Test - Shadowrun Chronicles: Boston Lockdown : Zwischen "Neuromancer" und "Matrix"
- PC
Bereits im Jahre 1989 wurde die erste Version des Pen-&-Paper-Rollenspiels "Shadowrun" veröffentlicht. Bis heute hat sich das angenehm schnell spielbare System gehalten - nicht zuletzt dank der wilden Mischung aus Cyberpunk, Science-Fiction, Fantasy und zahlreichen Genres mehr, die der Welt von Shadowrun etwas ganz Eigenes geben.
Die Geschichte der Entwicklung von Shadowrun Chronicles: Boston Lockdown ist lang und verworren. Was zunächst Shadowrun Online hieß und den Eindruck eines MMORPGs erweckte, ist jetzt ein Koop-Strategietitel im Stil von X-Com geworden. Die Geschichte rund um einen Drachen, der Chaos in Boston auslöst, scheint nur der Anfang einer episodenhaften Erzählung zu sein. Telltale Games macht vor, wie man Spieler mit neuen Episoden zufriedenstellt. Ob man Ähnliches mit Shadowrun Chronicles umsetzen wird, liegt ganz bei den Entwicklern und ist auch nicht angekündigt – der Name des Spiels suggeriert es aber. Die Geschichte von Boston Lockdown könnte etwas liebevoller und weniger statisch erzählt sein, die Präsentation ist im aktuellen Early-Access-Stadium ebenfalls noch ein wenig steif.
Veteranen des papier- und würfelgestützten Rollenspiels schätzen „Shadowrun“ besonders für seine Geschwindigkeit: Ist ein erfahrener Spieler anwesend, sind die Charaktere schnell erstellt und das jeweilige Abenteuer kann ohne große Verzögerungen beginnen. Die Spielfiguren sind die titelgebenden Shadowrunner. Die zu bestehenden Abenteuer sind nicht zufällig, sondern stets gezielt gewählte Einsätze – die sogenannten Shadowruns oder kurz: Runs. Das ist natürlich eine ideale Ausgangsbasis für ein Computer-Spiel. Wir wissen aber alle, dass man gegenüber Lizenzware skeptisch sein muss. Was das kleine Entwicklerstudio Cliffhanger Productions hier vorlegt, ist jedoch so nah am Original, dass man ins Staunen gerät – einen Referenztitel konnte man dennoch leider nicht vorlegen.
Magie, Hacker, Drachen – alles inklusive
Die Welt von „Shadowrun“ basiert auf der unsrigen, geht jedoch davon aus, dass im Jahre 2050 eine neue Welle der Magie über die Welt hereinbrach. Das Resultat ist eine Cyberpunk-Welt, die von William Gibsons „Neuromancer“-Romanreihe inspiriert ist, in der aber im Gegensatz zum Vorbild auch Trolle, Zauberer, Beschwörer und Drachen eine Rolle spielen. Diese Vielfalt an Themen, Charakterklassen und Story-Elementen kommt Boston Lockdown unmittelbar zugute.
Charaktererstellung, Fertigkeitenauswahl und auch die Geschichte des Titels zeigen eine große Tiefe, wobei euch Boston Lockdown dennoch nicht mit dieser Detailvielfalt überfährt. Tatsächlich werdet ihr eher zaghaft an die Hand genommen und in die Spielwelt eingeführt – und das obwohl der von euch erstellte Charakter erst einmal nach einem leicht klischeehaften Anfang ins Geschehen einsteigt: Ihr wacht ohne Erinnerung auf.
Unter der Haube von Boston Lockdown schlummert eine vereinfachte Version der „Shadowrun“-Regeln, die euch mit weitaus weniger Verwaltung konfrontiert als die rustikale Variante mit Radiergummi und Bleistift. Dennoch werden die geschulten Runner unter euch schon bei den Ausrüstungsgegenständen immer wieder über bekannte Namen und Bezeichnungen stolpern.
Rundenbasiert, anspruchsvoll und skrupellos
Das Kernstück der Spielerfahrung von Boston Lockdown sind natürlich die titelgebenden Runs. Deren Ziele wechseln zwar zwischen „beschaffe Datenchip X“ und „sende der feindlichen Gang eine Botschaft“ munter hin und her, letztlich liegt der Hauptaspekt jedoch stets auf dem Kampf. Die Kämpfe laufen rundenbasiert ab, was natürlich ein völlig anderes Gespür für Taktik und bei der Charakterentwicklung auch Strategie erfordert.
Vor einem Run unterhaltet ihr euch mit eurem Auftraggeber, der zu Beginn nahezu ausschließlich der enigmatische Smedley ist. Danach stellt ihr Ausrüstung sowie Team zusammen und vergebt möglicherweise übrig gebliebene Karmapunkte. Die Mitglieder eures Teams können andere menschliche Spieler sein, die gerade online sind, oder archetypische Bots, die mit dem Spielerlevel stärker werden.
Der Missionsverlauf und etwaige Verluste werden nicht kommentiert. Niemand weint gefallenen Runnern eine Träne nach, weder innerhalb der Mission noch danach. Was zählt, ist letztlich, dass das Missionsziel erfüllt ist und jemand vom Run zurückkehrt. Die so verdienten Karmapunkte und Geld der Währung Nuyen werden umgehend in Waffen, Rüstung, Cyber-Implantante und magische Ausrüstung investiert, um den nächsten Run zu schaffen.
Vorbereitung ist alles
Nachdem die ersten, einfachen Runs vorbei sind, trennt sich schnell die Spreu vom Weizen: Wer unvorbereitet in die düsteren Straßen abtaucht, wird schnell von Gegnern überrannt. Geht ihr nicht in Deckung oder behaltet ihr die Umgebung nicht im Auge, überseht ihr feindliche Schützen. Auch die Ausrüstung und die Begleiter wollen mit Bedacht gewählt werden. Wenn ihr ohne Hacker auf euren Run geht, bringt euch auch die Unterstützung von Smedleys Hacker von außen eventuell nichts mehr. Nahkämpfer verkraften meist mehr und halten euren Schützen den Rücken frei.
Obwohl der Schwierigkeitsgrad damit knackiger angelegt ist als bei isometrischen Titeln in Echtzeit, handelt es sich keinesfalls um ein hartes Spiel. Die in Boston Lockdown erzählte Story wird zwar keinen Preis gewinnen, nutzt aber viele Elemente der Lizenz und wartet mit sympathischen Charakteren auf.
Da wir das Spiel während der zum Test offiziell freigegebenen Early-Access-Phase geprüft haben, war es aufgrund von Updates zeitweise nicht spielbar. Einmal sind auch die Speicherstände spurlos verschwunden. Fehler wie diese sowie eine noch nicht gänzlich aufgezeichnete Sprachausgabe sollten nach dem Early Access nicht mehr auftreten.
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