Test - Lost Horizon 2 : Nach Geheimakte Tunguska
- PC
2006 leistete Animation Arts seinen Beitrag zum Erhalt von klassischen Adventures. Geheimakte Tunguska glänzte mit einer fabelhaften Steuerung und kniffligen wie fairen Rätseln, während die biedere Geschichte mangels kompetenter Konkurrenz wenig störte. Die Zeiten haben sich seither geändert, weshalb sich die Mannen aus Halle dachten: Wir müssen uns etwas Neues einfallen lassen.
Im Jahre 1942 wird Oskar Brunner Opfer der Nazidiktatur und vor den Augen seiner Kinder erschossen. 14 Jahre später trifft Fenton Paddock, der Held aus Lost Horizon, auf Anna, eine von Brunners Töchtern. Sie erklärt ihm, dass seine eigene Tochter Gwen in großer Gefahr schwebt und von den Sowjets entführt wurde. Während der Rettung wird Paddock mehr oder weniger unfreiwillig mit den Geheimnissen der nordischen Mythologie konfrontiert.
Planloses Plotkonstrukt
Bereits diese kurze Zusammenfassung hört sich sehr holprig an und in der Tat bleibt im Spiel nur ein Scherbenhaufen übrig. Die Charaktere sind entweder völlig überzeichnet oder sterbenslangweilig. Alle halbe Stunde gibt es einen schwer nachvollziehbaren Story-Sprung. Ständig werden neue Nebenfiguren hastig eingeführt und flugs abserviert. Während im letzten Kapitel eine halbwegs gelungene Wendung noch überrascht, wird die Freude darüber mit einem entsetzlich konstruierten, lieblos gestalteten Ende vollends kaputt gemacht.
Hinzu kommt: Die im Vorgänger von vielen gelobte Grafik, die größtenteils aus handgezeichneten Hintergründen bestand, wurde gegen eine technisch mäßige 3-D-Kulisse ausgetauscht. Zwar gibt es nun kleine Kamerafahrten anstatt starrer Bildchen, jedoch stellt keine davon in irgendeiner Form etwas Besonderes dar. Nur das letzte Kapitel sieht dezent schick aus, gleichwohl auch dort die Kulisse wenig originell präsentiert wird.
Animation Arts' größte Schwachstelle ist seit jeher das Rendern von Zwischensequenzen, was sich im Falle von Lost Horizon 2 weiter verschlimmert hat. Sämtliches vorgerendertes Material sieht scheußlich und unglaublich hölzern aus. Der Gipfel ist eine furchtbar inszenierte Action-Szene am Ende des ersten Kapitels, in der ihr während einer Verfolgungsjagd auf ein paar Kreissymbole klicken müsst.
Nichts Halbes und nichts Ganzes
Einerseits können wir froh sein, dass es bei einer Action-Sequenz bleibt. Andererseits bringt uns das zu einem anderen Problem von Lost Horizon 2: Es gibt erstaunlich viele Features, die nur ansatzweise integriert wurden. So wirbt das Spiel mit dem Kombinationstisch, der beim Zusammensetzen von mehr als zwei Objekten benötigt wird. Jedoch kommt dieser Tisch nur viermal im gesamten Spiel vor und wird sogar im letzten Kapitel vollständig ignoriert, obwohl ihr dort ebenfalls komplexere Basteleien vornehmen müsst (Stichwort “Bogen“).
Ähnlich unsinnig wirkt die kontextbezogene Steuerung, dank der ihr à la Amnesia den Griff einer Tür per Maustaste halten und sie per Ziehen öffnen müsst. Das ist zwar ein nettes Detail, das aber viel zu zaghaft implementiert wurde und in keiner Weise für eine stärkere Immersion oder eine intensivere Atmosphäre sorgt.
Sei es das Steuern von mehreren Charakteren, zwischen denen ihr wechseln könnt, seien es ein paar zeitkritische Passagen: Die Komplexität jedes einzelnen Features lässt stark zu wünschen übrig. Bereits nach ein paar lauwarmen Einsätzen sind diese Features schon wieder vergessen.
Faire Rätsel, aber fragwürdige Spielweltlogik
Neben der überraschend gut komponierten Musik im letzten Kapitel ist nur das klassische Rätsel-Design größtenteils gelungen. Egal ob ihr die Symbole von Steinringen anhand kryptischer Säulen anordnen, einen Generator mithilfe einer unvollständigen Anleitung aktivieren oder in einer Dialogkette einen Professor ausfindig machen müsst: Die Lösungen lassen sich stets durch eine gesunde Mischung aus logischem Nachdenken und etwas Trial & Error austüfteln.
Leider gilt das nicht für die Nachvollziehbarkeit im Kontext mit der Spielwelt. So müsst ihr an einer Stelle einen geheimen Bunker ausfindig machen, der laut Protagonistin Anna genau in der Mitte zwischen zwei Orten liegt. Sie zeichnet die betreffende Stelle sogar korrekt auf einer für sie sichtbaren Karte ein und könnte dank ihr auch problemlos dorthin gelangen. Jedoch dürft ihr als Spieler die Stelle erst dann betreten, wenn ihr umständlich zwei kleine Heißluftballons bastelt, sie an die besagten beiden Orte kettet und euer Werk von einem Aussichtsturm begutachtet. Das Tüpfelchen auf dem i: Von dort ist die eigentlich gesuchte Stelle nicht einmal sichtbar.
Zu guter Letzt wird das an sich solide Rätsel-Design durch eine der lieblosesten In-Game-Hilfen aller Zeiten verwässert: Ihr könnt euch jederzeit per Tastendruck die Lösung aller Rätsel anzeigen lassen, was in Form von hastig zusammengeschriebenen Stichpunkten geschieht. Hätten wir keine gemasterte DVD als Muster bekommen, wir hätten dieses Feature allein aufgrund der dürftigen Darstellung als einen nicht veröffentlichungsreifen Cheat abgetan.
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