Test - A Plague Tale: Requiem : So schrecklich schön kann Next-Gen sein
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Als A Plague Tale: Innocence im Mai 2019 erschien, rangierte es lange Zeit noch unter der Rubrik „Geheimtipp“. Völlig unverständlich eigentlich, hatte der Titel doch im Vorfeld bereits mit etlichen eindrucksvollen Trailern seine spektakuläre Inszenierung, eine sensationelle Grafik und den faszinierend einzigartigen Hintergrund einer furchteinflößenden Rattenplage im französischen Mittelalter zur Schau gestellt. Doch neue Marken brauchen anscheinend nun mal ihre Zeit, um sich in den Köpfen der Spieler zu verankern, ganz langsam, Schritt für Schritt: ein Sale zum halben Preis hier, ein Gastspiel im Game Pass da, und schließlich vor allem viel Mund-zu-Mund-Propaganda. Vielleicht ist der Nachfolger nun bereit für den großen Wurf. Denn verdient hätte er es allemal.
Der Vorgänger A Plague Tale: Innocence gehört grafisch noch immer zu einem der schönsten Spiele, die es gibt. Und das, obwohl mit dem französischen Studio Asobo ein Entwickler am Werke war, der zuvor kaum in Erscheinung getreten war und den man daher aus dem Bauch heraus vermutlich eher in der Kategorie „Indie“ einordnen würde. Nun, ganz so indie, wie es scheint, ist Asobo schon lange nicht mehr. Nachdem sich die Franzosen lange Zeit mit Auftragsarbeiten wie Spielen zu Pixar-Filmen oder digitalen Umsetzungen von Monopoly verdingten, gingen sie 2016 eine Partnerschaft mit Microsoft ein, um Anwendungen für deren Hololens-AR-Brille zu entwickeln. Hierfür wurde das Studio personell massiv aufgestockt, und auch wenn Hololens bis heute vergeblich auf seinen kommerziellen Markteintritt wartet, verschaffte sich Asobo dadurch die Expertise, mit dem Flight Simulator ein wahres Mammutprojekt übernehmen zu dürfen, das buchstäblich alle Grenzen sprengt. Spätestens seitdem spielen sie klar erkennbar in der A-Liga.
Die Grafik: So schön kann Next-Gen sein
Bevor wir uns dem Nachfolger A Plague Tale: Requiem im Detail widmen, verweilen wir erstmal noch für einen Moment bei dem Aspekt, der als allererstes ins Auge springt und bis zum Schluss nicht mehr daraus weichen wird: die sensationelle Grafik, die diesmal ausschließlich auf der Next-Gen-Hardware von PC, PS5 und Xbox Series X|S erstrahlt und auch nur dort möglich ist. A Plaque Tale: Requiem sieht sagenhaft gut aus. Diese Fülle an Details, diese atemberaubende Weitsicht, die sensationelle Inszenierung!
Selbst in einer Disziplin, an deren technischen Herausforderungen sogar große Publisher wie Ubisoft regelmäßig zu knapsen haben, nämlich den Gesichtsanimationen, liefert Asobo absolute Referenzklasse ab. Sicherlich wird es in dieser Konsolen-Generation irgendwann Spiele geben, die die Luft nach oben noch etwas inbrünstiger einatmen werden, doch zum jetzigen Zeitpunkt steht Requiem auf Augenhöhe mit ähnlich gearteten optischen Vorzeigetiteln wie The Last of Us 2 oder God of War.
Mit welcher Liebe zum winzigen Detail einerseits und der Lust zum pompösen Panorama andererseits die Entwickler ihre Welt zum Leben erwecken, lädt ein ums andere Mal zum Innehalten und ehrfürchtigen Staunen ein. Wenn sich die purpurnen Lavendelblüten der malerisch in Szene gesetzten Provence im Licht der untergehenden Sonne wiegen, während die Klippe am Horizont ins golden glänzende Meer absinkt und der Nebel bereits aus den Wiesen emporsteigt, raubt dieser Anblick schlicht den Atem.
Doch nicht nur Landschaft, Atmosphäre und Lichtstimmung können die Franzosen wie aktuell kaum ein anderes Studio, auch bei der Lebendigkeit ihrer Spielwelt, an der andere Entwickler aus Kostengründen gerne mal sparen, ließen sie sich alles andere als lumpen: Als sich etwa Heldin Amicia und Hugo auf einer idyllischen Mittelmeerinsel auf einem farbenfrohen Blumenfest eine Auszeit vom furiosen Abenteuer gönnen, finden sie sich nicht inmitten von strammstehenden Klon-NPCs wieder, die ihre mechanischen Bewegungen aus der Retorte abspulen. Stattdessen bilden diese einen organischen und aufwändig animierten Bestandteil des Geschehens, streiten am Fischstand über den Preis, tanzen ausgelassen zur Laute der Musiker oder prosten sich über die Bierbank hinweg zu. Amicia wer und Hugo wo, fragt ihr? Nun gut, kommen wir endlich zum eigentlichen Spiel.
Die Story: Requiem for a Dream
Nachdem sie die Rattenplage im ersten Teil erfolgreich eindämmen konnten, sehnen sich die junge Amicia und ihr kleiner Bruder Hugo nach einem friedlichen Neuanfang. Doch in Hugo schlummert noch immer die unheilige Macht, die ihm die Kontrolle über die Ratten verleiht und alsbald zu seinem Fluch wird. Kaum haben die beiden mit ihrer Mutter damit begonnen, sich an neuer Stätte ein neues Leben aufzubauen, kehren die Schwärme der Bestien auch schon zurück. Es scheint nur eine Möglichkeit zu geben, das Unheil endgültig aufzuhalten: das heilige Wasser auf einer unbekannten Insel, die Hugo wiederkehrend im Traum erscheint und ihn von dem verfluchten Mal angeblich zu heilen vermag. Also beginnt für die beiden eine beschwerliche Reise mit ungewissem Ziel und Ausgang …
Wie schon der erste Teil erzählt auch Requiem nur vordergründig von einem gefahrvollen Abenteuer und den übermenschlichen Strapazen, die es abverlangt. In seinem Herzen ist das Plague-Tale die Geschichte seiner Heldin, die als Schutzbefohlene ihres kleinen Bruders von einem Augenblick auf den anderen über sich hinauswachsen muss, während sie eigentlich selbst noch ein unerfahrenes Kind ist. Teil 2 schreibt diese Entwicklung aus dem Vorgänger konsequent und feinfühlig fort: Angesichts von Hugos übermenschlicher Kraft und ihrer eigenen Ohnmacht gegenüber den skrupellosen Soldaten, die rücksichtslos die Bevölkerung ermorden, um die Seuche einzudämmen, überschreitet Amicia regelmäßig Grenzen, über die es womöglich kein Zurück mehr geben wird.
Den Autoren von A Plague Tale: Requiem gelingt es geschickt und subtil, eine gleichsam sympathische wie doch höchst ambivalente Heldin zu zeichnen, die es mit dem Übel der gesamten Welt aufnimmt, während sie zusehends das Gespür dafür verliert, ob sie dieses womöglich nicht selbst heraufbeschwört. Noch fast verstörender als die Momente, in denen Amicia wie eine verzweifelte Berserkerin um ihr Leben kämpfend reihenweise Soldaten tötet, sind darum beinahe schon die Augenblicke der besinnlichen Auszeit, wenn sie etwa mit ihrem Bruder verspielt auf einem Bett herumhüpft und dem Spieler dadurch erst wieder gewahr macht, dass sie eben eigentlich keine Videospiel-Amazone wie Lara Croft, sondern tatsächlich selbst noch ein Kind ist.
Das Gameplay: story-driven Singleplayer-Schleich-Adventure
Sein Wechselbad der Gefühle spiegelt A Plague Tale: Requiem auch spielerisch im ständigen Wechsel seiner verschiedenen Spielmechaniken: Schleich-Passagen vorbei an Soldaten werden kontrastiert durch Rätsel-Abschnitte, in denen ihr eure unterschiedlichen Möglichkeiten einsetzen müsst, um euch den Weg durch ein Meer tödlicher Ratten zu bahnen. Dann wiederum gewähren Walking-Simulator-artige Szenen besinnliche Ruhepausen, um Geschichte und Charaktere zu vertiefen, bevor plötzlich wieder das pure inszenatorische Spektakel ausbricht.
Und, meine Fresse!, was für ein Spektakel die Entwickler hier auffahren: Wenn Amicia und Hugo aus der Stadt flüchten, während diese links und rechts von einer Sintflut aus Ratten dem Erdboden gleichgemacht wird, ist das zwar spielerisch und inhaltlich so hohl wie ein Film von Michael Bay, jedoch von mindestens ebensolchen Krawalldimensionen, dass einem die Spucke wegbleibt. Was die Entwickler in solcherlei Szenen an technischer Finesse auffahren, Abertausende Ratten animieren, die sich wie Flutwellen durch die Straßengassen den Weg bahnen und dabei physikalisch korrekt ganze Burgmauern zum Einsturz bringen, ist einzig und allein mit der Hardware-Power von PS5 und Co. möglich.
Wer den ersten Teil kennt, wird anhand der vorangegangenen Beschreibungen vermutlich schon festgestellt haben, dass A Plague Tale: Requiem diesem weitgehend im Ablauf ähnelt, und wer ihn nicht gespielt hat – und das dürften angesichts seines nach wie vor vorherrschenden Geheimtipp-Status nicht wenige sein –, den treibt womöglich die Frage um, ob er dessen Vorwissen benötigt. Nun, sagen wir so: Zwar wird man dem Geschehen auch ohne seine Kenntnis halbwegs folgen können, da die beiden Spiele aber unmittelbar aneinander anschließen, schadet es nicht, ihn gespielt zu haben. Zumal es keinen Grund gibt, ihn nicht auch jetzt noch vorher schnell nachzuholen. Er ist mittlerweile häufig im günstigen Sonderangebot zu haben, sieht immer noch fantastisch aus und hat auch spielerisch nichts von seiner Faszination verloren.
Vor allem aber im Umfang sprengt Teil 2 die Dimensionen des ersten Teils um Längen. War dieser mit etwa 10 Stunden Spielzeit noch recht kurz und knackig angelegt, verdoppelt der Nachfolger diese mal eben auf fulminante 20 bis 25 Stunden – was angesichts der extrem hohen Produktionsqualität umso bemerkenswerter wirkt: Wie sein Vorgänger ist auch A Plague Tale: Requiem ein stets vorwärtstreibendes, lineares Singleplayer-Spiel, wiederholt sich also auch nicht in wiederkehrender Austauschbarkeit, sondern führt mit jedem Schritt, jedem Abschnitt und jedem Kapitel an völlig neue und andersartige Orte. Jede Minute davon dient gezielt der Unterhaltung und nicht dem bloßen Strecken von Spielzeit.
Allen, die in diesem Sinne nach dem Anschauen der Trailer mit ihren weiten Landschaften eine Öffnung der Spielerfahrung ins Revier der Open-World-Spiele vermutet haben, sei daher an dieser Stelle gesagt: nein. A Plague Tale 2 ist weiterhin ebenso linear und „story-driven“ aufgebaut wie sein Vorgänger, gestaltet aber seine einzelnen Abschnitte deutlicher offener und gewährt vielseitigere taktische Möglichkeiten.
Vor allem die Schleichabschnitte, die im ersten Teil noch recht stringent gefasst waren und oftmals eine einzige, ganz bestimmte Vorgehensweise nahelegten, mehr ein zu lösendes Puzzle bildeten als eine spielmechanische Sandbox-Tüftelei, schließen nun mit der Freiheit „richtiger“ Stealth-Spiele wie The Last of Us auf: im hohen Gras verstecken, die Patrouillenwege auskundschaften, für Ablenkung sorgen und im richtigen Moment die Deckung wechseln. Die Areale dafür fallen nun deutlich größer und weitläufiger aus, was einerseits die spielerische Bandbreite und den Tiefgang erhöht, andererseits aber auch überfordern kann, weil immer mal wieder nicht so ganz klar ist, was das Spiel „gerade von einem will“.
Denn durch die erhöhte Offenheit „schleichen“ sich buchstäblich auf der Kehrseite der neuen Möglichkeiten auch die typischen Macken ähnlich gestrickter Stealth-Spiele ein, wie Gegner, deren KI zu sensibel oder nicht wie erwartet reagiert, oder Situationen, die in Ermangelung eines optimalen Weges in Trial & Error ausarten, was ungeduldige Spieler (wie mich) zwischenzeitlich leicht frustrieren kann.
Doch selbst wenn es soweit kommt, hält dieser Zustand niemals lange an, denn dafür ist A Plague Tale viel zu abwechslungsreich gestaltet und wechselt schon wenige Minuten später wieder völlig seine spielerische Richtung. In einen der Rätsel-Abschnitte etwa, in denen ihr eure zahlreichen spielerischen Möglichkeiten clever einsetzen müsst, um euch den Weg durch ein Meer von Ratten zu bahnen: mit der Steinschleuder aus der Ferne Fackeln löschen, um die Wachen schutzlos den Biestern zum Fraß vorzuwerfen, sie mit Ködern in eine entfernte Ecke locken, um hastig an ihnen vorbei zu gelangen, oder ihr vertraut auf Hugos mentale Verbindung zu den Ratten, um kurzzeitig geistig mit ihrem Schwarm zu verschmelzen und derartig ihre tödliche Verheerung wie eine unaufhaltsame Welle des Todes mitten hinein in die Reihen eurer Feinde zu befehligen.
Wie an letzterem Beispiel zu sehen ist, gewährt euch Teil 2 auch in der Gameplay-Disziplin mehr Möglichkeiten und Freiheiten als sein Vorgänger: Kleine Töpfe lassen sich als Bomben zweckentfremden, um die verschiedenen alchemistischen Ladungen flächendeckend einzusetzen, womit sich unter anderem ein lodernder Feuerteppich entfachen lässt oder ein flackerndes Lagerfeuer kurzzeitig zum Flammeninferno verstärkt wird. Auch eine Armbrust erhält Amicia dieses Mal, mit der sie Gegner direkt erledigen kann, doch die höchst spärlich vorhandene Munition dafür weise rationieren muss.
Kritikpunkte: mehr ist manchmal mehr und gleichzeitig weniger
Und wieder erweisen sich die zusätzlichen Features als zweischneidiges Schwert: Während sie dem Spielgeschehen auf der einen Seite mehr Vielschichtigkeit verleihen und zusätzliche Überlegungen zur idealen Vorgehensweise anregen, verkomplizieren sie es auf der anderen Seite lediglich, weil sich die Einsatzarten nichtsdestotrotz weitgehend ähneln, ihre jeweiligen Unterschiede im Wust der Möglichkeiten aber nicht immer sofort zu durchschauen sind.
Aber wie man so sagt: Das alles ist Meckern auf hohem Niveau. A Plague Tale: Requiem ist zweifellos ein grandioses Spiel und bildet in jederlei Hinsicht eine konsequente Weiterentwicklung seines schon famosen Vorgängers. Aber wie manch einer womöglich ebenfalls sagen wird, haben die Entwickler im Versuch, sich der Kritikpunkte am Vorgänger anzunehmen, das Spiel weniger linear und eindeutig, dafür offener und vielseitiger zu gestalten, es an mancherlei Stelle womöglich leicht verschlimmbessert – zumindest für die Geschmäcker derer, die sich schnell frustrieren lassen, wenn sich in Schleichspielen ein scheinbar perfekt ausgetüftelter Plan nicht sofort erfolgreich in die Tat umsetzen lässt.
Wer sich hingegen davon fesseln lässt, die eigene Vorgehensweise kontinuierlich zu optimieren und dies etwa auch im in dieserlei Hinsicht sehr ähnlichen The Last of Us zu schätzen wusste, der wird von Requiem regelrecht aufgesogen. Zum Glück sind zudem die Speicherpunkte so zuvorkommend gesetzt, dass einmal erspielter Fortschritt so gut wie nie verloren geht, selbst wenn es sich dabei nur um wenige Meter handelt. Notfalls könnt ihr auch in einen leichteren Schwierigkeitsgrad herunterschalten.
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Doch wo wir gerade bei Kritikpunkten sind: Auch die Geschichte, die im ersten Teil noch halbwegs subtil als doppeldeutige Parabel auf die Heimsuchung durch die Pest lesbar war und die Ohnmacht der Menschen veranschaulichte, die sich im Angesicht einer unfassbaren Bedrohung in Irrglauben und blindwütigen Hass flüchten, wird im Nachfolger etwas zu sehr von wirrem Mystik-Quark aus dem Handbuch für 08/15-Fantasy-Epik durchtränkt und dadurch verwässert. Die (seltenen) Kampfszenen, auf die das Spielprinzip im Grunde nur unzureichend ausgelegt ist, verbuchen wir mal als mehr oder weniger missglückten Versuch der Auflockerung.
Was die Erfahrung aber letzten Endes ohnehin über alles hinweg überstrahlt, ist seine sich völlig verausgabende Atmosphäre, die das Spielerlebnis zu jeder Zeit maßgeblich ausfüllt: der Morast des verkommenen Hafenviertels, in dem die Soldaten die Leichen der Verzehrten aufstapeln, um sie vom Rest der Bevölkerung abzuschotten, die grotesken Höhlen des Rattennestes, in dem Tausende glühende Augen aus der Dunkelheit starren und nur auf den Moment warten, dass der schützende Schein der Fackel um Amicia und ihre Gefährten erlischt, um zuschlagen zu können, und dann aber eben auch die malerische Postkartenidylle der französischen Provence mit ihren farbenfrohen Blumenwiesen und den pittoresken Windmühlen.
All das wird getragen von einem Soundtrack, der die jeweilige Stimmung perfekt unterstreicht: sphärische Choräle in den besinnlichen Momenten, disharmonisches Flirren der Streicher im Angesicht wabernder Rattenschwärme und martialische Posaunen vor dem Hintergrund lodernder Städte. Auch die exzellente deutsche Vertonung verdient eine gesonderte Erwähnung. Bleibt zu hoffen, dass A Plague Tale mit Requiem endlich der Sprung aus dem ewigen Geheimtipp-Dasein gelingt. Wer die 60 Euro dafür scheut, aber den Game Pass abonniert hat, in dem das Spiel zum Launch enthalten ist, hat ohnehin keine Ausrede.
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