Test - Zenless Zone Zero : Test: Atemberaubende Anime-Action mit gierigem Gacha-Gegängel
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Mit Genshin Impact und Honkai Star Rail hat Entwickler HoYoverse schon zwei F2P-Titanen im Portfolio. Jetzt machen sie mit Zenless Zone Zero weiter und verfrachten ihre mittlerweile typische Formel aus herausragendem Welten-Design, freizügigen Anime-Mädels und aufdringlichem Gacha-System in ein dystopisches, urbanes Fantasy-Setting.
Zenless Zone Zero einem einzigen Genre zuzuweisen fällt schwer bei den unzähligen verschiedenen Spielmodi, Mini-Games und spielerischen Ebenen. Allem zugrunde liegt ein vielschichtiges Singleplayer-Rollenspiel, das jedoch Facetten von Pokémon, Snake, WWE 2K24, Sokoban, Zelda, Plants vs. Zombies, Mensch ärgere dich nicht und einem Kaugummiautomaten beinhaltet. Sollte euch das verwirren, dann seid ihr in der perfekten Stimmung, denn Verwirrung hat bei ZZZ Methode. Versuchen wir also mal, dieses komplexe Konstrukt auseinanderzunehmen und herauszufinden, ob inmitten dieses Chaos ein gutes Spiel steckt.
So ein Wahnsinn! Warum schickst du mich in die Höhle?
Beginnen wir mit dem, was alles zusammenhält, nämlich der Story. In einer verträumten Nebenstraße von New Eridu steht eine schnuckelige Videothek, die von den Geschwistern Belle (weiblicher Spielercharakter) und Wise (männlicher Spielercharakter) geleitet wird. Das Verleihen von Videobändern ist allerdings nur eine Fassade, denn im Hinterzimmer gehen die beiden ihrem eigentlichen Geschäft nach.
Unter der Stadt gibt es nämlich ein ganzes Netzwerk von übernatürlichen Höhlen (eigentlich Taschendimensionen) und Tunneln, die plötzlich auftauchen und wieder verschwinden, ohne Ankündigung ihre Form ändern oder ganze Stadtteile verschlingen. Was dachtet ihr, warum es “New” Eridu heißt? Hat man einen richtig schlechten Tag, dann passiert es schon mal, dass die Straße, auf der man gerade fährt, plötzlich absinkt und in die Tunnel stürzt. Um die monsterverseuchten Höhlen ohne Schaden zu durchqueren, braucht es spezielle Personen, die sich auf die Navigation dort spezialisiert haben.
Belle und Wise gehören insgeheim zu den besten unter diesen sogenannten Proxys und helfen jedem, egal ob Sicherheitsbehörde, Konzern oder Plünderer, solange nur der Preis stimmt. Doch in solch einem riskanten Gewerbe macht man sich schnell mächtige Feinde und da ist es eben gut, wenn man inkognito vom Hinterzimmer einer unscheinbaren Videothek aus operieren kann. Alles klar soweit?
Spiele sind wie Zwiebeln. Sie haben Schichten.
Aus der Story ergeben sich drei verschiedene Arten des Spielablaufs. Mit Belle oder Wise (je nach persönlicher Vorliebe) erkundet ihr die Straßen von New Eridu. Anfangs ist das nur der Bereich um die Videothek herum, später schalten sich weitere abgetrennte Areale wie Baustellen oder Militärstützpunkte frei, in denen weitere Quest und Nebenaufgaben warten.
Kämpfe gibt es in diesem Modus allerdings keine. Erkunden bedeutet hier tatsächlich nur herumlaufen, mit allen Leuten reden, Katzen streicheln, Botengänge oder Fetch-Quests erledigen, den Highscore bei Snake in der örtlichen Arcade jagen oder Geheimnisse finden. Was in anderen Spielen ziemlich langweilig oder zumindest langatmig sein könnte, gehört in ZZZ fast schon zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Denn die Welt ist enorm detailreich gestaltet und verändert sich je nach (Ingame-)Tageszeit und aktuellem Fortschritt in der Hauptgeschichte. So sind nachts natürlich andere Passanten unterwegs als tagsüber, neue Geschäfte eröffnen und kleine, manchmal lustige und teilweise auch dramatische Nebengeschichten entwickeln sich weiter.
Ganz nebenbei will noch eine Videothek geführt werden. Dazu wählt ihr einmal pro (echtem) Tag die Kassetten für die Auslage, stellt Helfer ein, die für euch den Verkauf und das Marketing übernehmen, und kümmert euch um die Kunden und ihre Vorlieben. All das hat praktisch nichts mit den Höhlen, eurem eigentlichen Kernthema, zu tun, sondern dient nur dazu, euch die Welt näherzubringen und auch außerhalb der eigentlichen Missionen Geld, Ansehen und Ressourcen zu verdienen. Fast schon eine abgespeckte Version von Shenmue, nur dass Ryo Hazuki sich damals nur mit Kung-Fu-Gangstern und mythischen Spiegeln auseinandersetzen musste und nicht mit ständig anders aussehenden Höhlen und irgendwelchen Äther-Monstern.
Folge dem weißen Kaninchen!
Eigentlich seid ihr aber nicht zur Nachbarschaftshilfe hier, sondern wollt euch einen Namen als Proxy machen und ordentlich Kohle scheffeln. Hier kommt die zweite Ebene ins Spiel. Habt ihr auf der Straße oder über Social Media einen Proxy-Auftrag angenommen, dann geht es ab in die Höhle. Da ihr diesen Teil aber von der Couch im Hinterzimmer aus erledigt, werden die Höhlen durch ein Raster an Monitoren repräsentiert, über die ihr wie bei einem Schachbrett euren Avatar – eine Art mechanisches Hasen-Maskottchen – schiebt. Hier löst ihr kleine Sokoban-Rätsel oder deckt neue Felder auf, bis sich euch ein Ausgang respektive die weitere Story präsentiert.
Das mutet im ersten Moment ein bisschen lahm an, aber das täuscht! HoYoverse holt alles aus dieser vermeintlich reduzierten Mechanik raus. Jede Mission (und davon gibt es eine ganze Menge) spielt sich anders und bringt neue Spielelemente ein. Mal müssen wie bei Plants vs. Zombies sich nähernde Feinde mit einer Reihe von Kanonen zurückgedrängt werden, in einem anderen Level entwickelt sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit einem Gegner und wieder woanders hilft man mit Schaltern einer anderen Gruppe, auf einem anderen Brett den Weg zu finden, ohne entdeckt zu werden.
Schwierig ist das alles nicht, aber dafür ist es eine faszinierende Art, überraschend dramatische Geschichten zu erzählen. Wer bereits Genshin oder Honkai gespielt hat, dem dürften die andauernden Events mit ständig neuen Minispielen bekannt sein. Es kommt einem so vor, als hätte sich HoYoverse eine dieser Minispiel-Ideen genommen und mal ausprobiert, wie viel mit so begrenzten Mitteln aus der Story herauszuholen ist. Nur, wenn es tatsächlich mal zu einem Kampf kommt, stößt das Spielbrett an seine Grenzen, aber dafür gibt es die letzte Spielebene.
Drei glorreiche Halunken
Kämpfe in den Höhlen sehen so ähnlich aus wie das Erkunden der Oberwelt, mit dem Unterschied, dass ihr diesmal nicht Wise oder Belle spielt. Wie bereits erwähnt navigieren die Geschwister andere Personen durch die Höhlen und betreten diese nicht selbst. Dazu steht euch ein Team aus drei Agenten zur Verfügung, welches ihr für gewöhnlich frei zusammenstellen könnt.
Momentan gibt es davon 16 Stück, die alle unterschiedliche Fähigkeiten und Synergien mitbringen, passende Ausrüstung haben wollen und im Level aufsteigen können. Allerdings soll der Pool an Agenten in regelmäßigen Abständen erweitert werden. Direkt zu Beginn überlässt euch das Spiel zum Beispiel die Kontrolle über die Cunning Hares, eine Gruppe von liebenswürdigen und chaotischen Banditen, bestehend aus der Anführerin Nicole, der technisch begabten Schwertkämpferin Anby und dem Pistolero Billy Kid.
Während der actionreichen und wuchtig inszenierten Kämpfe könnt ihr jederzeit zwischen den drei Agenten wechseln und ihre jeweiligen Stärken ausspielen. Nicole zieht Gegner mit ihren Gravitationsfeldern zusammen, sodass Anby möglichst viele gleichzeitig mit ihren Elektro-Angriffen betäuben kann. Anschließend gibt ihnen Billy mit Salven aus seinen beiden Pistolen den Rest.
Diese Tag-Team-Action kommt aber erst beim Kontern vollständig zum Einsatz. Holt ein Gegner zum Angriff aus und ihr drückt im richtigen Moment die Taste zum Figurentausch, springt der neue Agent in den Kampf und blockt alles ab, was der Feind euch entgegenschleudert, nur um dann direkt zum Gegenschlag auszuholen. Wenn Genshin ein aktives Kampfsystem hatte und Honkai ein passives oder rundenbasiertes, dann würde ich ZZZ ein reaktives System attestieren, so wichtig ist das Kontern im Gegensatz zu den normalen Standardangriffen. Seid ihr ausgeschlafen und verfügt über die nötigen Reflexe, braucht ihr kaum einen Gegner fürchten.
Am Ende kommt alles auf die Zusammenstellung eures Teams an. Agenten, die derselben Fraktion angehören (wie die Cunning Hares) oder das gleiche Element präferieren (bei Anby z.B. Elektro), schalten mächtige Synergie-Effekte frei. Auf der anderen Seite macht es wenig Sinn, sich mit drei Support-Charakteren (wie Nicole) oder ausschließlich Schadensausteilern (wie Billy) zusammenzutun. In die richtige Zusammenstellung von Teams und die jeweils beste Ausrüstung für die Charaktere kann man Stunden und Tage investieren und spätestens, wenn neue Agenten veröffentlicht werden, wirft das alles wieder über den Haufen und die Überlegungen fangen von vorne an.
Glücksspiel und leicht bekleidete Mädchen
Jetzt stellt sich nur noch die Frage, wie ihr überhaupt an diese Agenten und ihre Ausrüstung herankommt. Das ist leider der Moment, an dem das ganze schöne Kartenhaus aus liebevollem Charakter- und Welt-Design, schier endloser Menge an Content, spannenden Kämpfen und enorm tiefen Taktik-System durch die Zusammenstellung von Agenten in sich zusammenfällt. Denn mal abgesehen von all diesen Dingen ist ZZZ genau wie die anderen Spiele von HoYoverse vor allem darauf ausgelegt, euch möglichst viel Geld aus der Tasche zu ziehen.
Wahrscheinlich ist euch schon aufgefallen, dass ich ein paar wichtige Dinge nicht angesprochen habe. Warum sollte man sich die Mühe machen, New Eridu zu erkunden? Und wie läuft das mit den Ressourcen und dem Verbessern der Charaktere ab? Die Antwort auf all diese Fragen liegt im Finanzierungsmodell von ZZZ und seinen Geschwister-Spielen Genshin und Honkai.
Neue Agenten und W-Motoren (die Waffen der Charaktere) erhaltet ihr hauptsächlich über ein Gacha-System. Ähnlich wie bei einem Kaugummiautomaten zahlt ihr eine gewisse Gebühr, dürft dafür einmal am Rad drehen und bekommt einen Charakter ausgespuckt. Auf die Geschmacksrichtung oder darauf, welcher Charakter genau erscheint, habt ihr keinen Einfluss. Geht euch irgendwann die Ingame-Währung für den Dreh aus, bietet euch HoYoverse großzügig die Möglichkeit, mit echtem Geld zu spielen. Und sie nutzen jeden miesen Trick, um euch möglichst oft zum Öffnen der Brieftasche zu drängen.
Da wäre zum Beispiel das Design der Agenten. Von den aktuell 16 verfügbaren Charakteren sind nur zwei Männer und lässt man mal Bär und Wolf außen vor, dann bleiben ausschließlich zwölf junge Mädchen mit kurzen Röcken, Hotpants und knappen Oberteilen. Das Design ist zwar noch nicht ganz so übersexualisiert wie zum Beispiel bei Stellar Blade, jedoch nicht weit davon entfernt. Das typische Anime-Kindchenschema wird zur Gänze ausgenutzt, um die Charaktere für (männliche) Spieler attraktiv zu machen. Die alte Marketing-Weisheit “Sex sells” gilt wohl auch hier.
Darf’s noch ein bisschen mehr sein?
Sogar das eigentlich geniale und taktische Kampfsystem verleitet zum Geldausgeben. Für euer perfektes Team fehlt euch nur noch ein bestimmter Charakter, den es nur eine begrenzte Zeit lang gibt? Dann versucht doch mal euer Glück! Und wenn ihr trotz allem Pech haben solltet, dann ist euch das optimale Team sicherlich die fünf oder vielleicht zehn Euro wert, oder? Vielleicht wäre es noch besser, wenn ihr gleich zwei Kopien holen würdet, denn dann schaltet ihr besonders mächtige Fähigkeiten frei.
Habt ihr tatsächlich einen passenden Charakter bekommen, will der natürlich hochgelevelt werden. Und seine sechs Fähigkeiten müsst ihr ebenfalls steigern, genau wie seinen W-Motor. Dafür braucht ihr Ressourcen, die ihr in besonderen Spielmodi farmen könnt. Allerdings müsst ihr dafür ordentlich Geduld mitbringen. Jeder Versuch kostet nämlich Batterie-Energie, und die lädt sich nur sehr langsam und in Echtzeit wieder auf. Wollt ihr nicht stundenlang zwischen den Versuchen warten, dann lässt sich die Energie natürlich mit ein wenig Echtgeld wieder vollpumpen – und die Reise geht direkt weiter.
Dazu kommen noch Dutzende unterschiedliche Materialien und allein acht (!) verschiedene Währungen im Echtgeld-Shop, damit niemand mehr nachvollziehen kann, wie viel Geld tatsächlich für etwas ausgeben werden muss. Solche Methoden kennt man sonst nur von fragwürdigen Handyspielchen ...
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