen zum Sturzangriff und Sichtschutz, wo er hilfreich ist, wirken die Schauplätze in Origins eher lieblos und austauschbar. „Schleich, wenn du willst“, scheinen die Entwickler zu sagen, „aber extra Mühe machen wir uns deswegen nicht.“
Denn Assassin's Creed: Origins ist zu großen Teilen eigentlich schon lange kein richtiges Assassin's Creed mehr – zumindest kein solches, das Serienerfinder Patrice Desilets ursprünglich als Vision vor Augen hatte. Was man heutzutage fast vergessen zu haben scheint: Die ersten beiden Teile waren noch nicht einmal Open-World-Spiele. Stattdessen ging es um das Planen eines Attentats, die taktische Durchführung und die anschließende Flucht. Mehr Hitman, weniger GTA.
Assassin's Creed begann als Parcours-Spiel, mit Verfolgungsjagden über Dächer, Versteckspielen auf Parkbänken und in Brunnen und dem Flüchten durch im Weg stehende Menschenmassen. Da versteckte man sich im Dickicht und hielt die Luft an, während die Wachen nach einem Ausschau hielten. Gibt's alles nicht mehr, bzw. nur noch in Ansätzen. Heute heißt es: rein ins Feindeslager, hoch die Hände, Wochenende, weiter zum Nächsten. Assassin's Creed begann als ein neuartiges Wahrnehmen des dreidimensionalen Raums, der nicht nur in der Ebene, sondern auch die Wände hinauf in der Vertikalen durchmessen werden wollte. Heute stehen wir mitten in der Wüste. Da gibt’s keine Vertikalen.
Geklettert wird eigentlich nicht mehr, weil es ein zentrales Spielelement ist, sondern weil der Weg Außenrum länger dauern würde als der Hopser über die Mauer. Aus Faulheit also. Selbst den Weg auf die Türme, die es noch immer zu erklimmen gilt, müssen wir nicht mehr finden - mal zur Seite weichen, um einen passenden Haltepunkt zu erspähen oder Ausschau nach dem passenden Riss im Gemäuer halten – stattdessen heißt es: einfach geradeaus, ein Haltegriff ist immer, wirklich immer in Reichweite. Für Bayek ist eine Wand quasi auch nur ein Weg, den jemand hochgeklappt hat.
Assassin's Creed trat Jahre lang auf der Stelle und tat gut daran, sich genau anzuhören, was die Konkurrenz zum Thema Open-World zu sagen hatte. Also schnappte es sich das Rollenspielsystem von Far Cry, das Kampfsystem von Dark Souls, die abwechslungsreichen Nebenmissionen von Horizon: Zero Dawn, das Erleben von Weite und Landschaft in Red Dead Redemption und die Detektivermittlungen von Batman Arkham, nahm das alles ungefähr mal Drei oder mal Vier und machte daraus das wahrscheinlich beste Assassin's Creed seit Langem, vielleicht sogar überhaupt. Rückt damit aber auch näher an die genannten Spiele als an die Eigenständigkeit, die es einst auszeichnete. Ob das gut oder schlecht ist, will ich an dieser Stelle gar nicht beurteilen – das ist pure Geschmackssache.
Und sonst so? Online und Lootboxen
Obwohl der Test bis hierhin schon außergewöhnlich lang geworden ist, wurden viele Dinge noch gar nicht angesprochen – ein weiteres Zeichen für die erstaunliche Größe dieses Spiels. Die Gladiatorenarena etwa, der zweite spielbare Charakter, die Parallelhandlung in der Gegenwart, die Wagenrennen, in denen wie bei Ben Hur mit allen Mitteln gedrängelt und getrickst wird, oder auch das (ebenfalls entfernt von Dark Souls inspirierte) Onlinesystem, bei dem andere Spieler bei ihrem Ableben ihr Zeichen auf dem Boden hinterlassen und nun von euch für ein bisschen Loot gerächt werden dürfen.
Das leidige Thema Lootboxen will ich eigentlich lieber totschweigen und gar nicht erst ansprechen. Es gibt sie, ihr braucht sie nicht, sie sind doof, kauft sie am besten einfach nicht. Punkt. Glücklicherweise drängen sie sich nicht auf und sind spielerisch komplett unerheblich. Und damit erübrigt sich jeder weitere Gedanke, den man daran verschwenden sollte.
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